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New York Magazine, 8th Feb 1971

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„The German Girl“ erzählt die dokumentarisch-fiktive Geschichte der Feelgood-Ärzte im New York der 1960er Jahre

„Supatopcheckerbunny“ Ulrike Sterblich veröffentlicht mit „The German Girl“ ihren ersten Roman. Die Titelfigur ist Mona aus Berlin, die nach New York gezogen ist, um Model zu werden und sich in der Praxis eines sogenannten „Feelgood Doctors“ mit seinen Vitaminspritzen wiederfindet.

Von Alica Ouschan

Angefangen hat alles mit dem Comic vom kleinen gelben Häschen im Titanic Magazin, das einem die Welt erklärt. Später ist die Zeichnerin des Comics unter anderem auch für Willkommen Österreich als „Supatopcheckerbunny“ im Einsatz gewesen. Jetzt hat die Zeichnerin und Urheberin Ulrike Sterblich ihren ersten Roman veröffentlicht. „The German Girl“ spielt im New York der Sechziger Jahre.

Zwischen Fiktion und Dokumentation

Die Titelfigur Mona findet sich vor lauter Glitz und Glam, Jobstress, Diätpillen und neuen Bekanntschaften in der Praxis eines sogenannten „Feelgood Doctors“ wieder. Und das ist nicht irgendeiner, sondern der legendäre Dr. Max Jacobson, ein jüdischer, aus Deutschland geflohener Arzt, der an der Humboldt Universität in Berlin studiert hat.

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New York Magazine, 8th Feb 1971

Die Reportage "„Doctor Feelgood, are you sure it’s all right?” von Susan Wood im New York Magazine deckt die Machenschaften der Ärzte auf.

Hier kommt der dokumentarische Charakter des Romans ins Spiel, denn diesen Arzt hat es wirklich gegeben. Obwohl Monas Storyline von Ulrike Sterblich frei erfunden wurde, hat die Autorin bereits vor dem Schreiben ihres Buches viel Zeit mit recherchieren verbracht. Die Epoche der „Feelgood“-Ärzte in New York, die angeblich in den Sechzigern von Politiker*innen, über Stars, bis hin zu Hausfrauen und alle, die es sich sonst noch leisten konnten, ganz legal mit Drogen versorgt haben, wurde die Grundlage der Erzählung.

Ulrike Sterblich greift damit ein zeitgeschichtliches Phänomen auf, das gar nicht so weit zurückliegt: Am 8. Februar 1971 hat die Journalistin Susan Wood ihre Reportage: „Doctor Feelgood, are you sure it’s all right?” im New York Magazin veröffentlicht und damit das Geschäft der zahlreichen Ärzte aufgedeckt, die ihre Patient*innen mit „Vitaminspritzen“ versorgten. Was genau darin enthalten ist, erfährt man im Buch zwar nicht im Detail, erwiesenermaßen experimentierten die Ärzte damals aber mit allerlei Dingen, allen voran war mit Sicherheit eine ordentliche Portion Amphetamin, also Speed enthalten.

Im Buch wird beschrieben, wie sich die elend fühlende, heisere Mona innerhalb von Sekunden nach der Behandlung nicht nur völlig erholt und gesund, sondern auch voller Energie und Tatendrang fühlt. Einen Vorgang, den auch Susan Wood in ihrer Reportage mit Selbstversuch bestätigt hat.

Prominente Patient*innen

Mona ist natürlich nicht die einzige, die sich ihre aufputschende Spritzen bei Dr. Jacobson holt. Wie nebenbei webt die Autorin unterschiedliche Erzählstränge und prominente Namen in die Geschichte ein: Starfotograf Mark Shaw, der eines Tages aufgrund einer Amphetamin-Überdosis tot in seiner Wohnung gefunden wird, John F. Kennedy oder der Sänger Eddie Fisher, Ex-Ehemann von Liz Taylor und Vater von „Prinzessin Leia“ Carrie Fisher, zählten damals zu Dr. Jacobsons treuesten Kunden.

“Nachdem die Nadel in seinen Arm geglitten war, gab es keinen wahrnehmbaren Übergang zwischen dem bodenlosen Elend von gerade eben und der Euphorie von jetzt. Max schoss Eddie einfach von hier nach dort, Einmal aus dem Keller direkt auf den Mond, in Sekunden.“

Einfluss auf die Popkultur

„Feelgood Doctors“ wie Dr. Jacobson gab es im New York der 1960er Jahre zu Hauf. Sie hatten einen nachhaltigen Einfluss auf die Popkultur, allem voran auf die Musik. Aretha Franklin mit „Doctor Feelgood“, The Rolling Stones und „Mother’s Little Helper“ oder The Beatles haben ihnen mit „Doctor Robert“ Songs gewidmet.

Auch Ulrike Sterblich ist das nicht entgangen. Am Beginn jedes Kapitels finden sich Ausschnitte aus diesen Songs, Zitate von berühmten Persönlichkeiten wie Andy Warhol, der von seinen Erfahrungen mit Drogenräuschen berichtet, Snippets aus Zeitungsartikeln über die Versuche der Journalist*innen und Behörden die Tatsache aufzudecken, dass damals jeder auf irgendwas war. Denn lange bevor sie als illegale Drogen verboten wurden, waren Amphetamine nicht nur in den Vitaminspritzen, sondern in vielen anderen Medikamenten enthalten. Wer auf Speed war hatte endlose Energie und keinen Appetit, weswegen beispielsweise besonders Diätpillen mit Amphetaminen sich dazu eigneten, das sexistische Bild der tüchtigen, schlanken, amerikanischen Hausfrau aufrecht zu erhalten.

Ein zeitgeschichtliches Porträt

Buchcover

Rowohlt Verlag

The German Girl von Ulrike Sterblich ist beim Rowohlt Verlag erschienen.

Ausgerechnet über die Diätpillen rutscht auch Mona in die Speed-Abhängigkeit. Am Beispiel der fiktiven Hauptfigur wird die Schattenseite der „Feelgood“-Behandlungen in einem humorvoll-ironischen Reifungsprozess, inklusive Paranoia, romantischen Affären mit zwei komplett gegensätzlichen Männern und Kontrollverlust authentisch veranschaulicht. In der, auf wahren Begebenheiten beruhenden, krimiartigen Nebenhandlung, kommen währenddessen die Behörden den Machenschaften der Ärzte langsam auf die Schliche.

Im Page-Turner „The German Girl“ zeichnet Ulrike Sterblich ein durchgängig spannendes, ausgezeichnet recherchiertes, zeitgeschichtliches Porträt über ein prekäres Thema. Sie arbeitet damit eine Epoche auf, die trotz ihres Skandalpotentials und ihrer zeitlichen Nähe, beinahe schon in Vergessenheit geraten ist. Die Autorin meistert in ihrer Erzählung den herausfordernden Spagat zwischen Glamour und Abgrund, ohne dabei in drogenverherrlichende Glorifizierung abzudriften oder das Besprochene zu verteufeln. Durchgehend erschafft sie außerdem eine filmische Atmosphäre und zeichnet mit ihrer Sprache authentische Bilder einer 60er Jahre Ästhetik, die auf eine baldige Verfilmung des Romans hoffen lässt.

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