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Deichkind

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Rückgrat und Randale: Deichkind live in Wien

Am Mittwochabend haben Deichkind mit 10.000 Fans Tour-Kick-off in der Wiener Stadthalle gefeiert.

Von Lisa Schneider

Da war einmal eine Band, der war es scheißegal, was ihr von ihr haltet oder als was ihr sie bezeichnet. Das ist ja prinzipiell immer eine gute Prämisse für künstlerisches Schaffen, und wenn man das weiterdenkt, sogar eine sehr inklusive, um einmal ein abgenutztes Wort hier hinzuschreiben. Mit denen kennen Deichkind sich aus, viel mehr aber noch mit den prolligen und den schönen.

Seit einem Vierteljahrhundert ziehen Deichkind sich und ihr Umfeld an der Schnittstelle Selbst- und Fremdwahrnehmung durch den Kakao, und was dabei ja der eigentliche Wahnsinn ist: Sie treffen den Ton richtig, nämlich sehr gezielt vorbei an allem, was Moralapostel euch sagen würden. Sogar jetzt noch, wenn es auf dem neuen Album tatsächlich schon ein bisschen um den Klimawandel geht und darum, wie scheußlich Campen im sauren Regen ist. Wenn nämlich klar ist, dass eben auch Deichkind für Fridays For Future spielen und sich auf die Seite der Anklägerinnen im Fall Lindemann stellen. Dass sie vor ihrem Konzert in Wien ein Statement posten, das unter anderem die Info beinhaltet, dass sie auf ihren Konzerten kein diskriminierendes Verhalten dulden. Jo eh, denken sich die meisten Menschen, die das lesen, aber dann wieder jo, eh, lest die Schlagzeilen, so sieht’s aus in der Welt.

Deichkind

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Man willsoll moralisch richtig handeln, weil so ist das, mit der Verantwortung ganz oben, man will halt aber auch feiern und vor allem sich ein bisschen verweigern gegen diese Wohlstands-Glücksverpflichtungen. Rückgrat und Randale gestern in der nicht ausverkauften Halle, Musik also, die ins große Sammelbecken „Man kann dazu tanzen, aber auch ein bissi nachdenken“ fällt. Eine gute Band geht nicht nur mit den Themen der Zeit, sie geht auch mit dem Umgang mit den Themen der Zeit. Goldstücke wie „Electric Super Dance Band“ oder „Aufstand im Schlaraffenland“ waren noch saftige Aufforderungen, das Gegenteil vom Verlangten zu tun. Das muss heute alles - obwohl Situation ärger - subtiler passieren, vielleicht weil die Gemüter doch schon auch ein bisschen übersensibel und die Zivilisationsneurosen stärker geworden sind. Es war früher nie besser, aber eigentlich schon ein bisschen.

Menschen sind sich jedenfalls einig, das ist schon wieder sehr gut im Nagel- und Kopftreffen, dieses neue, achte Deichkind-Album „Neues vom Dauerzustand“. Es strömen gestern vorwiegend Menschen mittleren Alters in die Stadthalle, die mit dem Wort „loyal“ sehr viel anfangen können. Man muss das alles eh nicht mögen und kann das alles zu plakativ finden, aber selbst dann bleibt es noch ein arger Zirkus der Lebensrealitäten, der hier vor Auge und Ohr aufgeführt wird. Die Texte nach wie vor so knusprig wie Butterkeksbrösel, „fly wie ein Mönch“, „gefährliches Halbgoogeln“, „in der Natur gibt es weder Kuchen noch Empfang“. Das ist herrlich deppert und schon ziemlich gut, gerade weil Deichkind dem Lustigkeitsfaktor unser aller Früh-Teenie-Phase zuwinken. There are no guilty pleasures.

Deichkind

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Und dann die Show. Deichkind feiern hier, in Wien, Tour-Kick-off. „Kinder, das ist der Stundenplan für heute“, tippen sie auf Instagram (ihr Channel, eine große Empfehlung), „Mathe fällt aus!“. Generationenschmäh, aber statt der Schutzhand über den Kinderköpfen lieber die Zusammenfassung einer homogenen Gruppe im Dauer-Auszuckzustand. Hier steht der oberösterreichische Jungbauer neben der Philosophiestudentin neben dem Typen mit zwei erwachsenen Kindern zuhause, der dir täglich deinen coffee to go verkauft. Auch alles nur Professionen als Zeitvertreibe wider die Angst, die Welt und das Leben. Deichkind legen das alles frei, die Lächerlichkeiten, die uns trennen, die man immer dann erkennt, wenn es um die großen Dinge geht. Die Welt ist am Arsch und in Europa herrscht Krieg. Deine Schuhe kommen noch immer aus China.

Deichkind machen Party als Ganzkörpererlebnis, auch wenn wir das alles mit ihnen schon mal eine Spur ärger erlebt haben. Während einer kurzen Frischluftpause in Yasmo gestolpert, die das gewohnt süß beschreibt als eine Art von „wären choreomäßig gern bei Beyoncé“, sind es natürlich aber nicht. Die Bierdusche jedenfalls ist gestern einmal mehr noch das mindeste, das dir hoffentlich nicht passiert. Es ist ein Happening zwischen Oktoberfest, Akademietheater-Einflüssen und der Frage, was die Steigerung von Ich-kenne-mich-nicht-aus lautet. Das ist stellenweise genauso schrecklich und gewollt, wie es hier steht. Dann aber wieder: Deichkind bringen die Kapitalismuskritik raus bis aufs letzte, versteckte Feuerwehrfest. Wer macht es ihnen nach.

Deichkind

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Gerade bei Deichkind ist dieser Job des Bühnenshowbeschreibens halb-blöd, weil Plattitüde: Man sollte das alles schon einmal gesehen haben. Durchchoreographierte Auftritte zwischen Schattenspiel und Strobo-Effekt, Reiten auf der übergroßen, roten Chanel-Tasche, ein Kammerspiel der Absurditäten und überladenen Kostüme, und immer leuchten und blinken irgendwo Stäbe und Hüte. Natürlich gibt es hier Tänzer und Statisten, überdimensionierte Körper und Boote, die durchs oder übers Publikum geschleppt werden. Auf manche Traditionen will niemand verzichten, es ist eine Endlosschleife der Begeisterung, sie „haben alles schon erlebt“, jetzt eben nochmal mit Geheimratsecken.

Die Lieder tun das Übrige, anfangs mehr neue, hintenraus dann die Draufgeher. Bevor andere sich den Algorithmus zum Freund gemacht und ihre Lieder gleich zu Beginn auf „Hau raus“ getrimmt haben, haben Deichkind eh schon nur Hits geschrieben. Hits und Hooklines und immer den einen Satz, den man sich gern auch auf den linken Unterarm tätowieren lassen könnte. Cool und abgebrüht und immer auch ein bisschen funny, so, wie die meisten gerne wären. Von Deichkind kriegen sie ihr Wörterbuch.

Wird jetzt also „Lecko mio“ wirklich zum neuen „Last Christmas“ einer Generation, die zum Christkind eh lieber auf den Balearen Cocktails schlürft? Deichkind haben es prognostiziert, wir werden wahrscheinlich herausfinden, dass es stimmt. Da sitzen wir am Gipfel der Schrecklichkeiten, Hedonismus und Intellektualität in Dosen, zwischen Wörtern wie „ballern“ und „rasieren“. Der Beat kickt und es ist alles auch ein bisschen egal. Glückliche Menschen überall.

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