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X von Ti West

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FILM

Hommage an eine subversive Zeit: Ti West und sein Retro-Schocker „X“

Eine junge Porno-Crew will Ende der 70er Jahre in der texanischen Provinz drehen. Dort wartet aber das blanke Grauen. Ein Interview über Hillbilly-Horror und lustige Slasherfilme mit Tiefgang.

Von Christian Fuchs

Das Szenario ist aus unzähligen Slashermovies bekannt: Eine Gruppe unschuldiger junger Leute gerät in eine einsame Gegend - und bekommt es dort mit einem kaltblütigen Killer zu tun. Auch der neue Film des ziemlich lässigen Indieregisseurs Ti West läuft auf diesen Showdown hinaus. Aber in „X“ ist die Reise das Ziel. Soll heißen: Das große Gemetzel im letzten Drittel ist eigentlich der uninteressanteste Teil, was vorher passiert, sollte man aber als Genrefan gesehen haben.

Ganz so unschuldig sind sie übrigens nicht, die Protagonist*innen des Films, zumindest wenn man strenge Moralgesetze walten lässt. Regisseur Wayne (der großartig schmierige Martin Henderson), seine selbstbewusste Hauptdarstellerin Maxine (die unverwechselbare Mia Goth) und die anderen Figuren gehören zu einer kleinen Porno-Crew, die im texanischen Nirgendwo einen Hardcore-Film drehen will.

X von Ti West

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Ein neues Blutgericht in Texas

„X“ spielt im Jahr 1979. Ti West nähert sich dem Pornobusiness der Vergangenheit ähnlich ambivalent wie das berühmte Vorbild „Boogie Nights“. Das familiäre Filmteam macht Höhen und Tiefen durch, manchmal flackert fast eine moderne Sex Positivity auf, dann schlagen Eifersucht und Geldgier durch.

Bewusst langsam entwickelt sich die Geschichte, wie in den 70ies Filmen, von denen West eindeutig inspiriert ist. Die Porno-Kids haben offensichtlich nicht den Klassiker „Blutgericht in Texas“ gesehen, der vor der ländlichen Bevölkerung warnt. Und bekommen es mit einem besonders gruseligen Gegner zu tun.

Ähnlich wie in seinem vielgelobten Frühwerk „House of the Devil“ kreiert Ti West eine überzeugende Retro-Stimmung. Bevor „X“ aber in pure Horror-Nostalgie abdriftet, fesselt der blutige Schocker mit Gedanken über das Älterwerden, über Promiskuität und weibliche Stärke. Bitte also das ziemlich missglückte Remake des „Texas Chainsaw Massacre“ vergessen, „X“ ist der viel bessere Film.

X von Ti West

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Im Gespräch mit Ti West

Christian Fuchs: Wie ist es möglich, als Regisseur, der 1980 geboren wurde, einen so authentischen Film zu drehen, der im Jahr 1979 spielt?

Ti West: Ich denke, man recherchiert einfach so gut man kann. Wir versuchten auch alles aus dem Bild zu entfernen, was nicht irgendwie aus den 1970ern stammt. Aber es ist natürlich ein Jahrzehnt des Films, das ich wirklich liebe. Das amerikanische Filmschaffen der 1970er Jahre, also die Mainstream-Filme, war so viel experimenteller, kontroverser, provokativer und subversiver als alles heute, dann dazu die Independent-Filme, die Exploitation-Filme. Es gab wirklich eine große Bandbreite an verschiedenen Filmemachern, die Sachen im Auteurstil versuchten. Wirklich eine großartige Zeit für das amerikanische Kino.

C. F.: Es scheint, dass Sie aus der Vergangenheit etwas Neues schaffen. In Ihrem bahnbrechenden Film „The House of the Devil“ haben Sie diese spezielle Art von Retro-Vibe geschaffen, aber es ist mehr. Das Alte und das Neue treffen in gewisser Weise aufeinander, nicht wahr?

T. W.: Ich denke schon. Ich versuche bei einem historischen Film mein Bestes, ihn so glaubhaft wie möglich in dieser Zeit anzusiedeln, damit er nicht unecht wirkt. Man muss die Leute dazu bringen, an die Geschichte zu glauben und mitzugehen. Also habe ich mir viel Mühe gegeben, um sicherzustellen, dass die Welt glaubwürdig ist. Aber trotzdem ist es nicht 1979, sondern eine Nachbildung davon, also eine neue Version, egal, ob ich das möchte oder nicht.

C. F.: Sie kommen aus einem Low-Budget-Indie-Background, waren sogar eine Zeit lang mit der sogenannten Mumblecore-Szene verbunden. Aber 2016 haben Sie mit John Travolta und Ethan Hawke gedreht. Jetzt sind Sie sozusagen zurück im Indieland. Wie schwer ist es für Filmemacher wie Sie, innerhalb oder außerhalb des Hollywood-Systems zu arbeiten?

T. W.: Mein angesprochener Western „In the Valley of Violence“ war trotz dieser Schauspieler immer noch ein ziemlich kleiner Indie-Film, also nicht wirklich anders. Ich habe noch nie in diesem riesigen, unternehmensähnlichen Umfeld gearbeitet, daher kann ich nicht sagen, wie groß der Unterschied ist. Ich habe beim Fernsehen gearbeitet, also habe ich ein bisschen was davon gesehen, aber zum größten Teil machen wir diese Filme mehr oder weniger mit der gleichen kleinen Gruppe von Leuten.

X von Ti West

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Porno und Horror als Außenseiter-Genres

C. F.: „X“ zeigt eine Gruppe von jungen Leute, die sich wie eine Familie verhalten, aber sie sind eine Pornofilm-Crew. Wenn Sie die Pornoszene im Jahr 1979 mit der heutigen vergleichen, dann dominiert Porno die Welt. Wie würden Sie den Unterschied zu damals sehen?

T. W.: Wenn man in den 1970er Jahren einen abendfüllenden Pornofilm machen wollte, musste man auch den Rest des Films machen, abseits der Sexszenen. Ich habe also einen Film über Leute gemacht, die einen Film machen. Sie haben immer noch versucht, eine Geschichte um den Sex herum zu bauen. Und das ist für mich einer der großen Unterschiede, dass es immer noch einen eher traditionellen Stil des Filmemachens gab in diesem Gewerbe.

Das Drehen eines Erwachsenenfilms ist auf der Leinwand hoffentlich erotisch, aber die eigentliche Herstellung ganz und gar nicht, es ist ein sehr technisches Unterfangen. Ich wollte das den Leuten zeigen. Auch ein Horrorfilm fühlt sich beim Dreh nicht gruselig an.

Der US-Regisseur Ti West hat sich mit ungewöhnlichen Horrorfilmen einen Namen gemacht. Mit seinem Debütwerk „The House of the Devil“ präsentierte er eine perfekte Hommage an die Splatterfilme der frühen 80er. Auch zum Geistergenre hat West mit „The Innkeepers“ einen eigenen Zugang gefunden. Nach einem blutigen Western mit Starbesetzung („In The Valley Of Violence“) legt der 43-Jährige jetzt mit „X“ einen weiteren Retro-Schocker vor.

C. F.: Sehen Sie Gemeinsamkeiten zwischen Porno und Horror, weil beide Genres ein wenig außerhalb der Gesellschaft stehen, aber oft auch Teil des Mainstreams sind?

T. W.: Ja, ich denke, es gibt eine Beziehung zwischen den beiden, besonders in den Siebzigern, weil sie unabhängig und außerhalb des Studio-Hollywood-Filmsystems gemacht werden konnten. Sie waren also so etwas wie Außenseiter-Genres, sie waren ein bisschen subversiv und vielleicht direkt an ein Publikum gerichtet. Heute ist Porno offensichtlich sehr beliebt und finanziell erfolgreich, und der Mainstream-Porno erobert über das Internet die Welt. Das ist etwas anderes als in den 1970er Jahren. Damals gab es eine sehr symbiotische Beziehung zwischen den beiden.

X von Ti West

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Richtungswechsel und Ambitionen

C. F.: „X“ scheint oberflächlich eine Hommage an das ganze „Texas Chainsaw Massacre“-Subgenre des Hillbilly-Horrors zu sein, aber dann verändert sich der Film. Er verwandelt sich in eine Reflexion über das Altern und die Sexualität. Und wie Sie sagten, auch über die Freuden und Leiden des Low-Budget-Filmemachens. Was war der Ausgangspunkt für den Film?

T. W.: Wenn man in den 1970er Jahren einen Horrorfilm ansiedelt, der in Texas spielt, dann wird man von Tobe Hoopers „Texas Chainsaw Massacre“ überrollt. Also dachte ich mir, es macht keinen Sinn, so zu tun, als ob einer der größten Filme aller Zeiten nicht über meinem Film schweben würde. Ich lehne mich einfach an ihn an - und lasse die Leute in den ersten 15 Minuten denken, dass sie wissen, wohin der Film geht. Dann schlägt er eine andere Richtung ein, die viele wirklich überraschen wird.

C. F.: Das scheint eine Strategie für einige Ihrer Filme zu sein, denn „The Innkeepers“ ist einerseits ein Geisterfilm, aber eigentlich auch eine Indie-Beziehungsstory. Sie haben immer ein großes Genre-Element als Aufhänger, aber es steckt mehr dahinter.

T. W.: Die meisten Filme die ich mache sind grundsätzlich relativ lustig und unterhaltsam. „X“ zum Beispiel ist ein lustiger Film, ein lustiger Slash-Film. Aber es ist ein zweijähriges Drama, einen Film zu machen, und man muss sich wirklich für das interessieren, was man tut, man muss einen guten Grund dafür haben.

X von Ti West

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C. F.: In vielen Filmen, die Sie beeinflusst haben, den Slashermovies aus den späten Siebzigern, gibt es das sogenannte final girl. Die eine Frau, die den Film überlebt, die zunächst unschuldig und schüchtern wirkt, und am Ende zum Helden mutiert. Mia Goth ist nun, ohne zu spoilern, eine besonders starke Variante dieser Figur oder?

T. W.: Ich habe die Figuren so behandelt, wie sie wirklich sein könnten, wie sie sich wirklich verhalten könnten - und nicht wie Archetypen innerhalb eines Genres. Ich hatte einfach das Gefühl, dass dies eine realistische Perspektive ist, die wir noch nicht gesehen haben, und dass es für mich besser wäre, Zeit damit zu verbringen.

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