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Elias Hirschl Bachmannpreis

Johannes Puch

Tragikomisch bis sehr lustig

Heute Nacht geben die Jurymitglieder einzeln ihre Punkte für die Texte an den Justiziar durch, morgen wird der Ingeborg-Bachmann-Preis 2022 verliehen. Mara Genschel, Juan S. Guse und Elias Hirschl bewiesen beim Lesefinale Humor.

Von Maria Motter

Sehr, sehr viel Humor sollte der Bachmannpreis vertragen, sagt der Autor Elias Hirschl und findet sofort anerkennende Worte für die Deutsche Mara Genschel. Beide sind unter den 14 Autor*innen, die dieses Jahr von einem Mitglied der Jury der 46. Tage der deutschsprachigen Literatur nach Klagenfurt eingeladen und damit Kandidat*innen für den Ingeborg-Bachmann-Preis 2022 sind.

Elias Hirschl ist Autor, zuletzt erschien „Salonfähig“. Er spielt in mehreren Bands, ist Mitautor des FM4-Comedy-Podcasts „Das magische Auge“ und bis Ende Oktober Stadtschreber in Dortmund.

„Beim Auftritt von Mara Genschel hat man gemerkt, dass das ganze Publikum völlig mitgeht und dann aus der Jury eher trockene Versuche kamen, das in irgendeiner Form einzuordnen.“ Das sei ein bisschen komisch gewesen, so Hirschl, weil ihm da fast alle aus der Jury vermittelt hätten, dass wenn etwas Quatsch ist, man das nicht mehr ernstnehmen und analysieren müsse.

Mara Genschel beim Bachmannbewerb 2022.

ORF/Johannes Puch

Mara Genschel hat auf ein Pferd gesetzt und in ihrem Text einen drehbuchschreibenden Cowboy aus dem Fenster schauen lassen. Hut ab vor ihrem Mut.

Mara Genschel ist mit einem aufgeklebten Schnauzbart aus Echthaar und mit absichtlich schräger Haltung Freitagnachmittag auf dem Barhocker auf der Gartenbühne gelehnt und hat „Das Fenster zum Hof“ dargeboten. Schon im Videoporträt spielt Genschel mit Rollen und ihr Text kann auch als Spiegel für den Bachmannbewerb gelesen werden. Der Juror Philipp Tingler nennt den Auftritt „diese Nummer“ und eine „Performance“ im Studio. Mara Genschel im Garten kontert, dass sie sich doch nur ein bisschen chic gemacht und gelesen habe. Tingler behauptet, der Text sei wesentlich anstrengender zu hören und zu lesen als zu schreiben. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung rät Genschel anderen, auch jüngeren Autor*innen, sich emotional unabhängig zu machen von dem Wettbewerbsprinzip in diesem ganzen Betrieb.

Von Wettbewerb und dem Bestehen in der gegenwärtigen turbokapitalistischen Realität zwischen von Fahrradkurieren in die Hand gedrückten Nudeln aus Styroporboxen, digitaler Kontaktsuche und verlorenen Arbeitskämpfen handelt der tragikomische Text „Staublunge“ von Elias Hirschl.

Die Kabarettistin Tereza Hossa ist für Hirschls Videoporträt durch Wien geradelt und eine Stiege hochgehetzt. Schon beim zweiten Durchlauf war alles gedreht, beim ersten war die Helmkamera auf den Boden gerichtet. Das Publikum in Klagenfurt schaut zwischen ausgeteilten Texten auf, zur Lesebühne und zu Splitscreens. 25 Grad sind eine angenehme Zuhörtemperatur. 18 Grad sind eine Idealtemperatur zum Arbeiten, ist eine Figur in Hirschls Text überzeugt. Juror Tingler stellt eine eindeutige Wirkungsabsicht des Texts fest, Jurorin Mara Delius lobt die lakonische Sprache und hätte nur den letzten Absatz nicht mehr gebraucht. Der Juror Michael Wiederstein findet das erzählte Geschehen untertrieben, wenn man an eine Person wie den Investor Peter Thiel denke und will auf leicht voyeuristische Armutspornotendenzen und die Tonschwankungen hinweisen. Nichts sei hier verächtlich gemacht, erwidert Juror Klaus Kastberger. Jurorin Brigitte Schwens-Harrant analysiert, es geht ums Sterben am System.

Lesung von Elias Hirschl beim Bachmannbewerb 2022.

ORF/Johannes Puch

Elias Hirschl auf der Lesebühne in Klagenfurt.

Einfall und Abheben

Der sehr amüsante Text „Im Falle des Druckabfalls“ von Juan S. Guse ermuntert zu Nachfragen beim Autor, nach der Lesung. Ob der Flughafen in seinem Text denn ein realer Flughafen ist, wie man Flughäfen kenne, oder ob das ein Nachbau eines Flughafens sei? Guse erzählt, dass Forscher schon an Orten, wo Militärbasen gewesen wären, gesehen hätten, dass indigene Bevölkerung Flughäfen nachgebaut hätte, im Glauben, so kämen die Götter an. Ist das schon wieder ein fantastischer Einfall? Guse ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität Hannover und promoviert im Bereich der Organisationssoziologie zur formal organisierten Auf- und Abwertung von Menschen.

Er schildert in seinem Beitrag beim Bachmannbewerb eine Expedition im Taunus-Gebirge, wo ein lang unentdeckt und unerforschtes Volk leben soll. Durch geschickte Auslassungen in der Handlung steigen Interesse und Spannung. Für alle, die das nicht gehört haben: Hier geht es zur Lesung.

Juan S. Guse beim Bachmannbewerb 2022.

ORF/Johannes Puch

Wie Mara Genschels Beitrag kann auch Juan S. Guses Text als Spiegel des Bewerbs gelesen werden.

Witz, kluger Humor und tragikomische Grundstimmung haben im Lesefinale viel Vergnügen hervorgerufen. Die Vorgaben und den traditionellen Rahmen des Bewerbs hat damit niemand überschritten.

Heute Nacht geben die Jurymitglieder einzeln ihre Punkte für Text an den Juristen Andreas Sourij durch, morgen wird der Ingeborg-Bachmann-Preis 2022 verliehen. Erstmals mit dem neuen Punkteverfahren. Und für den Publikumspreis kann man jetzt abstimmen: Voraussetzung ist eine E-Mailadresse pro Stimme und eine Begründung unter 400 Wörtern.

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