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Sex we can’t

Vor über 3 Jahren hat der Skandal um einen christlichen Aufklärungsverein eine breite Diskussion ausgelöst und viele Mängel bei der Sexualpädagogik in Österreich aufgezeigt. Was hat sich seitdem getan? Kurz gesagt: (noch) nicht viel.

Von David Riegler

Man soll keinen Sex vor der Ehe haben, Masturbation ist schädlich, statt Verhütungsmittel soll „natürliche Familienplanung“ gemacht werden und Homosexualität ist heilbar mit einer Kombination aus Therapie, Selbsthilfegruppen und Seelsorge. Diese und weitere erzkonservative und unwissenschaftliche Botschaften hat der christliche Aufklärungsverein TeenSTAR jahrelang in die österreichischen Schulen getragen. Im Herbst 2018 sind die internen Schulungsunterlagen an die Öffentlichkeit geraten, durch eine Recherche von Falter und ZIB2, was eine breite Debatte darüber ausgelöst hat, wie Aufklärung sein soll, welche Unterrichtsmaterialien verwendet werden dürfen und wer die Aufklärung machen soll.

Keine großen Veränderungen

Wie sieht die Situation heute aus, mehr als 3 Jahre nach diesem Skandal? Wesentliche Veränderungen sind ausgeblieben. Es gibt immer noch viele verschiedene Aufklärungsvereine, die Workshops für Kinder und Jugendliche anbieten, darunter auch christliche Vereine wie TeenSTAR. Diese privaten Vereine dürfen auch weiterhin an Schulen eingeladen werden und müssen dafür auch keine spezielle Ausbildung vorweisen, nur eine Strafregisterbescheinigung, wie sie üblich ist im pädagogischen Bereich. Die Berufsbezeichnung Sexualpädagog*in oder Jugendsexualpädagog*in ist in Österreich nicht geschützt. Jede*r kann sich so nennen und diesen Beruf ausüben.

Eine Schlange und ein Herz

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23. bis 25. Mai 2022

Die Hauptverantwortung für die Aufklärung liegt nach wie vor bei den Lehrer*innen in den Schulen. Laut Unterrichtsprinzip Sexualpädagogik müssen sie das Thema mit Bezug auf ihr Fach aufgreifen, wenn es auftaucht oder im Lehrplan steht, auch wenn sie keine sexualpädagogische Ausbildung haben. Sie können sich frei entscheiden, ob sie externe Vereine einladen oder sich selbst des Themas annehmen.

Lisa-Maria Schirmbrand ist Lehrerin an der Mittelschule Pachmayergasse Wien Simmering und unterrichtet heuer das zweite Jahr Biologie. Sie hat sich dafür entschieden, die Aufklärung selbst zu übernehmen, ohne externe Personen. In der Vorbereitung auf das Schuljahr hat sie sich angesehen, welche Unterlagen ihr zum Thema Sex, Liebe und Körper zur Verfügung stehen, und ihr erster Gedanke war: „Schade, ich muss mir wohl doch selbst Lehrmaterialien dazu erstellen, weil ich das so meinen Schüler*innen nicht vermitteln will.“

Dafür gibt es laut Lisa-Maria Schirmbrand viele Gründe, zum Beispiel, dass es generell nur um Heterosexualität geht und andere sexuelle Orientierungen kaum vorkommen. Viele Begriffe findet sie nicht mehr zeitgemäß, zum Beispiel Schamlippen oder Schamhaare, die in moderner Sexualpädagogik nicht mehr verwendet werden, weil sie das negative Gefühl der Scham suggerieren. Außerdem stört sie, dass ständig Geschlechterklischees wiederholt werden, mit Bildern von Mädchen, die sich vor dem Spiegel schminken, und Jungs, die sich cool an den Baum lehnen. Lisa-Maria Schirmbrand hat sich in aufwändiger Recherche ein Jahr lang zeitgemäße und wissenschaftlich korrekte Materialien zusammengesucht und das Biologiebuch dann im Unterricht verwendet, um mit den Schüler*innen zu besprechen, warum bestimmte Begriffe und Rollenklischees veraltet sind. Sie hat quasi das Biologiebuch gemeinsam mit den Schüler*innen überarbeitet.

Alte Begriffe und diverse Genitalmodelle

Mit ihrer Kritik an den Lehrmaterialien ist sie nicht allein. Lisa Kalbitzer studiert Lehramt und engagiert sich bei dem Aufklärungsverein achtung˚liebe. Sie hat sich mehrere Schulbücher angesehen und dabei fragwürdige Definitionen entdeckt: „Wenn in einem Schulbuch für die 6. Klasse steht: Transsexualität ist eine Störung der Geschlechtsidentität, dann ist das schlichtweg falsch. Erstens ist der Begriff Transsexualität veraltet, mittlerweile heißt es Geschlechtsinkongruenz und die Definition ist komplett anders.“ Doch es geht nicht nur um Begriffe und Definitionen, auch bei den verwendeten Modellen sieht sie dringenden Nachholbedarf.

In den meisten österreichischen Schulen gibt es einen Aufklärungskoffer, der unter anderem das Modell eines Penis aus Holz enthält, mit dem geübt werden soll, wie man ein Kondom abrollt. Dafür eignet er sich auch gut, doch laut Lisa Kalbitzer kann dieser gerade, lange Holzpenis nicht die Diversität von Genitalien abbilden. Wenn sie mit ihrem Verein an eine Schule geht, bringt sie eigene Modelle mit: „Unsere Penismodelle sind krumm, klein, dick, dünn und unsere Vulvenmodelle, die es früher noch gar nicht in den Aufklärungskoffern gab, haben innere Vulvalippen, die lang oder kurz sind.“ Ihr Verein hat extra die private Firma „Vielma“ mit der Erstellung von verschiedenen Modellen beauftragt, zum Beispiel auch von intergeschlechtlichen Modellen.

Bild von Genitalien-Modellen aus dem Online Shop

Vielma

Nicht viele Firmen bieten diverse Genitalmodelle an.

Die Diversität menschlicher Körper zu zeigen, ist ein zentraler Teil der modernen Sexualpädagogik, nicht zuletzt wegen dem massiven Druck durch die heutigen Schönheitsideale. Untersuchungen zeigen, dass die meisten Jugendlichen schon in einem frühen Alter mit Pornos in Berührung kommen, die auch immer wieder am Schulhof die Runde machen. Weil Pornos unrealistische Bilder von Körpern und Sexualität vermitteln, ist es in der modernen Sexualpädagogik üblich aufzuzeigen, wie inszeniert und bearbeitet Pornos sind.

Doch auch Teenie-Magazine, Social Media und Influencer*innen tragen ihren Teil dazu bei, gewisse Schönheitsnormen zu etablieren, zum Beispiel, was das Thema Körperbehaarung angeht. Lisa-Maria Schirmbrand ist überzeugt, dass guter Aufklärungsunterricht all dem entgegenwirken kann: „Dann will wenigstens ich als Biologielehrerin diejenige sein, die ihnen die konstante Sicherheit gibt, dass es ok ist, wie sie sind, und dass sie nichts an sich verändern müssen.“

Gute Aufklärung schützt auch vor Gewalt

Sexualpädagogik hat sich in den letzten Jahren massiv weiterentwickelt und ist viel mehr als nur Anatomiekunde und Verhütung, es geht zum Beispiel auch darum, klare Grenzen zu setzen. Laut dem Österreichischen Institut für Sexualpädagogik kann Aufklärungsunterricht einen wichtigen Teil dazu beitragen, sexuelle Gewalt zu verhindern, und damit auch der im internationalen Vergleich hohen Zahl an Femiziden in Österreich entgegenwirken. Generell soll eine gewaltfreie und gleichberechtigte Form der Sexualität gestärkt werden.

Um auch dazu beitragen zu können, müssen engagierte Lehrer*innen wie Lisa-Maria Schirmbrand oft viel von ihrer Freizeit investieren und intensiv recherchieren. Eine generelle, digitale Informationsplattform oder ähnliche Hilfestellungen des Bildungsministeriums gibt es derzeit nicht. Nicht zuletzt deshalb, weil geeignete Unterrichtsmaterialien fehlen, entscheiden sich viele Lehrer*innen dafür, sexualpädagogische Vereine an die Schule zu holen.

Nach dem TeenSTAR-Skandal hat der damalige ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann angekündigt, ein Akkreditierungsverfahren einzuführen und nur mehr akkreditierte Aufklärungsvereine an Schulen zu lassen. Heute, mehr als 3 Jahre später ist dieses Verfahren immer noch nicht vollständig umgesetzt.

Das alles führt dazu, dass es große Unterschiede gibt, wie der Aufklärungsunterricht in den einzelnen Schulklassen aussieht. Es gibt Lehrer*innen, die sich intensiv mit den Entwicklungen der Sexualpädagogik auseinandersetzen und ihre Materialien regelmäßig adaptieren, es gibt aber auch Lehrer*innen, die Vereine mit klar religiöser Agenda an die Schulen holen.

Der Verein TeenSTAR hat mittlerweile einige Punkte überarbeitet, verfolgt aber immer noch eine klar christliche Linie. Auf ihrer Website findet man zum Beispiel Tipps, wie man einer ungewollt schwangeren Freundin eine Abtreibung ausredet. Trotz allem zeigt sich TeenSTAR in einer Aussendung überzeugt davon, die Akkreditierung zu bestehen und auch in Zukunft an Österreichs Schulen aufklären zu können. Bis das Verfahren abgeschlossen ist, kann der Verein jedenfalls weiter mit Kindern und Jugendlichen in ganz Österreich arbeiten.

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23. bis 25. Mai 2022 auf Radio FM4

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