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Die Ärzte am FM4 Frequency 2023

APA/FLORIAN WIESER

Diese eine Liebe

Gerne 5000, zumindest aber drei Texte über Die Ärzte an dieser Stelle. Genauso oft sind sie heuer schon in Österreich aufgetreten, zuletzt gestern Abend in der ausverkaufen Open Air Arena Wien. Die beste Band der Welt?

Von Lisa Schneider

Stellt euch vor, ihr lernt eine Band anhand eines Acoustic-Albums kennen, und denkt dann, das sind die Songs, und so klingen sie. Dann hört ihr irgendwann die „normalen“ Lieder, die Studioversionen, und die sind eh gut, aber eigentlich auch nicht ganz so super wie das, was sich da in der stripped down Version abgespielt hat. Bands sind immer so gut wie der Moment, in dem man sie kennenlernt, das hat viel mit Alter, (fehlendem) Geschmack und sonstigen Weisheiten zu tun und ist obendrauf eine grundessentielle Sache, redet man mit Fans oder auch anderen Menschen über Gruppen, die viele mögen, und viele nicht.

Easy to catch, wenn man also noch nicht so viele Jahre zählt, es war dann eben beim 20+1 Jahre alten „Rock’n’Roll Realschule“-Album soweit, MTV-Zeiten. Die besten Musikliebesgeschichten beginnen früh und sind hyperemotionsgeladen. Das ewige Band-Maskottchen Gwendoline baumelt am Cover und eh auch an den verplakatierten Seitenwänden der Bühne, die Krawatten sitzen locker und das Beste sind Realschulchor und -orchester, die das Backing geben. Zu diesem mittelalten Zeitpunkt (aktuell zählen Die Ärzte schon 40+1 Jahre Bandbestehen, gegründet 1982) haben Die Ärzte Trennungen von Bandmitgliedern und Auszeiten hinter, und Nebenprojekte vor sich. Vielleicht macht sie dieses Album zur besten Band der Welt.

Man kann sich gerne die hundert Podcastfolgen, die es zur Geschichte der Ärzte gibt, anhören, man kann sich durch herrlich-schrecklich-langhaarige Fotos wühlen, man kann sich viele Interviews durchlesen und daran ungefähr ermessen, wie groß und wichtig diese Gruppe für die deutsche Musikgeschichte ist. Früher mal am Index, mittlerweile durchaus zahmer (ist „Du bist unrockbar“ nicht die liebste Art zu sagen „Ich hasse dich?“). Das ist der Zeit, nicht mal unbedingt der Band geschuldet, und überhaupt: Was war damals, und was ist heute Punkrock?

Befragt man Die Ärzte zu ihren Anfangstagen, zum Bespielen besetzter Häuser und ein paar DDR-Aufregern, sagen sie selbst, die Menschen hätten sie größtenteils ausgelacht. Was Die Ärzte nämlich damals wie heute mitbringen, ist Selbstironie, und das hat vielen, die sich selbst zu ernst nehmen, nicht so gut gefallen. Dabei ist das, schreiben wir’s hin, das Wichtigste, das man von dieser Band lernen kann. Vielleicht macht sie das zur besten Band der Welt.

Man kann eh gute Songs schreiben und die gut meinen, man kann die Anti-Nazi-Hymne in die Welt hinaustragen (ja, es ist das „Arschloch“-Lied) und sich trotzdem bewusst werden müssen, dass es immer eine Gruppe minderbehirnter geben wird, die die falschen Schlüsse ziehen. So viele Jahre, so viele Lieder, ein paar gibt’s dann eben auch im Ärzte-Katalog, die sie nicht mehr spielen wollen.

„Geschwisterliebe“ dürfen sie eh per Gesetz seit 1987 nicht mehr spielen, aus reinem Bandbeschluss werdet ihr aber auch unter anderem die 1998er-Nummer-1-Single „Männer sind Schweine“ so nicht mehr live hören. Letztgenannter Song hat mittlerweile nur noch am Ballermann Hochkonjunktur. Stattdessen hören wir am Nova Rock, am FM4 Frequency und in der Open Air Arena ein paar Dauerbrenner und auch die „Ich-hol-mir-jetzt-ein-Bier“-Lieder. Nicht in letzte Kategorie gehören natürlich unter anderem „Langweilig“, „Ist das noch Punkrock“, oder „Der Graf“. Das sind Die Ärzte nämlich auch: sanft, wenn’s drauf ankommt. Sie schnitzen der Arena Wien ad Geschichte, Ortskunde und Aufrührer-Spirit ihr bis jetzt nicht bestes Set, aber ihr bestes heuriges Österreich-Konzert. Vielleicht macht sie das zur besten Band der Welt.

Wäre „Kabarett“ nicht ein furchtbarstes Wort überhaupt, dürfte man den gestrigen Ärzte-Abend schon auch so, und eh wie immer, im Kalender notieren. Farin grinst, Rod grinst, Bela steht und geht und verteilt Sticks ohne Ende, vor allem aber redet er. Wer sich aktuell so mag, muss sich fast schon mal gehasst haben, und natürlich war das bei den Ärzten ganz genauso, „ach Farin, du Tiefstapler, wir sind die Besten!“. Wer sich diese Band aktuell live ansieht, sieht die Überwindung dessen, was man Erfolgsstreben nennen könnte, der sieht da Menschen, die wissen, was sie nicht können, und was sehr gut.

Die Ärzte am FM4 Frequency 2023

APA/FLORIAN WIESER

Bela B beim Die Ärzte-Auftritt am FM4 Frequency Festival 2023, weil neben Interviews gab’s auch das in der Arena nicht: Fotos.

Immer also mit Menschen reden, von der Bühne runter oder in der Crowd, mit Menschen, die auch für immer prägende, erste Jugendbegegnungen mit dieser Band hatten, mit Menschen, mit denen man sonst nie Seite an Seite steht, mit Menschen, die ganzjährig Die-Ärzte-T-Shirts tragen, mit Menschen, die sich über diesen Artikel ärgern werden, weil Vieles fehlt, was ihnen wichtig zu lesen gewesen wäre. Mit Menschen, deren Lieblingsalbum der Ärzte vielleicht „13“ war oder doch eher „Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer!“, oder vielleicht „Planet Punk“. Mit Menschen wie Teilen der Leftovers oder Alex Köck und Stephanie Widmer von Cari Cari reden, weil auch die sind Ärzte-Fans.

Mit den Menschen reden, die vor der Arena Wien sitzen, weil sie keine Tickets für gestern, oder wohl auch für heute Abend mehr bekommen haben, das Vorverkaufsspiel war im heurigen Sommer nur manchmal so zach wie hier. „Herbst des Lebens“ nennen Die Ärzte ihre aktuelle Tour, die sie durch Österreich, Deutschland und die Schweiz führt, man darf davon ausgehen, dass der Titel sich nicht auf die Band, sondern auf die tatsächliche Jahreszeit bezieht. Vielleicht macht sie das zur besten Band der Welt.

Was sagen diese Menschen, die gestrigen Arena-Besucher*innen also? Sie sagen, dass Die Ärzte ihre Lebensbegleiter sind. Manche Erklärungen sind einfach und deshalb nicht weniger wichtig, die meisten Musiklieben je länger, je tiefer. Für viele seit 20+1 Jahren, für andere seit 40+1 Jahren, für manche seit gestern. Natürlich sind Die Ärzte nicht die beste Band der Welt, und für viele sind sie das schon.

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