FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

The National

Beggars Group

musik

The National und ihr neues Album „First Two Pages Of Frankenstein“

Das Unglück in Schach halten: The National und ihr neues Album „First Two Pages Of Frankenstein“.

Von Lisa Schneider

Stellt euch das Bücherregal eines Menschen vor, der jahrelang in der Belletristikabteilung des Magazins „The New Yorker“ gearbeitet hat. Besagter Mensch mit besagtem, wohl ziemlich gut sortiertem Regal ist Carin Besser, die seit zwanzig Jahren mit Matt Berninger zusammen ist. Der schreibt und singt, wenn er es denn gerade tut, für seine sehr gute Band The National. Und Carin, die schreibt auch regelmäßig Texte, gemeinsam mit Matt Berninger, für The National.

The National Albumcover "First Two Pages Of Frankenstein"

4AD / Beggars Group

Es ist nicht das erste Mal, dass Matt Berninger im Vorfeld zum Album-Release erzählt, er habe sich vom Bücherregal seiner Frau inspirieren lassen. Ist ja auch nicht weiter verwunderlich, wie soll jemand, der kein Lesender ist, ein Schreibender sein, und umgekehrt. Dass es jetzt gerade Mary Shelleys 1818 veröffentlichter Schauerroman „Frankenstein“ werden sollte, ist es dann vielleicht schon.

Aber soviel vorab: Die ersten beiden Seiten von „Frankenstein“, die dem neuen Album von The National jetzt also den Titel geben, sind noch weit entfernt vom Horror der mittleren und der letzten. Sie skizzieren nur grob die Rahmenhandlung, in der ein Kapitän auf dem Weg zum Nordpol an seine Schwester schreibt: „Ich bin im Begriff, zu einer langen und mühseligen Reise aufzubrechen, bei der unerwartete Schwierigkeiten all meine Festigkeit erfordern werden.“ Der Kapitän (Berninger) hat ja aber auch noch andere Menschen (Band) mit auf seiner Reise: „Es ist meine Aufgabe, nicht nur das Selbstvertrauen anderer zu stärken, sondern manchmal auch mein eigenes aufrecht zu erhalten, wenn ihres sie verlässt.“

Soweit die schöne Inszenierung und halt auch der Hammer eines Albumtitels. Soweit die Kraft der Wörter. Und soweit die nüchterne Tatsache, wie wenige Bands neben The National es schaffen, genau diese schönsten Wörter und die ihnen folgenden Ideen immer wieder für die eigenen, wunderbar traurigen Musikmärchenerzählungen zu nutzen.

2019, das letzte The National-Studio-Album „I Am Easy To Find“ ist draußen und eh in Ordnung, vor allem aber ist die Luft raus. Die Bandmitglieder - neben Matt Berninger auch noch Aaron und Bryce Dessner sowie Scott und Bryan Devendorf - leben über Kontinente verstreut und arbeiten jeweils an eigenen, teils höchst ambitionierten Projekten (die Bandbreite erstreckt sich von Filmmusikprojekten über Ballette bis hin zur Produktion der Musik internationaler Pop-Superstars wie Taylor Swift oder Ed Sheeran).

Matt Berninger lebt mit Frau und Tochter in L.A., verkriecht sich da, weil die Schreibblockade wird bald von einer tiefen Depression abgelöst. Man wurstelt weiter. Die Songskizzen kommen aus Südfrankreich oder aus Brooklyn, je nachdem, welcher Dessner-Zwilling gerade mehr Zeit hat, irgendwann landen die fünf Musiker, die seit ebenfalls zwei Jahrzehnten den alternativen Rockstartraum teilen, wieder im Studio in Upstate New York.

Den Tritt oder eher liebevollen Schubser vorwärts haben dann aber jedenfalls die ersten Tage auf Tour bedeutet, 2022, endlich wieder. Das ist so gut gelaufen, dass die Band neue Lieder wie „Grease In Your Hair“ und „Ice Machines“ gleich oder zumindest teilweise live mit aufgenommen haben. Im Jänner veröffentlichen sie verschwommen-verzitterte Instagram-Teaser, dann kamen da auch schon bald die einige Singles. „Tropic Morning News“ ist die erste, und sie bleibt am gesamten Album die beste. Der Titel gleich vorweg fantastisch pointiert und tragikomisch, eine Hässlichkeitsverschönerung einmal mehr geschrieben von Carin Besser. Es geht ums sogenannte „Doom-Scrolling“: Wieviele schlechte Nachrichten kann ein Mensch täglich ertragen?

Matt Berninger hat aus dem Ideenfunken dann das gemacht, was er am besten kann und schreibt über Beziehungszerbröselungen im Tausch gegen seinen inneren Frieden (in einem Interview mit dem Guardian sagt er, seine Ehe wäre nur deshalb glücklich, weil er regelmäßig, zumindest lyrisch, in den Abgrund blickt).

Das kommt sehr nah ran an das, wie’s geklungen hat, damals, 2007, 2010, in der Zeit, in der diese mittlerweile sehr reichweitenstarke Band ihre ersten richtig erfolgreichen Alben veröffentlicht hat. Musikalisches Mäandern, sehr elegant, sogar so sehr, dass es stellenweise die produktionstechnische Raffinesse untergräbt. Wer nicht protzen muss, protzt nicht, so oder so ähnlich steht’s im Band-Exposé. Die Wortwahl in diesen Refrains ist oft so einfach, dass man sich fragt, wer hier der Dichter ist (etwa: „You should take it, cause I’m not gonna take it“). Dabei ist das eigentlich nur die Definition von Musik, die nichts mit Oberfläche zu tun hat. Das ist Musik, die sich schält und schält, bis man, wenn man an der Supermarktkassa steht und leise „Your mind is not your friend“ vor sich hinsummt, merkt, dass man an gar nichts anderes mehr denken kann.

Auch die schlichte Zeile und Weisheit „Your mind is not your friend“ hat sich Matt Berninger von seiner Frau geborgt. Und noch was dazu: die Stimme von Phoebe Bridgers und vor allem auch ihr Talent, über die Seiten an sich selbst zu schreiben, die sie am wenigsten mag. Sie ist Feature-Gast auf besagtem Song und auf einem weiteren, er heißt „This Isn’t Helping“, die Betonung liegt unbedingt auf „Feature“. Ein Duett hätte zumindest eine gewisse Prominenz der Zweitstimme vorausgesetzt, am allerehesten ist das noch beim Gastauftritt von Taylor Swift auf „The Alcott“ der Fall. Taylor Swift und die Mitglieder von The National umkreisen sich schon seit guten zehn Jahren, seit sie sich bei der Show „Saturday Night Live“ kennengelernt haben. Mittlerweile hat Aaron Dessner mehrere ihrer Alben produziert, und weil Taylor Swift selbst Riesenfan ist, war sie Riesenfan der Idee, dieses halbvollständige Lied von The National zu fertigzuschreiben.

Der Vollständigkeit halber sei hier auch noch der Gast am Albumeröffnungssong erwähnt, „Once Upon A Poolside“ ist gemeinsam mit Sufjan Stevens entstanden. Es ist seiner Kunstfertigkeit zuzuschreiben, anhand nur sehr sanfter Backingvocals ein ganzes Universum aufzumachen, das wiederum verrät, mit wem Matt Berninger da singt.

Das klingt zuerst wehleidig, zumindest für die Menschen, die die Einstellung teilen, dass mehr Sufjan Stevens noch keiner Platte geschadet hat. Aber! Unterm Strich ist das alles viel besser so. Wenn wir seit dem letzten Album von The National eines wissen, dann, dass manche Kollaborationen halt auch einfach nicht sein müssen. Sobald eine Band auf ihrem eigenen Album wie der Feature-Gast klingt, ist was schief gelaufen.

Dass jetzt Matt Berninger mit seinem verschnurrten Bariton bei all den genannten Kollaborationen im Vordergrund steht, ist nicht Ego-Zurschaustellung, sondern korrekte Selbsteinschätzung. Sei Dank etwa singt er auf der ebenfalls schon vor Albumrelease veröffentlichten Single „Eucalyptus“ alleine. Gerade die hätte sich sehr gut aufgedrängt, ihn ins Zwiegespräch zu verwandeln: Ein Paar hat sich getrennt, jetzt wird die Liebe und die Wohnung aufgelöst. Wer nimmt die The Afghan Whigs-Platten? Wer nimmt den titelgebenden Eukalyptus, wer nimmt die Kameras mit, und überhaupt, wer nimmt die Fotos mit? Ein Lied, das inhaltlich auf Fragen aufbaut, ist meistens ein gutes Lied, weil es sich nicht klüger gibt als die Zuhörer*innen. Im besten Fall ist das eine der vielen Schnittstellen zwischen Pop und Publikum.

Bittersüß und zum Zusammenkringeln traurig, es wird viel geweint werden im Live-Publikum zwischen München und New York. Und eben weil man Lieder zum Thema fehlgewanderter Zwischenmenschlichkeiten schon so oft gehört hat, lässt sich eine gute Band daran erkennen, dass sie die Variation nicht nur mag, sondern auch kann.

Es ist kein Geheimnis, dass meistens die Geschichten, an denen man sein eigenes, unspektakuläres Leben messen kann, die beliebtesten sind. Es ist nicht nur kein, sondern sogar das Geheimnis der großen, amerikanischen Erzähltradition. Wir können das bei Autor*innen wie Raymond Carver, Richard Yates, (aktuell auch endlich ins Deutsche übersetzt) bei Joy Williams oder bei Amy Bloom nachlesen, wie es Matt Berninger selbst gern tut. Auch, wenn er witzelt, dass er eigentlich eher eine Vorliebe für Klatschmagazine hat und die, die wirklich viel lesen, seine Bandkollegen und seine Frau wären. Und da wären wir ja wieder da, wo die Sache mit den schönen Worten und den traurigen Geschichten (diesmal) begonnen hat.

mehr Musik:

Aktuell: