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Eva Reisinger Fm4

Livia Praun

„Männer töten“: Das Matriarchat in der oberösterreichischen Provinz

Eva Reisinger erzählt in ihrem Debütroman von dem fiktiven Dorf Engelhartskirchen, in dem die Frauen grenzenlos zusammenhalten und sich gegen Gewalt wehren. Eine spannende Revenge Story, die eine neue Perspektive auf das Thema Gewalt gegen Frauen eröffnet.

Von Livia Praun

Wenn man den Titel „Männer töten“ liest, denkt man wohl am ehesten, dass es in der Geschichte um Männer gehen wird, die andere Menschen töten. Aber gleich auf den ersten Seiten von dem Buch wird einem klar, dass es hier um etwas anderes geht, denn da steht:

Triggerwarnung: In diesem Buch sterben Männer.

„Männer töten“ spielt im fiktiven Dorf Engelhartskirchen. Dorthin zieht die Protagonistin Anna Maria - raus aus dem stressigen, deprimierenden Berlin, weg von ihrem coolen DJ-Studenten Ex-Freund und ab ins oberösterreichische Dorf zu ihrem neuen Freund Hannes. In Engelhartskirchen begegnet ihr anfangs das typische Landleben: Kühe auf der Weide, Knödel zum Abendessen, wilde Dorfparties. Schon bald wird ihr aber klar, dass Engelhartskirchen kein normales Dorf ist: Es gibt keinen Priester, sondern eine Priesterin, die Frauen dominieren das soziale Leben, Kinder werden hier gemeinschaftlich erzogen und irgendwie scheiden auffallend viele Männer frühzeitig aus dem Leben.

Eva Resinger FM4

Livia Praun

Die Autorin und Journalistin Eva Reisinger ist in Oberösterreich aufgewachsen und lebt mittlerweile in Wien. Sie hat für verschiedene Medien als Journalistin gearbeitet, darunter etwa ‚Die Zeit‘. Ihr erstes Buch ‚Was geht, Österreich?‘ ist 2021 erschienen.

„Männer töten“ als Reaktion auf Gewalt gegen Frauen

Im Interview mit FM4 erzählt Eva Reisinger, dass die vielen Frauenmorde in Österreich sie dazu gebracht haben, diese Geschichte zu schreiben. Sie hat vor einiger Zeit nämlich einen Artikel über Frauenmorde geschrieben. Da ist ihr aufgefallen: Die ganzen Forderungen, die sie niedergeschrieben hat, nach mehr Prävention, nach mehr Schutz, das alles hat sie schon unendliche Male gelesen. Und an der Situation verändert hat sich trotzdem, auch bis heute, nichts: „Für mich war es wichtig, eine andere Sichtweise darauf zu geben als die, die uns oft in der Politik, aber auch in den Medien gegeben wird. Nämlich, dass Femizide passieren. So als wären es Naturkatastrophen. Als wäre ein Femizid ein Gewitter, wo man leider nichts dagegen tun kann.“

Mit diesem Roman eröffnet Eva Reisinger eine neue Perspektive auf das Thema Gewalt gegen Frauen. Was, wenn Gewalt an Frauen nicht als Teil des Systems betrachtet wird, den man wohl oder übel akzeptieren muss, sondern als Fehler im System? Ein Fehler, der beseitigt werden muss? In „Männer töten“ wird Rache an denen ausgeübt, die Frauen Gewalt antun. An denen, die Frauen abwerten, schlagen und vergewaltigen.

Dass der Titel in die Irre führt, war eine bewusste Entscheidung, sagt Eva Reisinger im Interview: „Wir sind diese Geschichten so gewöhnt, dass wenn wir ein Buch sehen, das ‚Männer töten‘ heißt, wir automatisch davon ausgehen: Es wird um Frauen gehen, die ermordet werden. Das wird eigentlich komplett umgedreht.“ Den Spieß umzudrehen und sich zu rächen - das ist ein präsentes Thema in der Popkultur. Revenge Stories sind in. Das erkennt man gut bei Künstlerinnen wie Taylor Swift, Billie Eilish oder Olivia Rodrigo; wie auch in Filmen und Serien wie Promising Young Woman oder Killing Eve. „Das hat glaube ich schon einen Grund, warum das jetzt gerade so im Trend ist und warum das für so viele von uns so empowernd ist“, sagt Eva Reisinger. „Weil wir mal nicht in der Opferrolle sind, sondern in der Machtrolle.“

Gemeinschaft und Solidarität im Matriarchat

In manchen Hinsichten ist der Roman sehr utopisch. Vielleicht nicht, was die Schicksale mancher Männer betrifft. Das Leben in Engelhartskirchen stellt sich aber als sehr solidarisch und gemeinschaftlich heraus. Die Vorstellung der Kernfamilie mit Vater-Mutter-Kind gibt es hier nicht, die Kinder werden gemeinschaftlich erzogen. Sie unterstützen sich und glauben einander, egal worum es geht.

Buch-Cover von Männer töten

Leykam Verlag

„Männer töten“ von Eva Reisinger ist im Leykam Verlag erschienen.

Das gilt nicht nur für die Frauen in Engelhartskirchen, es gibt auch männliche Charaktere, die hinter diesem System stehen. Etwa Hannes, der Freund der Protagonistin, der sanft, aufmerksam und trotz seiner stillen Art sehr empathisch ist. „Für mich war das ganz wichtig, auch schöne Männercharaktere zu haben“, sagt Eva Reisinger. „Sonst würde es der Realität ja auch nicht gerecht werden.“

Hannes steht im Kontrast zu mehreren anderen männlichen Figuren im Roman, die von außerhalb in das Dorf kommen und andere Werte aufzeigen. Etwa der linke Berliner Ex-Freund der Protagonistin, dessen Feminismus sich schmerzhaft als mehr Schein als Sein herausstellt (dazu sagt Eva: „Wir alle kennen so einen Typen, oder?“).

Das Buch ist voll mit solchen Querverweisen auf die Jugend- und Popkultur (auf der ersten Seite wird auch gleich FM4 erwähnt), aber auch mit witzigen Kommentaren über Weltpolitik und Journalismus. Popkultur spielt nicht nur im Buch eine große Rolle, sondern war auch im Schreibprozess für Eva Reisinger besonders wichtig. Sie hat etwa oft beim Schreiben Musik gehört, manche Lieder an manchen Stellen auch in Dauerschleife. Diese hat sie alle in einer Spotify-Playlist gesammelt, die als Soundtrack für das Buch dienen soll.

Die vielen Verweise lassen die Geschichte und Charaktere von „Männer töten“ richtig real werden - sie leben in keinem Vakuum, sondern in derselben Welt wie wir. Eva Reisinger macht von Anfang an kein Geheimnis daraus, dass sie in „Männer töten“ von einem Matriarchat erzählt. Nachdem man also weiß, worum es gehen wird, will man wissen, wie das Leben sich in dieser Welt genau gestaltet. Es macht Spaß, sich in diese Welt reinzusteigern, die Charaktere kennenzulernen - und von ihnen auch überrascht zu werden.

Eva Reisinger behandelt wichtige Themen der heutigen Zeit mit äußerst viel Sensibilität, aber an den richtigen Stellen auch mit Ironie. „Männer töten“ ist kurzweilig, unterhaltsam und ein wirklich spannendes Gedankenexperiment: Was passiert, wenn Frauen beginnen, sich für Gewalt zu rächen?

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