FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Eine Demonstration am Freitag, 24. Mai 2019, im Rahmen des Klimastreiks #FridaysForFuture in Wien

APA/LUKAS HUTER

FAQs zur Demokultur in Österreich

Laut sein, auf die Straße gehen und demonstrieren – aber wie? Wir beantworten die häufigsten Fragen zur Demokultur in Österreich.

Von Ambra Schuster

Egal ob Demos gegen das neue Unigesetz, gegen Abschiebungen oder Rassismus, Demonstrationen sind in einer modernen Demokratie eine wichtige Form der Meinungsäußerung. Trotzdem tauchen immer wieder Fragen auf: Was bringt so eine Demo? Warum und seit wann geht man auf die Straße und welche Rolle spielt eigentlich die Polizei dabei? Wir beantworten die Frequently Asked Questions zur österreichischen Demokultur.

Seit wann gibt es Demonstrationen?

Revolten und Aufmärsche gab es bereits im Mittelalter. Demonstrationen wie wir sie heute kennen, entstanden dann im 19. Jahrhundert im Zuge der Industrialisierung, dem Wachsen von Städten und der Arbeiter*innenbewegung. Damals war das politische System noch nicht demokratisch, die Menschen mussten ihre Anliegen auf der Straße sichtbar machen.

Wogegen wird in Österreich demonstriert?

Mit Abstand am häufigsten wird für den Umweltschutz und gegen klimaschädliche Infrastrukturmaßnahmen (Kraftwerke, Straßen, Flughafenpisten etc.) demonstriert. Aber auch traditionelle Themen wie Pensionsreformen oder die Arbeitszeit treiben Leute auf die Straße. Und dann gibt es noch Themenkonjunkturen, so gab es zu Migration und Asyl zwar insgesamt nur wenige Demonstrationen, gerade während der Asylkrise 2015/16 war es aber das wichtigste Thema.

Donnerstagsdemo 2006

APA/Guenter R. Artinger

Eine der Donnerstagsdemos gegen die erste schwarz-blaue Regierung 2006

Wer sind die Menschen auf Demos?

Früher ging man davon aus, dass Demonstrant*innen der Demokratie gegenüber kritisch eingestellt sind. Mittlerweile weiß man, dass das Gegenteil der Fall ist. Demonstrierende Menschen beteiligen sich sogar häufiger an Wahlen. Sie nutzen Demonstrationen lediglich als zusätzliche Form der politischen Beteiligung.

Früher gingen eher Männer und vor allem Randgruppen auf die Straße. Das änderte sich in den letzten 20 Jahren, es kam zu einer sogenannten „Normalisierung“ der Beteiligten bei Protestereignissen. Das heißt, Demonstrant*innen entsprechen zwar immer noch nicht der Durchschnittsbevölkerung, aber die Unterschiede wurden kleiner.

Mittlerweile demonstrieren fast gleich viele Frauen wie Männer. Tendenziell demonstrieren eher jüngere, hochgebildete und linke Menschen. Oft richtet sich ihr Protest auch gegen die eigenen bürgerlichen Eltern, etwa bei den Fridays-For-Future-Demonstrationen.

Pro Jahr demonstrieren rund 6 bis 7 Prozent der Österreicher*innen, also nur eine sehr kleine Gruppe. Was sie eint, ist der Glaube, mit ihrem Protest politische Entscheidungen beeinflussen zu können.

Das Lichtermeer 1993

APA-Photo: Kurt Keinrath

Das „Lichtermeer“ 1993

Was macht einen „erfolgreichen“ Protest aus?

Erfolgreich ist eine Demo prinzipiell dann, wenn ihre Forderungen von der Politik umgesetzt werden. Ihre Ziele erreichen Demonstrant*innen eher dann, wenn sie möglichst konkrete und kurzfristige Forderungen stellen und auch eine Strategie zur Umsetzung mitkommunizieren.

Oft ist der Erfolg einer Demonstration aber schwer messbar, weil Kausalitäten nicht immer eindeutig sind. Wurde der Lockdown aufgrund der Corona-Maßnahmen-Demonstrationen gelockert oder waren sie ein Mitgrund? Wir wissen es nicht. Erfolgreich ist eine Demo auch dann schon, wenn zumindest medial berichtet wird. Black Lives Matter, Fridays For Future und zuletzt auch die Demonstrationen gegen die Abschiebungen von Schüler*innen - all diese Proteste haben ihre konkreten Ziele zwar nicht erreicht, aber sie haben die Themenlage aufgemischt und Bewusstsein geschaffen.

Online-Protest < Straßenprotest?

Gemeinsam mit Gleichgesinnten auf die Straße zu gehen und für eine Sache zu demonstrieren, braucht wesentlich mehr persönliches Commitment als einfach nur eine Online-Petition zu unterschreiben und einen Post abzusetzen. Gleichzeitig schafft diese Form der politischen Partizipation mehr Sichtbarkeit und hat mehr Einfluss. „Es geht um die physischen Körper, die die öffentliche Ordnung im realen Raum stören“, sagt der Kulturwissenschafter Roman Horak. Die meisten traditionellen Protestaktionen werden heute aber zumindest über Social Media organisiert.

Welche Rolle spielt die Polizei vor Demonstrationen?

Demonstrationen müssen bei der Polizei prinzipiell angemeldet werden. In ganz seltenen Fällen darf die Polizei Demonstrationen auch vorab verbieten. Das muss aber gut gerechtfertigt sein, schließlich ist die Versammlungsfreiheit ein verfassungsgesetzlich geschütztes Grundrecht. Ein Eingriff in dieses Recht muss auch vor Gericht begründet werden können. Deshalb können Demos auch dann stattfinden, wenn sie gar nicht erst angemeldet wurden. Im Normalfall werden diese Aktionen dann nicht beendet, solange niemand einen größeren Schaden durch die Demonstration erleidet.

Polizisten von Hinten bei der Akademikerballdemo

APA/Hans Punz

Durch die aktuelle Pandemie ist die Situation aber besonders schwierig. Gesundheitsrisiken stehen dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gegenüber. „Die Frage ist auch, ob die behördlichen Maßnahmen – insbesondere der Abstand – überhaupt realistisch einhaltbar sind“, sagt Politikwissenschafter Martin Dolezal von der Uni Salzburg. Die Polizei wird von Gesundheitsexpert*innen beraten, die das Risiko einschätzen sollen.

Was ist die Aufgabe der Polizei auf Demonstrationen?

Auf Demonstrationen ist es die Aufgabe der Polizei, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu schützen. Muss die Polizei vor Ort eingreifen, gilt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit: So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Lässt sie weiter demonstrieren, wenn Vorschriften nicht eingehalten werden, macht das kein gutes Bild. Friedliche Blockaden oder ungenehmigte Demonstrationen einfach niederknüppeln darf sie aber auch nicht. Proteste sollen möglichst friedlich bleiben. Wer wofür demonstriert, sollte für die Polizei dabei keine Rolle spielen, es gilt auch das Prinzip der Gleichbehandlung. Letztere funktioniert aber nicht immer, wie jüngste Beispiele nahelegen.

Muss man eine Demonstration anmelden?

Wer auf der Straße protestieren will, sollte seine Demonstration mindestens 48 Stunden vor Versammlungsbeginn schriftlich bei der Polizei anmelden. In dieser Mitteilung muss vermerkt sein, wie viele Leute, wann und wo zur Protestaktion kommen, welche Dinge benutzt werden (Banner, Mikrofone, etc.) und wer der oder die Verantwortliche ist. Diese Person muss mindestens 18 Jahre alt sein. Bei Großdemonstrationen gibt es außerdem Begehungen, bei denen die Organisator*innen gemeinsam mit der Polizei die Route auf mögliche Sicherheitsrisiken abgehen und nötige Straßensperren klären.

Eine Demo kann aber auch dann stattfinden, wenn sie nicht angemeldet wurde. Das Recht auf Versammlungsfreiheit wiegt schwerer als die Verwaltungsübertretung.

Gibt es einen Unterschied zwischen linken und rechten Demos?

Links orientierte Menschen protestieren traditionell mehr als Rechte, die ihre Meinung eher an der Wahlurne kundtun. Vor allem in den letzten Jahren haben die neuen Rechten sich aber vermehrt linke Protestformen angeeignet. Etwa das Aufmarschieren, Demonstrieren oder auch das Stören von Veranstaltungen. Ein bekannter Vorfall war das Stürmen einer Theatervorstellung von Elfriede Jelineks „Schutzbefohlenen“ im Audimax der Uni Wien 2016 durch die „Identitären Bewegung Österreich“.

Aktivisten der rechtsextremen Identitären stürmten 2016 die Bühne im Wiener Audimax  wo das Elfriede-Jelinek-Stück "Die Schutzbefohlenen" aufgeführt wurde.

APA/ANJA KUNDRAT

2016 stürmten Aktivisten der rechtsextremen Identitären die Bühne des Audimax der Uni Wien.

Was waren wichtige Demos in der Zweiten Republik?

Nach dem Zweiten Weltkrieg war es relativ ruhig auf Österreichs Straßen. Wenn, dann marschierte vor allem die Sozialdemokratie brav geordnet auf, es herrschte ein „Konsensklima, ökonomische Konflikte wurden in der Zweiten Republik über die Sozialpartnerschaft ausgetragen“, sagt der Politikwissenschafter Martin Dolezal von der Uni Salzburg und dem IHS. Bis in die 1950er dachte man auch in der Forschung, dass Demos eine irrationale Gefahr für die Demokratie darstellen. Demonstranten wurden als Pöbel angesehen, der die institutionelle Ordnung durcheinanderbringt.

Ab den 1960ern änderte sich das. Große Proteste gab es gegen den nationalsozialistischen Uniprofessor Taras Borodajkewycz – und auch gegen den Vietnamkrieg. Im Zuge der internationalen 1968er-Bewegung begehrten auch Studierende in Österreich auf.

In den 1970er-Jahren betrafen die wichtigsten und aufsehenerregendsten Demonstrationen das Atomkraftwerk Zwentendorf. Die Inbetriebnahme des bereits fertig gebauten AKWs wurde zum Politikum, die Volksabstimmung darüber ging knapp dagegen aus.

Ein brutaleres Kapitel der österreichischen Demogeschichte war die Besetzung der Hainburger Au 1984. Demonstrant*innen wollten den Bau eines Donaukraftwerks verhindern, die Polizei knüppelte sie weg. Am selben Abend gingen 40.000 Menschen gegen das brutale Vorgehen und gegen den Kraftwerksbau auf die Straße - mit Erfolg. Heute gehören die Hainburger Auen zum Nationalpark Donauauen.

1993 demonstrierten beim Lichtermeer rund 250.000 Menschen gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit. Der Protest richtete sich gegen das von Jörg Haider eingeleitete Volksbegehren „Österreich zuerst“ für die Erschwerung der Aufnahme von Flüchtlingen und Ausländer*innen in Österreich.

Eine enorme Mobilisierung gab es in den frühen 2000ern auch bei den sogenannten „Donnerstagsdemos“ gegen die schwarz-blaue Bundesregierung. 2009 lösten die Hörsaalbesetzungen der „Uni brennt“-Proteste eine breite Debatten rund um freien Hochschulzugang, die Demokratisierung von Universitäten und später auch das Bologna System aus.

Wird in Österreich mehr demonstriert als in anderen Ländern?

Nein. Österreich liegt mittlerweile im europäischen Durchschnitt. Am weitesten verbreitet sind Demonstrationen und eine Kultur des Straßenprotests in Frankreich. Auch Island war zuletzt wegen seiner Demonstrationen gegen Korruption kurzfristig Spitzenreiter.

mehr Politik:

Aktuell: