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Bon Iver @Arena Open Air Juni 2023

David Bitzan

The importance of being earnest

Bon Iver haben am Mittwoch ein ausverkauftes Konzert in der Open Air Arena Wien gespielt.

Von Lisa Schneider

Irgendwas haben sie gemein, der große, soeben verstorbene, amerikanische Schriftsteller Cormac McCarthy und Bon Ivers Justin Vernon. Es ist nicht der doch schon auch immer warme Nihilismus, mit dem McCarthy geschrieben hat, und es sind ganz sicher nicht Pathos und Kryptik, die Justin Vernon so gern über all seine Wörter streut. Ein Quiz im großen, weiten Internet will Aufschluss geben: Die Songs von Bon Iver wären genauso wie McCarthys Bücher „just vehicles for talking about sadness and trees“. Nicht unwahr, jedenfalls aber haben beide bis jetzt versucht, die amerikanische Gegenwart in Bezug auf die Machtlosen festzuhalten; vor allem aber sind beide jeweiligen Werke so ernsthaft gedacht und gemacht wie wenig in der aktuellen amerikanischen Literatur- oder Musikproduktion.

Bon Iver @Arena Open Air Juni 2023

David Bitzan

Ernsthaftigkeit ist nämlich das Wort, das man schon gut runterschlucken können muss, stellt man sich bei Bon Iver vor die Bühne. Und nicht nur, dass hier nicht gelacht wird. Der Wind, der einem am Weg von der U3-Station Erdberg zur Arena entgegenweht, riecht schon fast nach Genie. Kostbare Momentaufnahmen, ein knackevoll ausverkauftes Konzert, ein überwältigender Titel wie „Heavenly Father“ als Opener des Konzerts. Dass das alles zum Teil natürlich auch sehr gut konstruiert ist, sei dahingestellt.

Niemand betreibt Anti-Personenkult so personenzentriert wie Justin Vernon. Er versucht es eh, aber so läuft’s nicht im erfolgreichen Musikbusiness. Wer die Grammys daheim am Fensterbrett stehen hat und Menschen wie Taylor Swift oder Kanye West auf der Kollabo-Liste, der kann sich nicht mehr so richtig gut verstecken. Justin Vernon macht das Beste draus und steckt immerhin während der gesamten Show wie gewohnt unter Stirnband und großen Kopfhörern. Er sagt wiederholt und offenbar aufrichtig überrascht „Thank you, you beautiful people“, schüttelt die Hände im Kreuz. Rock’n’Roll war noch nie so unsexy, aber dann: Das ist ja auch gar kein Rock’n’Roll.

Bon Iver @Arena Open Air Juni 2023

David Bitzan

Grad noch könnte man nachdenken über die, die es anders machen, weil genau so eine Band ja auch gerade in der Stadt war. The 1975 haben vorletzten Montag in der Wiener Stadthalle gespielt, so sieht Körpereinsatz, Meta-Arroganz und somit Gallagher-Liebe im Jahr 2023 aus. Es gibt sie aber trotzdem, die Schnittstelle zwischen diesen beiden Bands. Matty Healy hat mal einen Satz gesagt, der wie wenig andere auf das gesamte Oeuvre, sicher aber auf die letzten sieben Releasejahre von Bon Iver passt. Ein Song, meinte Matty, bekäme sein Genre erst in dem Moment, in dem der Musiker, die Musikerin ihn spielt. Davor wäre er einfach nur der Kern, die Melodie und der Text. Ob jetzt also Folk oder Metal, liegt nur an der Art, wie das Lied gespielt wird. Man spürt es unter dem Sturm in diesen Liedern, Justin Vernon nimmt sich alle Mittel und lässt sie fliegen.

Bon Iver @Arena Open Air Juni 2023

David Bitzan

Mit „22, A Million“ ist Bon Iver 2016 ein Geniestreich gelungen. Ein Album, auf das es zutrifft, das oft gesagte „Das hab’ ich so wirklich noch nicht gehört“. Und das nicht nur, weil für die Albumproduktion von Engineer Chris Messina eine eigene Software entwickelt worden ist. Justin Vernon hat auf diesem Album mithilfe verschiedenster Verfremdungstechniken das ganze, schöne, knusprige Folkuniversum, das er aufgebaut hat, als eine Art guter Geist der Gegenkultur in Trümmer geschlagen. Wucht und Störfrequenz, Autotune, Diktiergeräte, das große Schnaufen. Der nächste Versuch, uns verloren zu gehen, aber da hat er nicht ausreichend mitgerechnet. Das ist Musik für Menschen, die im besten Fall selbst Musik machen oder ein bisschen was von den ganzen bunten, fiependen Kästchen verstehen, die da aktuell auf Tour durch Europa getragen werden. Ist das aber jetzt auch Musik für unbedarfte Genießer*innen?

Schon, ja. Über Matty Healy hanteln wir uns in dem Zusammenhang noch ein Stückchen weiter zu Taylor Swift (vergebt mir). Der von Bon Iver am zweithäufigsten gestreamte Song ist „exile“, und der ist ein Feature mit eben ihr (der erste muss Tränendrüsenspezialist „Skinny Love“ bleiben). Taylor Swift ist mit Justin Vernon, mehr noch aber mit der anderen Hälfte seiner Berühmte-Freunde-Band Big Red Machine (Aaron Dessner) gut befreundet. Und sie schreibt halt auch sehr gute Lieder, frei von Genre, da wären wir wieder am Ausgangspunkt. Mittlerweile - und aktuell sogar noch mehr als früher - will Justin Vernon seine Band als Familie verstanden wissen, die auch etwaige Feature-Songs (wie kürzlich das Neil-Young-Cover von „Heart Of Gold“ mit Ilsey) unter dem Namen „Bon Fam“ herausbringt. Vielleicht ist das aber auch schon ein Teaser für ein neues Album, Zeit wär’s.

Bon Iver @Arena Open Air Juni 2023

David Bitzan

2019 haben Bon Iver ihren letzten Langspieler mit natürlich wieder haarspaltendem Titel „i, i“ veröffentlicht, es war sehr gut, wenn auch keine Überraschung. Darauf kommt er uns entgegen, eben denen, die von den fiependen Kästchen keine Ahnung haben, und aber auch denen, die schon. Die gestrige Setlist bestreiten Bon Iver zum Großteil aus besagtem, letztem Album, und da findet alles zusammen.

„Hey Ma“ ist melodisch nur live zum Heulen schöner als ohnehin schon die Studioversion, „iMi“, gestern ohne sonstigen Featuregast James Blake ein Einstieg in die seltsame Mystik, die dieses ganze Projekt umwebt. Oder hört euch das an: „715 - CRΣΣKS“, „Sh’Diah“, „Naeem“. Worte erfinden und Namen, die man nicht kennt, verwenden, das alles aber unterm Schild des „all together“. „10 d E A T h b R E a s T“ ist das Beste an Wahnsinn, seit der im Pop ein- und ausgehen darf. Die Bläser seufzen dazu im Hintergrund, ist das Geräusch oder ist das schon Musik, wo darf ich hineinatmen, alle wollen dabei sein.

Bon Iver @Arena Open Air Juni 2023

David Bitzan

Das ist alles unfassbar gut gemacht, das Publikum entscheidet sich am Ende aber immer für die Wärme. Es tun immer noch die Momente am meisten weh und gut, in denen nichts verfremdet ist, in denen Sätze wie „Your love will be save with me“ ganz alleine dastehen. Da wären wir bei der Diskrepanz zwischen künstlerischem Anspruch und: Gib den Menschen, was sie wollen. Die Lichterkegel, zwischen und in denen sich die sechs Bandmitglieder während des Abends aufhalten, leuchten auf den Nachthimmel über der Arena Wien abgestimmt in verschiedenen Farben. Auf der Bühne stehen zwei Schlagzeuge, diverse Synthesizer, der Gitarrist greift auch mal zum Saxofon, der langjährige Freund und Begleiter Sean Carey arbeitet sich an Drums, Keys und Backing-Gesang ab. Bass und dann die Streicher vom Band, und schon ist Schluss mit der Aufzählerei, verleitet einen ja nur die Ausgefuchstheit des Auftritts zu so faden Dingen. Festhalten und in Worte fassen, so ein fast unbezwingbarer Drang, er lässt sich hier schwer einlösen. Wenn aber, dann gebt ihnen eins: Hypnose.

Der heilige Ernst also, tut gut, weil es anders ist, und tut gut, weil es zur Abwechslung mal sehr schön ist. Also wieso nicht zum Schluss nochmal Ernsthaftigkeits-Meister-Quiz, wer hat’s geschrieben, Cormac McCarthy oder Justin Vernon? „Life is a memory, then it is nothing.“ Die Antwort ist da draußen irgendwo und trifft eigentlich auf beide zu, die Unterhalter in der Kulturindustrie arbeiten alle im „memory making business“. Der Satz bleibt ein kleines Meisterwerk.

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