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Geradegerückt von Beate Hausbichler & Noura Maan

Kremayr & Scheriau

„Geradegerückt“ - Warum wir erfolgreiche Frauen skandalisieren

Pamela Anderson, Meghan Markle und Yoko Ono haben eines gemeinsam: ihre Geschichten wurden falsch erzählt, sodass wir eine verzerrte Version ihrer Biografie kennen. Weil sie Frauen sind. Und berühmt. Beate Hausbichler und Noura Maan rehabilitieren in ihrem Buch „Geradegerückt“ 28 prominente Frauen, deren Biografien skandalisiert wurden.

Von Siri Malmborg

Seit 2021 gibt es in der Tageszeitung Der Standard die Kolumne „Geradegerückt“. Dort werden erfolgreiche Frauen porträtiert, von denen die meisten von uns ein falsches Bild haben. Die Porträts erklären, wieso diese Interpretationen und Erzählungen entstehen konnten und wie es wirklich war. Die Kolumne wird von verschiedenen Standard-Journalistinnen verfasst. Zwei von ihnen - Beate Hausbichler und Noura Maan - haben die Porträts jetzt gesammelt als Buch herausgebracht.

Beate Hausbichler und Noura Maan

Elodie Grethen

Noura Maan hat Geschichte und Politikwissenschaften studiert und schreibt seit 2014 für den Standard, wo sie auch als Chefin vom Dienst im Ressort Außenpolitik tätig ist. 2019 hat sie den Jungjournalistinnenpreis des Frauennetzwerks Medien gewonnen.

Beate Hausbichler hat Philosophie studiert und schreibt seit 2008 beim Standard, seit 2014 leitet sie das frauenpolitische Ressort „dieStandard“. 2021 veröffentlichte sie ihr Buch „Der verkaufte Feminismus. Wie aus einer politischen Bewegung ein Label wurde“.

FM4: Es wird ja auch über Männer oft falsch berichtet. Was ist da der Unterschied zu den Frauen?

Noura Maan: Die Maßstäbe sind einfach komplett andere. Man merkt es gut an den Fällen, bei denen sowohl Männer als auch Frauen vorkommen: bei Monica Lewinsky und Bill Clinton, bei Pamela Anderson und Tommy Lee, bei Janet Jackson und Justin Timberlake. Es ist einfach so, dass die Frauen den meisten Hass abkriegen. Sie kriegen die Verantwortung für diese Skandale zugeschoben und am Ende schadet es ihrer Karriere ziemlich, oder sie kriegen überhaupt keine Jobs mehr. Die Männer gehen da relativ unbeschadet raus.

Beate Hausbichler: Außerdem gibt es eine ganze Industrie, die sich nur mit Frauen beschäftigt. Wenn wir uns die ganzen Klatschspalten anschauen, dann handeln sie nur von prominenten Frauen. Ob sie nach einer Geburt wieder schön schlank sind oder zu schlank sind, wie sie operiert sind, wie sie ausschauen, wie sie sich verjüngen lassen. Es gibt einen ganz anderen, viel strengeren Blick auf prominente Frauen als auf Männer.

FM4: Welches Porträt im Buch liegt euch am meisten am Herzen?

Beate Hausbichler: Für mich war Jean Seberg ein wahnsinnig berührendes Porträt. Ich habe schon gewusst, dass sie vom FBI bespitzelt wurde. Aber die Tragweite und diese Tragik, wie diese Frau zerstört wurde - das hat mich noch einmal sehr getroffen.

Noura Maan: Bei mir war es die Band Tic Tac Toe. Mit der bin ich aufgewachsen, ich konnte extrem viele Texte auswendig. Sie hatten total empowernde Themen in ihren Songs und haben auch Tabuthemen wie Drogenabhängigkeit und Kindesmissbrauch aufgegriffen. Toxische Männlichkeit war in einem ihrer Songs drinnen, da war das Konzept im Mainstream überhaupt noch nicht bekannt. So vielen sind sie aber nur in Erinnerung geblieben mit dieser einen Pressekonferenz, wo sie halt auf offener Bühne gestritten haben. Das ging als Zickenkrieg in die Geschichte ein, und danach war es vorbei für sie. Alle haben offensichtlich vergessen, was sie mit ihren Songs für so viele junge Frauen geleistet haben.

Buchcover von "Geradegerückt" von Beate Hausbichler und Noura Maan mit Illustrationen von Ūla Šveikauskaitė vom Verlag Kremayr und Scheriau

Kremayr & Scheriau

„Geradegerückt“, herausgegeben von Beate Hausbichler und Noura Maan, ist mit Illustrationen von Ūla Šveikauskaitė beim Verlag Kremayr & Scheriau erschienen.

Am 2. März gibt es eine Lesung und Erstpräsentation in Wien.

FM4: Bei den Porträts fällt auf, dass viel Zeit zwischen Skandal und Aufarbeitung verstreicht. Zum Beispiel Monica Lewinsky war in den Nineties: Bis heute glauben viele, dass die Anfang 20-jährige Praktikantin irgendwie mit Schuld an dem ist, was ihr passiert ist. Warum dauert die Aufarbeitung so lang?

Beate Hausbichler: Erstens gab es in den Neunziger Jahren weniger Möglichkeiten, selbstbestimmt Geschichten zu erzählen. Das ist heute mit den sozialen Medien ganz anders. Es liegt aber auch daran, dass sich gerade liberale Demokratien in einem Selbstverständnis wähnen, dass Gleichberechtigung weitgehend erreicht ist. Das ist dann ein schmerzhafter Prozess, sich einzugestehen, was da schiefläuft. Ich glaube, dass es schon immer einen gewissen Zeitraum braucht, damit der Blick da wieder klarer wird. Und dann war es natürlich auch die Zeit. Aber wir haben auch jetzt in der Gegenwart ähnliche Fälle.

Noura Maan: Besonders präsent war letztes Jahr der Johnny Depp Prozess gegen Amber Heard. Das waren einfach komplett unterschiedliche Maßstäbe, die an die beiden herangetragen wurden. Sie wurde in ihrer Gestik und Mimik in diesem Prozess ganz anders bewertet, es hat so eine große Rolle gespielt. Ein anderes Beispiel ist die Rapperin Meghan Thee Stallion. Da ging es eigentlich letztes Jahr in einem Prozess darum, dass sie angeschossen wurde. Ihr ehemaliger Partner stand vor Gericht. Aber im Prozess ging es um ihr Verhalten, wie sie sich unter Alkoholeinfluss verhält, ob sie besonders aggressiv sei - was auch in das Stereotyp der schwarzen, wütenden Frau reinspielt. Dabei stand sie überhaupt nicht vor Gericht. Das war Victim Blaming par excellence. Da haben wir eigentlich gehofft, dass wir weiter sind.

FM4: Die Kolumne gibt es seit 2021. Wie wird im STANDARD-Forum auf die Kolumne reagiert?

Noura Maan: Am Anfang haben wir extrem viel positives Feedback bekommen. Und das ist im STANDARD-Forum bei feministischen Themen eigentlich gar nicht so üblich. Bei den ersten drei Teilen - das waren Britney Spears, Monica Lewinsky, Paris Hilton - war das Feedback sehr positiv. Dann kam die erste schwarze Frau, Serena Williams, und dann hat sich das Forum ein bisschen gedreht. Aber überwiegend ist das Feedback extrem positiv gewesen.

Beate Hausbichler: Vor allem bei Frauen, bei denen die Skandalisierung schon länger her ist. Es kommt darauf an, aus welchem Bereich die Fälle kommen, wie lange es her ist, wie gut das bereits verarbeitet wurde. Aber wie Noura gesagt hat, war es überraschend positiv. Ich war am Anfang nicht sicher, ob die Serie so interessiert, ehrlich gestanden. Wir waren dann schon überwältigt.

FM4: Was muss sich ändern, damit Frauen in der Gesellschaft und in den Medien nicht mehr so verteufelt werden?

Beate Hausbichler: Ich glaube, es ist ganz wichtig, sich auch im Journalismus bewusst zu machen, dass man viele Erzählungen mit bestimmten Begriffen einfach übernimmt. Wie „Zickenkrieg“ bei Tic Tac Toe oder „schwierige Diva“ bei Mariah Carey. Das gilt nicht nur für den Boulevard, sondern auch für seriöse Zeitungen. Ich glaube, dass es schon wichtig ist, auch in der Sprache sehr genau zu sein und diese Doppelstandards im Blick zu behalten.

Noura Maan: Und mehr Aufklärung und Bewusstsein hilft auf jeden Fall. Wir sehen das so, dass solche geradegerückten Erzählungen auch dabei helfen können, ein vollständiges Bild zu ermöglichen.

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