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Amir Gudarzi

Radio FM4 | Christian Pausch

„Das Theater ist der letzte demokratische Ort“

Der österreichische Theater-Autor Amir Gudarzi hat soeben seinen ersten Roman „Das Ende ist nah“ veröffentlicht. Ein Gespräch mit dem vielfach ausgezeichneten Dramatiker.

Von Christian Pausch

In „Das Ende ist nah“, dem Debütroman von Amir Gudarzi, muss der junge Student A. aus Iran fliehen und landet über Umwege in Österreich, wo er u.a. im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen ein Dasein zwischen Hunger, Einsamkeit und offener Verachtung fristet. Amir Gudarzis eindringliches Debüt ist ein seltener Einblick in das, was Menschen auf sich nehmen, wenn sie flüchten und in das, was sie erleben, wenn sie in Österreich angekommen sind.

Der Autor hat uns im FM4 Studio besucht:

FM4: Amir, du bist ein gefeierter und vielfach ausgezeichneter Dramatiker. Warum hast du aus „Das Ende ist nah“ einen Roman gemacht und kein Theaterstück?

Amir Gudarzi: Ich glaube, es ist immer so: Jedes Mal, wenn ich eine Idee habe, kommt mit der Idee auch die Form. Bei den Theaterstücken, wenn ich die Idee habe, weiß ich genau, dass das ein Theaterstück sein wird. Bei „Das Ende ist nah“ war es gleich klar, dass es ein Roman sein wird. Und ich glaube, wenn man das Buch liest und dann auch das Thema einigermaßen versteht, dann sieht man auch, dass der Stoff eher nach der Langstrecke verlangt. Ich glaube, das war das Beste, was ich daraus gemacht habe. Einfacher wäre es natürlich gewesen, ein Theaterstück zu machen. Aber ein Roman war das, was die Idee gebraucht hat.

FM4: Warum ist ein Theaterstück einfacher?

Lesungen von Amir Gudarzi:

  • 17.10. 19 Uhr im Thalia Buch, Mariahilferstraße 99, Wien
  • 09.11. 11:30 Uhr in der Messe Wien, ORF-Bühne bei der Buch Wien
  • 20.11. 19 Uhr im Haus der Kunst, München

Amir Gudarzi: Naja, also quantitativ gesprochen hat ein Theaterstück zwischen 60 und 70 Seiten und es ist luftig geschrieben. Das Buch hat 406 Seiten, und das macht natürlich sehr viel aus. Es ist sehr viel Arbeit und leider war ich während dem Schreiben immer wieder krank. Und die große Schwierigkeit war, wieder reinzulesen, was ich geschrieben habe. Und es hat immer zwei Wochen gedauert, bis ich reingelesen habe und dann war ich wieder krank und dann lag ich zwei Wochen und dann konnte ich mich nicht mehr daran erinnern.

FM4: Das ist ja fast so, wie wenn man ein Buch liest und für einige Zeit aufhört zu lesen und dann wieder anfängt, da muss man sich auch erst wieder daran erinnern, was eigentlich vorher geschehen ist...

Amir Gudarzi: Nur mit einem Unterschied, dass du dir beim Lesen Fehler erlauben kannst, aber ich mir beim Schreiben nicht. Da musst du immer merken, wo du dann genau diesen dramaturgischen Bogen schlagen wolltest, was du vorher schon geschrieben hast, welche Infos kommen noch und welche Figur genau was gesagt hat. Das fordert leider schon, glaube ich, ein bisschen mehr Konzentration.

FM4: Der Protagonist A. in „Das Ende ist nah“ hat, wie du, szenisches Schreiben in Iran studiert und ist dann, wie du, in Österreich gelandet. Wieviel hat die Figur A. mit dem Autor A. Gudarzi gemeinsam?

Amir Gudarzi: Nichts, aber vielleicht auch viel, das kann ich nicht so sagen. Aber natürlich, das war eine Art Falle, die ich gestellt habe. Und ich habe gemerkt, dass sehr viele da reingefallen sind. Aber dass die Hauptfigur in dem Buch ein Intellektueller ist, das war meine Absicht, weil ich zeigen wollte, dass die Intellektuellen auch nicht von den Ideologien und der Propaganda des Regimes, in dem Fall etwa Antisemitismus, verschont bleiben. Und das war natürlich auch einfacher, meinen Protagonisten im Theater zu situieren, ihn das studieren zu lassen, was ich studiert habe, weil ich mich da am besten ausgekannt habe.

Amir Gudarzi

Radio FM4 | Christian Pausch

FM4: Man lernt in deinem Roman viel über Iran, aber ich finde, man lernt noch viel mehr über Österreich und seinen Umgang mit Migrant:innen. War es dir wichtig, diese viel zu selten beschriebene Perspektive aufzuzeigen?

Amir Gudarzi: Ja, mir war es natürlich wichtig, so zwei intellektuelle Personen aufeinandertreffen lassen. Eine Deutsche, die in Wien lebt und einen Iraner, der gerade hier in Österreich als Geflüchteter gestrandet ist. Damit wollte ich zeigen, welche Vorurteile diese jeweiligen Personen, die dann auch im Großen und Ganzen für eine Gesellschaft stehen, dem:der anderen gegenüber haben. Welche Vorurteile die sogenannten „Orientalen“ Europa gegenüber haben, oder welche Hoffnungen sie da in Europa setzen. Wenn sie Glück haben, fliehen können und in Europa landen, gibt es einfach eine Art Ernüchterung, dass sie dann merken, Europa ist doch nicht so fortschrittlich, wie sie dachten.

FM4: Ich finde, genau das zeigst du ja sehr gut im Roman, auch wie es ist in Traiskirchen zu sein, zum Beispiel. Davon haben die Durchschnitts-Österreicher:innen ja vielleicht gar keine Ahnung. Also da leistest du ja auch Aufklärungsarbeit.

Aktuelle Theaterstücke von Amir Gudarzi:

„Am Anfang war die Waffe“, läuft derzeit in Münster (D)

„Burg der Assassinen“ ab 08.12. in Aachen (D)

„Als die Götter Menschen waren“ ab 26.01.2024 in Mannheim (D)

„Quälbarer Leib“ ab 19.04.2024 in Detmold (D)

Amir Gudarzi: Ja, es war zwar nicht meine Absicht, Aufklärungsarbeit zu leisten, aber stimmt. Mir ging es in erster Linie um diese Frage: Was passiert mit diesen Menschen, die ihr Leben riskieren in ihren Herkunftsländern? Was passiert mit diesen Menschen, wenn sie in Europa landen? Was passiert mit ihnen innerlich? Was passiert mit ihnen äußerlich? Ich wollte auch verschiedene Sorten von Gewalt zeigen. Im Falle von Iran haben wir dann zwei Arten von Gewalt: vertikale und horizontale Gewalt. Denn die Gewalt kommt vom Regime, aber auch von der Bevölkerung untereinander. In Österreich steht eine psychische Gewalt gegenüber einer körperlichen Gewalt. Und das wollte ich veranschaulichen, was diese verschiedenen Formen von Gewalt mit Menschen machen, psychisch und körperlich.

FM4: Etwas, was nicht nur mir unerklärlich ist: Deine Theaterstücke werden in Deutschland viel mehr gefeiert als in deinem Heimatland Österreich. Ist das beim Roman nun anders?

Amir Gudarzi: Bis jetzt hat es sich noch nicht so angefühlt. Hoffentlich ändert sich das noch. Aber es ist so, wie Jesus sagte: Der Prophet gilts nichts im eigenen Land. Vielleicht ist es bei mir auch so oder vielleicht liegt es auch an meinem Namen, dass die Journalist:innen oder Theaterleute darin einfach keinen Österreicher sehen.

Buchcover

dtv

„Das Ende ist nah“ von Amir Gudarzi ist im dtv Verlag erschienen.

FM4: Wirst du dich in Zukunft jetzt wieder dem Theater widmen? Oder hast du vor, nochmal einen Roman zu schreiben?

Amir Gudarzi: Ich habe diesen Roman geschrieben, weil die Ideen, die kommen, mich so lange quälen, bis ich sie mal niederschreibe. Und das war sehr wichtig, dass ich diesen Roman niederschreibe, weil es mir natürlich im erweiterten Sinn nicht darum ging, dass ich überhaupt einen Roman schreibe, sondern ich wollte den Toten einmal eine Stimme geben. Das kommt auch in dem Buch vor - wenn man das Buch liest, dann versteht man meine Idee von Literatur. Ich sehe Literatur naiverweise vielleicht als ein kleines Armageddon, das die Toten ins Leben rufen kann. Wenn ich noch einmal das Gefühl habe, dass ich so eine Idee habe, werde ich vielleicht wieder einen Roman schreiben.

Aber ich fühle mich zu Hause im Theater, weil ich glaube, das Theater ist der letzte demokratische Ort, der für unsere Gesellschaft sehr wichtig ist. Für mich als Atheisten, der keine religiöse Gemeinschaft, keine Kirche hinter sich hat, spielt das Theater auch diese Rolle. Wenn ich am Abend ins Theater gehe, spüre ich die Menschen hinter mir in meinem Nacken, ich nehme diese Wärme wahr, diese Nähe, das alles gefällt mir. Und dann vor allem auch, was auf der Bühne verhandelt und behandelt wird. Es ist tatsächlich der letzte demokratische Ort. Miteinander ins Gespräch kommen. Und ich bin dafür, dass man Theater und seine Unabhängigkeit und Reformen, die dann auch das Theater braucht, strukturell verteidigen soll.

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