FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Szenenbild aus "Dream Scenario"

A24

Träumen Sie noch oder gehen Sie schon viral?

Die halbe Welt träumt von einem unscheinbaren Biologie-Professor namens Paul. In „Dream Scenario“ wummst es Nicolas Cage als Paul durch den Durchlauferhitzer namens „Celebrity Culture“. So ganz geht sich der Metaphernfilm über Fame, virale Sensationen und Zeitgeist-Wehwehchen nicht aus, aber Cage ist fantastisch.

Von Pia Reiser

Wer von diesem Mann nicht träumt, hat was versäumt, nämlich Teil einer kollektiv erlebten Sensation zu sein. Dieser Mann heißt Paul Matthews, ist Biologie-Professor, und wenn man ihn mit ein paar Adjektiven umreißt - Mitte 50, Halbglatze, Normcore - dann erscheint einem eigentlich Paul Giamatti vor dem geistigen Auge. Gespielt wird dieser Paul in „Dream Scenario“ aber von einer Sensation himself, von Nicolas Cage.

Und ausgerechnet von diesem erstaunlich unaufregenden Mann beginnen auf einmal Tausende zu träumen. Es beginnt mit einem Traum von Pauls Tochter, in dem Paul dabei zusieht, wie sie davonschwebt und nichts dagegen tut. Dann bemerkt Paul Blicke und Bemerkungen von seinem Umfeld, seinen StudentInnen und Fremden, und als eine Bekannte, die auch von ihm geträumt hat, über das Phänomen einen Artikel schreibt und seinen Namen erwähnt, ist das Messenger-Postfach von Paul auch schon am übergehen. In unzähligen Träumen taucht er auf.

Forever C.G. Jung

„Dream Scenario“ hat einen Indiekino-Anstrich mit Anleihen aus der stets skurrilen und meistens tieftraurigen Welt von Charlie Kaufman; einer Welt, die irgendwie so aussieht wie die, die uns gerade umgibt, sich aber dann ins Absurde, Skurrile öffnet, aber keine Erklärungen für die Absurditäten liefert. Ähnlich funktioniert auch die Welt von „Dream Scenario“.

Warum so viele Menschen zur gleichen Zeit ausgerechnet von einem US-amerikanischen Biologie-Professor träumen, den sie in den allermeisten Fällen noch nie in ihrem Leben gesehen haben, wird nicht erklärt. Regisseur und Drehbuchautor Kristoffer Borgli erzählt in Interviews, dass ihn C.G. Jungs Idee vom „kollektiven Unterbewusstsein“ fasziniert hat und er ausgehend davon ein Drehbuch geschrieben hat, in dem es einen kollektiven Traum-Protagonisten gibt. Und dann gibt es ja noch die recht irre Geschichte des „This Man“, die wohl in der Entstehungsgeschichte von „Dream Scenario“ auch eine Rolle gespielt hat.

Szenenbild aus "Dream Scenario"

A24

In seiner Hättiwenniwari-Denkschlaufe hat Paul seit Jahren damit spekuliert, mal ein Buch über die Schwarmintelligenz von Ameisen zu schreiben und dafür Anerkennung zu bekommen. Jetzt ist er berühmt, doch nicht wegen seines Wissens über ein Tier, das so aktiv ist, dass man davon mal gleich das Adjektiv emsig abgeleitet hat, um Eifer und Unermüdlichkeit zu beschreiben, sondern für etwas, wofür er nichts getan hat. Borgli überdeht hier schon fast übereifrig die Metaphernmaschine, denn nicht nur hat Paul nichts mit den Träumen zu tun - die Menschen, die von ihm träumen, tun auch nichts, weil sie ja schlafen, und was all die Träume (zunächst) gemeinsam haben, ist, dass Paul darin auch nichts tut. Er geht herum, und egal, ob von Autounfällen, Monstern oder wegschwebenden Kindern geträumt wird: Paul schaut zu.

Ein grandioser Cage

Recht zaunpfahlwinkend inszeniert „Dream Scenario“ eine Person, die fürs Nichtstun berühmt wird, oder, wie der Fachbegriff dafür lautet: Celebrity Culture. Dass sich die Medien für ihn interessieren und plötzlich der Hörsaal bei seinen Vorlesungen voll ist, freut Paul, man sieht ihn sogar mal übers ganze Gesicht lächeln, doch ansonsten bleibt Borgli auch bei der Inszenierung der Ruhmesphase zurückhaltend und - passend zu Pauls Kleidungsstil - der Normcore-Farbe Beige treu. Kein Glam, kein Glitz, kein Auftritt bei Oprah. Das Interview mit einer Fernsehstation findet via Zoom statt und eine Erwähnung von Stephen Colbert und ein möglicher Werbevertrag mit Sprite bleibt das einzige Namedropping. Das einzige, was in diesem Film schillert, ist die Performance von Nicolas Cage. Es ist nicht der Augen aufreißende, rumbrüllende Cage, sondern der ruhiger spielende Cage, der sich ähnlich wie Joaquin Phoenix in Ari Asters „Beau is afraid“ als Mann in einer Welt findet, die sich gegen ihn zu wenden scheint, denn ohne jetzt zu viel zu verraten, aber der Ruhmesmoment ist schneller vorbei, als man viral sensation sagen kann. Ari Aster war mal als Regisseur von „Dream Scenario“ im Gespräch, mit Adam Sandler in der Hauptrolle; jetzt ist Aster immerhin noch als Produzent dabei gewesen. Dass Sandler mal im Gespräch war für eine Rolle, die dann Cage übernommen hat, zeigt aber auch, dass immer klar war: Paul musste unbedingt von jemandem gespielt werden, der nicht nur ein Schauspieler ist, sondern eine larger than life-Persona, die man auch in Memes wiederfindet und bei der die tatsächliche Person und die Rollen oft nicht mehr auseinanderzudividieren sind. Also ein Schauspieler, der üblicherweise nicht hinter seinen Rollen verschwindet, sondern der als echte Person auch immer in den Film und dessen Rezeption hineinragt - nicht von ungefähr gipfelte das Phänomen Nicolas Cage ja schließlich in einem Film namens „Massive Talent“, in dem er eine Variante von sich selbst spielt. Cage selbst findet sein Dasein als Meme frustrierend, wie er in Interviews erzählt - auch deswegen hat ihn „Dream Scenario“ interessiert.

Szenenbild aus "Dream Scenario"

A24

Cage ist vor allem in den Momenten großartig, in denen ganz wenig passiert und die auch nichts mit den Träumen zu tun haben; meine Lieblingsszene aus „Dream Scenario“ ist eine, in der er einfach nur einen Lichtschalter für eine Neonröhre sucht. Und ihn nicht findet. Die stumme Verzweiflung statt des Ausrastens, die weiß Borgli hier gut zu inszenieren.

Am Montag, 25. März widmen sich Christian Fuchs und ich in einer neuen Ausgabe des FM4 Film Podcast „Dream Scenario“ und Michael Manns „Ferrari“.

Aber nicht alles an „Dream Scenario“ ist so traumhaft wie Cage. Die Metapher muss sich irgendwann schon ordentlich durchbiegen und verrenken, damit der Film mit seiner Botschaft und Zeitgeist-Abbildung noch da landen kann, wo er landen will. Aber wenn man wohlgesonnen ist, kann man das einfach auch unter „Traumlogik auf Filmhandlung angewandt“ ablegen.

mehr Film:

Aktuell: