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Buchcover von "Der Trost der Flipper": schwarze Schrift auf gelbem Hintergrund, dazwischen zwei ältere Flipper aus den 1960er Jahren.

Klett-Cotta

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„Der Trost der Flipper“ erzählt ein Coming-of-Age mit Pinball

Das neue Buch des deutschen Kulturwissenschaftlers und Autors Andreas Bernard ist eine Mischung aus autobiographischer Prosa und historischer Aufarbeitung eines Artefakts und einer Kulturtechnik: Flipper und Flippern.

Von Robert Glashüttner

Flipper, die großen, schweren Spielmaschinen auf vier Metallbeinen, bei denen man per Knopfdruck mit kleinen Schlägern Silberkugeln durch ein buntes, schräg abfallendes Spielfeld schießt, sind weit über 70 Jahre alt. Ihre Hochzeit hatten sie in den 1960ern bis Anfang der 80er Jahre, als sie nicht nur in westlichen Großstädten, sondern oft etwa auch in Feriencamps im sowjetisch regierten Ungarn oder in der Spielhalle irgendeines japanischen Vororts gesehen und gespielt wurden. Danach sind Flipper irgendwann beinahe komplett verschwunden und erst vor gut zehn Jahren wieder aufgetaucht.

Andreas Bernhard wirft sich mit „Der Trost der Flipper“ genau in die erwähnte Hochzeit, denn sie fällt mit seiner Kindheit, Jugend und frühen Erwachsenenzeit zusammen. Geboren 1969 in München, ist Bernard als Sohn eines Gastronomen recht bald mit Flippern in Berührung gekommen, jenen Geräten, die Ende der 70er vor allem in vielen Kneipen zu finden waren. Eigentlich hätten Kinder dort gar nicht reindürfen, doch der Klotrick hat quasi immer funktioniert:

Ich fragte vorne an der Theke, ob ich kurz die Toilette benutzen dürfte, ging voller Aufregung nach hinten zu den Maschinen und spielte unbemerkt. [...] Die Wirtin hatte mich längst vergessen; nur manchmal kam einer der Trinker vorbei, um eine Schachtel Zigaretten aus dem Automaten zu ziehen, und warf mir im Weggehen einen komplizenhaften Blick zu.

Wir erfahren vom Jugendclub, in dem Andreas Bernard von einem älteren Spieler lernt, den Flipper zu rütteln, um so verloren gehende Kugeln im letzten Moment zu retten. Wir erfahren von den vielen Flippern in der Stadt, die es zu entdecken gab und mit denen die oft langen Wartezeiten zwischen Schule, Sport und Musikunterricht totgeschlagen werden konnten, und sogar von einer Ex-Freundin, mit der Andreas Bernhard das Hobby teilen konnte.

Autor Andreas Bernard im Interview mit Radio FM4
Buchcover von "Der Trost der Flipper": schwarze Schrift auf gelbem Hintergrund, dazwischen zwei ältere Flipper aus den 1960er Jahren.

Klett-Cotta

„Der Trost der Flipper“ von Andreas Bernard ist bei Klett-Cotta erschienen.

Besonders gut gelungen ist dabei der Schreibstil, der Szenen, Begegnungen und relevante Momente lebendig einfängt. Dabei stolpert Bernard, der seit Jahrzehnten souverän sowohl im wissenschaftlichen, journalistischen als auch literarischen Bereich publiziert, nie über Nostalgiefallen, die gerade bei einem oft als reines Retrothema wahrgenommenen Kulturphänomen wie dem Flippern ja besonders zahlreich sind.

Andreas Bernhard: „Nostalgie ist der absolute Feind. Zu beklagen, dass etwas war und jetzt nicht mehr ist: Das ist völlig uninteressant. Es geht darum, bestimmte Welten, von denen man denkt, dass sie für ein Publikum interessant sein könnten, in Sprache zu fassen.“

Der zwischen autobiographischer Erzählung und kleiner Kulturgeschichte der Flipper pendelnde Text ist die Coming-of-Age-Story eines Vertreters der Generation X, der eine Jugend einfängt, die von einem völlig anderen, opakeren Entdeckungsdrang geprägt war, als es bei unserer transparenten, digitalisierten Gegenwart der Fall ist.

Obwohl die (persönliche) Flipperhistorie von Andreas Bernhard laut eigener Aussage im Interview mit FM4 vor allem ein Vehikel ist, um über die wirklich wichtigen Dinge des Lebens zu erzählen, lässt sich der Autor das Schwärmen über seine Pinball-Lieblinge dennoch nicht nehmen.

Es [bereitete] aber besonderes Vergnügen, auf dem Paragon zu spielen, denn ich hatte bis dahin noch keinen Flipper gesehen, der eine vergleichbare Vielfalt von Funktionen versammelte. Die zahlreichen Target-Bänke, Auffanglöcher und Spinner ermöglichten es, vier verschiedene Specials zu beleuchten: eine Eigenheit des Paragon, die es dem Spieler nach einer gewissen Phase der Eingewöhnung gestattete, eine beträchtliche Anzahl von Freispielen zu holen.

Andreas Bernard

Christian Werner

Die Beschreibungen der Flipper sind jene Passagen im Buch, wo Bernard am meisten aus sich herausgeht. Damit erweist er den Flippern jene Ehre, die ihnen zusteht. Denn Dinge, die einem wirklich wichtig sind, sind eben doch mehr als bloß Objekte der Zerstreuung, Elemente des Zwischendurchs. Dass einem die einmal entfachte Leidenschaft oft nicht mehr loslässt, beweist Andreas Bernards gegenwärtiges Flipperleben: Seit rund zehn Jahren ist er Turnierflipperspieler, und das auch recht erfolgreich.

„Der Trost der Flipper“ liest sich flott, nimmt eine:n gut mit und gibt sich dabei nicht mit stilistischen Schnörkeln oder gar Ausschweifungen ab. Manchmal wünscht man sich ein bisschen umfangreichere Ausführungen - ein bisschen Ausholen da und dort hätte dem Text nicht geschadet.

In jedem Fall ist das Buch eine gelungene Ode an eine Tätigkeit, eine Kulturtechnik, die einen jungen Menschen ins Leben hineingetragen hat. Es ist eine Geschichte, die zeigt, wie einem Dinge, die man liebt, Halt und Rückzugsorte geben können.

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