Song zum Sonntag: Deichkind - „In der Natur“

Die große Sause ist vorbei und statt Afterparty gibt es Natur Pur: Zumindest mit Hamburgs ärgster Remmidemmi-Truppe Deichkind und ihrer neuen Single „In der Natur“, unserem Song zum Sonntag.

von Michaela Pichler

Deichkind sind Meister der Irritation. Das haben sie in ihrer 25-jährigen Bandexistenz nicht nur einmal bewiesen. Und was könnte irritierender wirken als ein Jodeln als erstes musikalisches Zeichen nach drei Jahren Release-Pause? Dabei war dieses besagte Jodeln bei der Produktion erst ganz zum Schluss da, als Deichkind auf das Schweizer Duo Stimmhorn aufmerksam wurden und sich den Vokalschluchzer als Sample geborgt haben. So hat es die Band im FM4-Interview mit Christian Lehner erzählt. Musikalisch ist das als Intro erstmal harter Tobak, der bandinterne Plan, mit der Single Verwirrung zu stiften, geht sofort auf.

In der Natur - da verknackst du dir den Fuß. In der Natur - da versagt dein Survival Buch. In der Natur - da hilft keiner, wenn du rufst. Du hast lange nicht geduscht und das hier so nicht gebucht.

Dass die Hamburger Krawall-und-Remmidemmi-Truppe mal zum Jodeln anfangen wird, hätte man vor ein paar Jahren wohl auch nicht gedacht. Doch mittlerweile ist die Party sogar bei Deichkind over. Die Afterhour spielt sich im neuen Track im Grünen ab, im umliegenden Naherholungsgebiet. Das wird von Großstadt-Bobos in überteuerten Patagonia-Fleecejacken besiedelt, die sich am Wochenende eine Auszeit vom neoliberalen Hustle gönnen wollen. In der Natur kommt es dann aber doch oft ganz anders.

Die Erwartung‘ waren hoch, dieser Ast hängt viel zu tief.
Die Blicke von den Tieren sind mir zu passiv aggressiv.
Kein Konto und kein Gott – das ist nicht meine Welt.
Hier hat keiner auf dich Bock und es regnet in dein Zelt.

Für „In der Natur“, ihren ironisch bis selbstironischen ersten Vorboten aufs kommende Album „Neues vom Dauerzustand“, haben sich Deichkind gegen ihren gewohnt-elektronischen In-die-Fresse-Sound entschieden und auf etwas mehr synthetischen Weichspüler gesetzt. Die Synthesizer haben damit ihren großen Auftritt im Song - spätestens dann, wenn sich der Wald, in dem man sich nach „Hafermilch und Heizung“ sehnt, als postapokalyptisch verstrahlter Zufluchtsort entpuppt.

Hier versau‘ ich mir den Look
Und die Hagebutte juckt
Dornen schneiden an meinem Bein rum

Im Musikvideo zum Song regnet es popkulturell wie sozialpolitische Zitate, von „Planet der Affen“ und „Apokalypse Now“ bis zu einer „Dark“-Ästhetik und Putins überdimensionalem Marmor-Protz-Tisch häufen sich die Anspielungen. Apropos Regen: Irgendwann setzt dann sogar der tatsächlich auch als Audiospur ein und bei all der neuen Deichkind-Strahlung und dem Status Quo der Weltgeschichte klingt der Regen sogar ein wenig sauer.