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Lesung Ana Marwan beim Bachmannbewerb 2022 im Garten des ORF Landesstudios Kärnten.

Johannes Puch

Der zweite Lesetag beim Bachmannbewerb

1003 Minuten umfasst der Bachmannbewerb dieses Jahr. Und die erste große Favoritin ist Ana Marwan, die auf Deutsch und Slowenisch schreibt und heute Abend live in Top FM4 zu Gast sein wird.

Von Maria Motter

Niedliche, schwarze Widder drängen sich um Ana Marwan in ihrem Videoporträt und sie tanzt. „Hier tanzt die Sprache in diesem Text“, ist die Bachmannbewerb-Juryvorsitzende Insa Wilke nach Ana Marwans Lesung von „Wechselkröte“ begeistert. Ana Marwan ist die erste große Favoritin bei den 46. Tagen der deutschsprachigen Literatur. Eine Frau ist in ihrem Text auf sich zurückgeworfen in einem Haus, das Freundinnen zu entlegen ist für einen Besuch, wo sie die Dinge für sich in Ordnung bringen will. Der letzte Satz eröffnet dann noch unterschiedliche Perspektiven, je nach Interpretationswillen. Und Ana Marwan findet das sehr schön, wenn jeder Lesende etwas anderes in ihrem Text sieht.

Sie denke nicht in Worten, sondern in Konzepten, die sie normalerweise nicht in ihrem Kopf verbalisiere, sagt Ana Marwan im FM4-Interview mit Zita Bereuter auf die Frage, wie sie entscheide, in welcher Sprache sie schreibe. Ihren Debütroman „Der Kreis des Weberknechts“ hat sie auf Deutsch geschrieben, den 2021 veröffentlichten Roman „Zabubljena“ auf Slowenisch. Ana Marwan ist in Slowenien aufgewachsen und hatte Deutsch in der Schule als Pflichtfach. Die Mehrsprachigkeit in jungen Jahren teilt sie mit den beiden weiteren lesenden Autoren dieses Vormittags, Behzad Karim Khani und Usama Al Shahmani.

Ana Marwan beim Bachmannbewerb im Garten bei ihrer Lesung.

Johannes Puch

Ana Marwan hat den zweiten Lesetag bei den 46. Tagen der deutschsprachigen Literatur eröffnet.

Heute Abend in Top FM4, live ab 19.00, zu Gast: Ana Marwan und Elias Hirschl, zwei der diesjährigen Kandidat*innen beim Bachmannbewerb.

Alle bisherigen Texte, Lesungen und Jurydiskussionen sind online unter bachmannpreis.orf.at.

„Ich habe das Gefühl, dass ich mich auf Deutsch irgendwie freier ausdrücken kann und dass die Worte nicht überlastet sind von vorherigen Kontexten und sie tragen keinen emotionalen Ballast mit sich. Auf der anderen Seite lege ich auch viel mehr Augenmerk darauf, wie die Wörter gebaut sind.“ Einerseits also die Distanz und andererseits die Nähe bringe einen Kontrast, für den Ana Marwan ein tolles Bild hat: Beim Sezieren traue man sich hineinzuschauen, aber man könne zum Beispiel nicht das eigene Haustier sezieren.

Auch Usama Al Shamani genießt einen Raum von Freiheit, wenn er auf Deutsch schreibt. Der Autor und Übersetzer ist in Bagdad geboren und lebt heute in der Schweiz. „Im Schreiben kommen alle Kulturen und alle Sprachen, die ich kenne, nicht nur die deutsche Kultur. Schreiben ist ein Labor, in dem viele Dimensionen mitspielen und etwas Neues darstellen“.

Usama Al Shahmani beim Bachmannbewerb

ORF

Usama Al Shahmani über die unvorhersehbare Dynamik des Geschichtenerzählens in „Portrait des Verschwindens“.

Eine Spannung entsteht für Usama Al Shahmani durch die verschwundene Tradition von erzählender deutschsprachiger Kultur und das Gebliebene im Arabischen. Er versucht, diese zwei Ebenen in ein Gleichgewicht zu bringen. „Eine Großmutter, die Analphabetin ist, erzählt mündlich, erfindet die Geschichten. Als Kinder haben wir darauf reagiert, wir haben gefragt und die Geschichte hat manchmal vielleicht eine andere Kurve genommen, an die die Großmutter oder auch der Großvater gar nicht gedacht hat.“ Diese Situation kommt auch in Usama Al Shamanis Text „Porträt des Verschwindens“ vor.

Die spezielle Dynamik des mündlichen Erzählens, die Wirkung der Mimik und die Reaktionen darauf bringen eine ganz andere Qualität, als wenn man von einem Buch abliest, erinnert der Schriftsteller. Al Shahmanis Beitrag zum Bachmannbewerb ist ein Auszug aus seinem kommenden Roman „Der Vogel zweifelt nicht am Ort zu dem er fliegt“ (erscheint im August im Limmat Verlag).

Fast die ganze Jury ist sehr angetan von dem klassisch erzählten Text. Nur Philipp Tingler findet, dass der so konventionell geschrieben wäre, als hätte ihn ein Algorithmus geschrieben. Am Nachmittag des zweiten Lesetags wird die Jury dann noch auffallend härter im Ton. „Es ist sehr hart, wenn du auf diesem Stuhl sitzt und so viel nicht sehr wohlmeinende Kritik kommt. Das war schon schwierig“, sagt die Autorin Barbara Zeman, die dieses Jahr eine der Kandidatinnen für den Bachmannpreis ist und auch heute ihre Lesung hatte.

Barbara Zeman bei ihrer Lesung beim Bachmannbewerb

Johannes Puch

Barbara Zeman - souverän trotz Sirenen

Barbara Zeman zieht mit ihrem Text „Sand“ das Publikum vor Ort im Garten des ORF Landesstudio in Klagenfurt in den Bann. Und das, obwohl das Sitzen auf Bierbänken ganz schön auf den Rücken geht und die Mittagspause immer verfliegt. Wunderschön ist Zemans Sprachrhythmus und die Spannung des Texts wird nicht einmal von dem Signal einer Feuerwehr unterbrochen. Zeman hält super souverän kurz inne und setzt ihren Vortrag fort.

„Das Lesen war wahnsinnig schön und ich habe gespürt, dass ich die ganzen Leute habe. Dass diese komische Stille entsteht, wenn man die Leute so in den Bann ziehen kann“, sagt Barbara Zeman unmittelbar nach ihrem Auftritt. Ihren Text wollte sie unbedingt schreiben, ganz unabhängig vom Bachmannpreis-Lesen. Doch um die Einreichfrist zu schaffen, hat sie den Text in verbliebenen zwei Wochen geschrieben. Sonst hätte sie sich wohl ein paar Monate Zeit gelassen. Ihr Debütroman „Immerjahn“ wird ein Meisterwerk genannt.

Morgen lesen Leona Stahlmann, Clemens Bruno Gatzmaga, Juan S. Guse und Elias Hirschl in Klagenfurt, zu sehen live auf 3.sat ab 10.00 Uhr und als Stream via bachmannpreis.orf.at.

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