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Szene aus "Stop Making Sense": David Byrne lässt als Zeremonienmeister im übergroßen Dienstanzug die Hütte beben.

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„Stop Making Sense“: die Talking Heads sind wieder im Kino

Auf den Listen der besten Konzertfilme aller Zeiten ist seit 40 Jahren „Stop Making Sense“ die unangefochtene Nummer eins. Zum Jubiläum tanzt David Byrne wieder im übergroßen Anzug und in 4K Restaurierung auf der großen Leinwand.

Von Martin Pieper

Die Talking Heads waren im Jahr 1983 am vorläufigen Höhepunkt ihres Ruhms angekommen. Mit der Single „Burning Down The House“ hatte es die New Yorker Band erstmals in die amerikanischen Top 10 geschafft. Mit dem dazugehörigen Album „Speaking in Tongues“ wurden die Kritikerlieblinge fast zu so etwas wie Popstars. Insbesondere David Byrne, maßgeblicher Songwriter und Frontman der Talking Heads, war der intellektuelle Posterboy der neurotisch nervösen New Wave Kultur New Yorks.

Bekannt geworden sind die Talking Heads mit schneidigen New Wave Gitarren und schlauen Lyrics über die Nöte des urbanen Hochdruck-Lebens. Über die Jahre wurde ihr knochentrockener New Wave zu einem schier grenzenlosen „Ocean of Sound“ aus Rock, Afrobeats, Discofunk und unbedingter lyrischer Zeitgenossenschaft. Zu diesem Zeitpunkt trat der junge Filmregisseur und Talking Heads Fan Jonathan Demme auf den Plan: er schlägt vor, die aktuelle Tour der Band in einen Film zu verwandeln. An vier hintereinander folgenden Abenden in Los Angeles wurde die Show der Talking Heads mitgefilmt. Das Ergebnis war die bahnbrechende Dokumentation „Stop Making Sense“, benannt nach einer Zeile aus dem Talking Heads Song „Girlfriend is Better“, ein Kinoerlebnis, das dem recht banalen Thema „Rockkonzert im Film“ ungeahntes künstlerisches Leben einhauchte.

„Stop Making Sense“ hat gleich auf mehreren Ebenen die Konventionen des Rockkonzert-Films gebrochen. So spielt das Publikum im Saal und seine Reaktion auf die Show kaum eine Rolle, die Kameras bleiben fast ausschließlich auf das Geschehen auf der Bühne fokussiert. Auch Backtage-Aufnahmen oder gar Privates abseits der Show bleibt ausgespart.

Der Film beginnt mit David Byrne, der allein auf einer zunächst fast nackten Bühne einen großen Kassettenrecorder -damals auch Ghettoblaster genannt – auf den Boden stellt, und eine Beatbox getrieben Version von Psycho Killer zum Besten gibt. Dazu weißes Licht, helle grau-monochrome Kostüme, fast schon Arbeitsatmosphäre. Und dann kommt diese alle Grenzen sprengende Band nach und nach die Bühne. Neben der Talking Heads Stammbesetzung Tina „Tom Tom Club” Weymouth, Chris Frantz und Jerry Harrison spielen Kapazunder wie Steve Scales, Bernie Worrell oder die Sängerinnen Ednah Holt und Lynn Mabry diesen furiosen Mix aus disparaten Sounds und Ideen, der bis heute nichts von seiner Faszination verloren hat. Wie man hört, kommt es auch bei den aktuellen Wiederaufführungen des Films zu wahren Dance-Parties in den IMAX Kinos dieser Welt.

So tight wie die Band ist auch der Film gearbeitet. Statt schneller Schnitte und flackernder Lichter verfolgt die Kamera das Geschehen auf der Bühne mit klarer Ruhe. „Stop Making Sense“ ist so genau gearbeitet wie die Musik, die Texte, die Kostüme und die Choreografie der Show. David Byrne ist der neurotische „Modern Man“, der schon einmal minutenlang im Kreis läuft oder mit einer überdimensionalen Stehlampe - ein besonders poetischer Moment des Films - einen Pas des Deux tanzt. Natürlich muss man auch den ikonisch gewordenen überdimensionalen grauen Anzug erwähnen, den David Byrne für einen Song überstreift. Erst unlängst hat der Anzug im aktuellen Nicholaus Cage Vehikel „Dream Scenario“ einen unerwarteten Auftritt. Und auch Byrne selbst hat ihn für die Promotion der „Stop Making Sense“ Restaurierung aus der Putzerei geholt.

Als Zuseher staunt man aber vor allem über die ausgelassene Spielfreude der ganzen Band, die offenbar einfach nur glücklich dabei ist, wie gut diese Musik funktioniert, die sie da gerade produzieren.

Ausschnitt aus dem Vorspann von "Dr. Seltsam" und "Stop Making Sense" - mit dem Fazit: der Stil ist sehr ähnlich, bei beiden Filmen war Pablo Ferro der Gestalter des Vorspanns

Pablo Ferro

Sinnlose Filmtrivia: Der Vorspann verwendet einen ähnlichen Stil wie Stanley Kubricks „Dr. Seltsam“. Kein Zufall, bei beiden Filmen war Pablo Ferro der Gestalter des Vorspanns.

Johnathan Demme sollte später mit Filmen wie „Philadelphia“ oder „Das Schweigen der Lämmer“ einer der ganz großen Hollywood Regisseure der 90er Jahre werden. Die Band selbst ist nach diesen Konzerten
nie wieder auf Tournee gegangen. Die Rockbühne wurde endgültig durch das Studio ersetzt. Interne Spannungen – im Prinzip David Byrne gegen den Rest der Gruppe – führten schlussendlich zur Auflösung der Talking Heads. Zum Re-Release des Films saßen alle vier Bandmitglieder nach langen Jahren wieder gemeinsam in ein paar Talkshows und Filmpremieren in einem Raum. Sie fühlen sich immer noch an, wie die quirky Außenseiter, die sich immer die Frage stellen „How did I get here?“. So richtig gute Freunde werden die vier wohl auch nicht mehr. Eine Reunion der Talking Heads wird jedenfalls von allen Seiten ausgeschlossen. Das ist wahrscheinlich gut so, da bleibt der eigene Mythos jedenfalls unversehrt.

A24, der Filmvertrieb der die restaurierte Version von „Stop Making Sense“ in die Kinos bringt, hat auch eine Reihe aktueller Musiker:innen gebeten, ihre Versionen dieser Songs aufzunehmen. Die Band Paramore hat schon eine ganz beachtliche Version von „Burning Down The House“ beigesteuert. Das Album wird den Titel „Everyone’s Getting Involved: A Stop Making Sense Tribute Album” tragen und weitere Coverversionen von unter anderem Miley Cyrus, Lorde, girl in red, The National oder Toro y Moi enthalten. Das wird sicher unterhaltsam, bleibt aber vermutlich eine weitere Fußnote in der langen Geschichte von „Stop Making Sense“, dem immer noch besten Konzertfilm aller Zeiten.

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