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Maximum Heartbreak: Taylor Swift veröffentlicht „The Tortured Poets Department“

Es ist dann doch mehr als nur ein simples Album geworden. Taylor Swift folgt der Devise „Mehr ist mehr“ und bringt zwei Stunden Musik raus. Das kann dann doch manchmal zuviel werden.

Von Christoph Sepin

Es gibt ein Interview mit Taylor Swift, in dem sie gefragt wird, was sie am liebsten an ihrem perfekten freien Tag machen würde: „I love to do nothing“, sagt sie als Antwort. Das ist absurd, weil das kann nicht stimmen. Als sie während der Grammys im Februar (ihre letzte Platte „Midnights“ ist das Album des Jahres geworden) ihr neuestes Projekt „The Tortured Poets Department“ ankündigte, war die logische, wenn auch bisschen zynische Reaktion darauf: Warum?

Taylor Swift befindet sich gerade mitten in ihrer gigantischen Welttour, die sie im August auch für drei Stadionkonzerte nach Österreich bringt. Sie sorgt dafür, dass Superbowl-Ratings in die Höhe schnellen, wenn sie ihrem Boyfriend Travis Kelce bei seinem Football-Spiel zuschaut und hat angeblich in nur drei Monaten 138 Tonnen an CO2-Emissionen produziert. Seit heuer steht sie laut Forbes außerdem auf der Liste der Milliardär:innen. Taylor Swift kann auch einfach kein neues Album machen. Also wieso macht sie es? Weil sie es will. Oder doch muss?

„The Tortured Poets Department“ hat Taylor Swift im quasi Geheimen über Jahre geschrieben, direkt nach „Midnights“ hat die Arbeit daran begonnen, während ihrer US-Tour. „I needed to make it“, sagt sie darüber. Es ist ihr „Lifeline“-Album und: „I’ve never had an album where I needed songwriting more than I needed it on Tortured Poets.“ Das Album ist inspiriert von den fünf Phasen der Trauer, den five stages of grief: Denial, Anger, Bargaining, Depression und Acceptance. Taylor Swift lehnt sich komplett in eine ihrer liebsten Inspirationen: das gebrochene Herz. Und sie hängt sich selbst den Titel um: „Sincerely, The Chairman of the Tortured Poets Department”. Sie wäre nicht Taylor Swift, wenn sie keinen Hang zur Melodramatik hätte.

The Anthology und eine Glückszahl namens 13

Zum Release vom Album gab’s in der Nacht noch eine Überraschung, die gar nicht so klein ist: „The Tortured Poets Department“ ist eigentlich ein Doppelalbum. „The Anthology“ heißt die Erweiterung zur Platte, mit der die Gesamtdauer auf zwei Stunden und 31 Songs anwächst. 31 rückwärts ist 13 und das ist nicht nur Taylor Swifts Lieblingszahl. Unglück zu Glück umgedreht also. Und auch hier wieder die Frage: Woher nimmt sie die Zeit das alles zu schreiben?

Vielleicht kann man das alles, nach den ersten paar Mal anhören, so erklären: „The Tortured Poets Department“ ist eine Ansammlung von swiftigen Tagebucheinträgen, Geschichten aus ihrem Leben und textlich nicht superkomplex, aber sehr schön instrumentiert. Da schafft man es schon so viele Tracks zu schreiben. Offen bleibt nur, ob man das denn auch wirklich muss. Es ist ein stereotyp-amerikanischer Zugang zu sagen: Mehr ist mehr. Und trotzdem ist das auch: Zuviel. Gibt aber, und das bleibt bei Taylor Swift ein Hauptfokus, jede Menge Gesprächsstoff. Das ist Maximum Heartbreak, das ist ganz viel zu analysieren, das sind hunderte kleine Verweise und Ideen.

Who needs a typewriter anyway?

Über Taylor Swifts Storytelling kann man sich schon ausführlich unterhalten, bevor man überhaupt noch den ersten Kaffee des Tages getrunken hat. Ist sie die große Geschichtenerzähler:in zu der sie einige erklären? Oder ist das alles doch so simpel? Ist Taylor Swift mit „The Tortured Poets Department“ selbst eine Poetin?

Was sie kann, und das muss man ihr bei aller auch oft berechtigten Kritik eher repetitive Texte zu schreiben zugestehen: Taylor Swift schreibt Geschichten dezidiert über ihre eigenen Champagne Problems. Über ihre Erfahrungen, Beziehungen, Menschen, denen sie begegnet. Trotzdem können sich sehr, sehr viele Menschen mit ihren Geschichten identifizieren. Von Teenager:innen zu Menschen in langjährigen Beziehungen, zu Hipstern und Leuten, die am Abend gemeinsam in der Wohnung sitzen, was trinken und einfach Hintergrundmusik suchen, all diese Leute finden ihren Platz im Swiftieversum.

Da kann man solche Zeilen gar nicht so arg kritisieren: „You left your typewriter at my apartment, straight from the tortured poets department. I think some things I never say, like, ‚Who uses typewriters anyway?‘“ Weil das irgendwie lieb ist und - nochmal - für Gesprächsstoff sorgt. Oder zumindest, und das ist aktuell eh wichtiger, ein gutes Meme hergibt.

Taylor & Friends

Am stärksten ist Taylor Swift auf „The Tortured Poets Department“, wenn sie an andere erinnert (mehrmals klingt sie nach Lana Del Rey) oder mit anderen zusammenarbeitet. Denn wenn du gut und vor allem einfach mit Menschen an Musik arbeiten willst, dann frag einfach deine Friends: Seit 2018 sind Taylor Swift und Post Malone befreundet, beide sind Riesenfans der Musik der jeweils anderen Person, jetzt kommen sie am Track „Fortnight“ zusammen. „Fortnight“, nicht wie das allseits beliebte Videospiel sondern wie das englische Wort für zwei Wochen. „I love you, it’s ruining my life“, ist darin schon eine super Zeile.

Noch eine Freundin ist Florence Welch von Florence and the Machine. „Sie ist die magnetischste Person in jedem Raum“, hat Taylor Swift einmal über sie gesagt. Florence wiederum sagt, Taylor ist der Mensch, wegen dem sie überhaupt den Mut gefunden hat, persönlichere Songs zu releasen, „Florida!!!“ heißt der gemeinsame Track mit drei Rufzeichen dran. Eine Glorifizierung von einem Bundesstaat, den seit Will Smith niemand mehr glorifiziert hat. Wenn eh auch zynisch: „And my friends all smell like weed or little babies and the city reeks of driving myself crazy“.

Und dann sind da die long time collaborators: Aaron Dessner spielt in The National, hat mit Taylor Swift auf ihren Alben „Folklore“, „Evermore“ und „Midnights“ zusammengearbeitet – und jetzt wieder auf „The Tortured Poets Department“. Genauso wie ein anderer Langzeitfreund von Taylor Swift: Jack Antonoff hat gleich an neun Songs am neuen Album gebastelt. Und, so schließt sich der Kreis, macht gerade ein Country-Album mit Lana Del Rey.

You look like Clara Bow in this light

Vielleicht der wichtigste, weil selbstreferentiellste Song auf dem Album ist „Clara Bow“, eigentlich der letzte Song bevor mit „The Anthology“ nochmal Lieder dazugepickt wurden. Clara Bow, das allererste It-Girl, Taylor Swift, das vielleicht aktuelle. Zumindest der größte Popstar der Welt. „You look like Clara Bow“ heißt es da einmal, dann „You look like Stevie Nicks in ’75“ und dann tatsächlich: „You look like Taylor Swift“. Ein Leben von der Weihnachtsbaumfarm zu den Los Angeles Studios: „No one in my small town thought I’d meet these suits in LA“.

Es gibt ein Zitat von Clara Bow, das geht so: „All the time the flapper is laughing and dancing, there’s a feeling of tragedy underneath, she’s unhappy and disillusioned, and that’s what people sense.” Der Superstar, lachend und tanzend auf den allergrößten Bühnen der Welt und irgendwo drunter der desillusionierte Mensch mit gebrochenem Herzen.

Es ist kein Zufall, dass Taylor Swift „Clara Bow“ referenziert, nicht nur, weil sie den Vergleich wahrscheinlich schon einmal von einem Record Executive gehört hat. Schon immer haben Heartbreak und Sentimentalität ihre Musik bestimmt. Und das erreicht jetzt, allein schon mit dem Albumtitel „The Tortured Poets Department“, die Abteilung der so richtig leidenden Poet:innen, ein neues Level.

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