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Donaufestival 2024

David Višnjić

„Get your ass down to the floor“: Tag 2 und 3 beim Donaufestival 2024

Wie erwartet spielten die kalifornischen Noise-Rap-Poeten clipping. in Krems das Highlight-Konzert des Wochenendes und mit den konzeptuellen Klageliedern der libanesischen Musikerin Mayssa Jallad feierte das Donaufestival am Sonntagabend einen erhebenden Abschluss seines ersten Teils.

Von Katharina Seidler

Ein Kirchgang am Sonntag hat verschiedene Motivationen, im besten Fall aber kommen alle mit ähnlichen Gefühlen wieder heraus. Zwischen Marmorsäulen, auf harten Holzbänken, oder am Bogen herumliegend (immer wieder ein großes Streitthema beim Festival), spirituell aufgeladen oder nicht, geschehen im Kirchenschiff hoffentlich erleuchtende, erhebende, trostspendende Dinge.

Nun hat das Donaufestival das Glück, in seiner Heimatstadt Krems gleich zwei Kirchen zu seinen Spielstätten zu zählen. In der Dominikanerkirche findet am ersten Festivalwochenende die Tanzperformance „Unearth“ von Jefta van Dinther statt (leider verpasst), und der Klangraum Minoritenkirche macht dem ersten Teil seines Namens einmal mehr alle Ehre. Anders, als man in einem derart leeren, hohen Raum aus Stein denken möchte, ist die Akustik durch Zauberhand ausgezeichnet und der Ort lädt Musiker:innen dazu ein sich in ihren Sets mit der Location auf die eine oder andere Art auseinanderzusetzen.

The Necks beim Donaufestival 2024

David Višnjić

The Necks

Die australischen Ambient-Jazz-Impro-Veteranen The Necks etwa spielen am Sonntagabend ein extrem zurückgenommenes, sanft schwebendes Konzert, wabernde Minimal Music aus sich verdichtenden und dann wieder auseinanderdriftenden Tonschwärmen. Der Abschlussact des Abends Anika ist überhaupt gleich mit einem kleinen Kammerorchester angereist. Auf Einladung des Solistenensembles Kaleidoskop hat die britisch-deutsche Musikerin das Album „Desertshore“ der großen deutschen Tragödin Nico neu aufgenommen - das Album soll noch dieses Jahr erscheinen - und präsentiert es live in angemessener, beinahe schon übergroßer Ernsthaftigkeit.

Donaufestival 2024

David Višnjić

Anika

Kaum jemanden kann man sich besser als stimmliche Wiedergängerin von Nico vorstellen als Anika mit ihrer trockenen, sprechgesangmäßigen Art zu singen und ihrem zarten Akzent zwischen Deutsch und Englisch. Dementsprechend makellos gelingen ihre Coverversionen von Nicos seltsam-strengen Kunstliedern wie „Janitor of Lunacy“ oder „Mütterlein“ und doch kommt man nicht umhin sich nach einer Art Bruch zu sehnen, nach möglichen neuen Aspekten in den bekannten Songs, so wie etwa Soap&Skin einst „Janitor of Lunacy“ mit einer frischen Dosis an Dramatik aufgeladen hat. Dennoch, Anika live ist und bleibt eine einnehmende Erscheinung, deren Charme vor allem in ihren eigenen, in Krems gespielten Songs „Never coming back“ und „Rights“ strahlen kann.

Donaufestival 2024

David Višnjić

Anika

Das musikalische Highlight des dritten Tages am Donaufestival ist der Auftritt der libanesischen Architektin und Musikerin Mayssa Jallad. Auf ihrem ersten Soloalbum „Marjaa: The Battle of the Hotels“ hat die Musikerin vergangenes Jahr einen Teil der brutalen Bürgerkriegsgeschichte ihrer Heimatstadt Beirut aufgearbeitet. An Schlagzeug, Synthesizer und 2. Stimme begleitet von zwei Dritteln der ebenfalls sehr guten Band Postcards, erklärt Mayssa Jallad in ausgiebigen Zwischenansagen ihre Lyrics über gefallene Söhne und Stadtteile. „I wrote this album so that my generation knows what happened to our city and so that we could avoid making the same mistakes“, erzählt sie, und ihre atmosphärischen Klagelieder übersetzen kollektive Traumata in wunderschöne, ins Herz treffende Popmusik mit universell verständlicher Strahlkraft.

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David Višnjić

Mayssa Jallad

Wo wir schon bei Höhepunkten sind, ist es nun an der Zeit über den Auftritt von clipping. zu sprechen. Eine „life changing experience“ versprach deren Frontmann Daveed Diggs am Samstagabend auf der Bühne und auch, wenn er damit einen speziellen Moment der Show meinte, nämlich den Gastauftritt der nigerianisch-US-amerikanischen Soul-Sängerin Sharon Udoh alias Counterfeit Madison, lässt sich der Superlativ auf das ganze Konzert von clipping. übertragen.

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David Višnjić

clipping. feat. Sharon Udoh

Das Konzept klirrende Industrial-Noise-Beats plus kluge, messerscharfe Rhymes geht im Fall dieses kalifornischen Trios ausgezeichnet auf; hinzu kommt Daveed Diggs’ unnachahmliche Präsenz auf der Bühne, die bereits am Broadway als Musical-Hauptdarsteller mit einem Tony- und Grammy-Award honoriert wurde. Wenn er in Hochgeschwindigkeit rappt, tut er es nie um der Hochgeschwindigkeit Willen, sondern weil er meisterhaft mit Tempi, Dynamiken und Stimmungen zu spielen weiß. Am Ende ist selbst das oft schwer aus der Deckung zu lockende Donaufestival-Publikum zu Mitsing-Chören hingerissen: „Get your ass down to the floor!“ Ein Konzert des Jahres.

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David Višnjić

clipping.

Kurz danach performt in der Halle 2 die Musikerin Domingæ mit ihrem Projekt Föllakzoid trippigen Techno als dekadentes Trance-Fest. Die repetitiven, extrem hypnotischen Muster von Krautrock legt Föllakzoid mithilfe zweier Musiker an Schlagzeug und Klangkasteln auf die harten Rhythmen von Techno um. Sie selbst steht dabei mit umgehängter, aber nur spärlich eingesetzter Gitarre in der Bühnenmitte und dirigiert Publikum und Band mit Grandezza und geschwenktem Weinglas in der Hand. Ihre Show ist das Gegenteil von gesichtslosen Techno-Dogmen, wie sie etwa die Detroiter Underground Resistance vor Urzeiten einforderte; ein immersives Erlebnis, das müde Besucher:innenbeine wieder muntermacht.

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David Višnjić

Föllakzoid

Bleibt noch die Performance „Impact Driver“ von Eve Stainton zu erwähnen, die inmitten einer Art postapokalyptischen Cowboy-Szenarios angesiedelt ist. In einer verkleideten, einsichtigen Werkstatt inmitten der Halle 1 werden von den Performenden zu Beginn klobige Metallhaken geschweißt. Funken sprühen, es kreischt die Säge, es riecht nach geschmolzenem Stahl. Die so zusammengesetzten Werkstücke werden sodann in tanzenden und ringenden Bewegungen auf ihre Festigkeit geprüft, dazu erklingen monotone, bewusst zurückhaltende Gitarrenakkorde von Leisha Thomas und dem zurückhaltendsten Punk- und Soundtrack-Superstar der Welt, nämlich Mica Levi.

Donaufestival 2024

David Višnjić

Impact Driver

Die mechanische Arbeit an der Werkbank stellt sich in „Impact Driver“ beinahe sinnlich dar und scheint bald nichts weniger zu dienen als dem Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung nach dem Ende der derzeitigen Zivilisation. Am Ende gleiten die Gitarren an den Saiten über das Werkstattgerüst, Metall auf Metall spielt seine eigene Musik und der Mensch nur eine Nebenrolle. Das Festivalmotto „Community of Aliens“ könnte hier greifen, es entstehen neue Allianzen.

Donaufestival 2024

David Višnjić

Impact Driver

Donaufestival 2024, Krems an der Donau

  • Wochenende 1: 19.04. bis 21.04.2024
  • Wochenende 2: 26.04. bis 28.05.2024

Alle Infos plus Tickets gibt es auf der Donaufestival Website.

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