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Zwei elegant gekleidete Männer sitzen am Strand

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Schwuler Sex im Geschichtsunterricht, oder: Sind wir im Bett, wer wir wirklich sind?

Der Leitsatz vom Privaten, das politisch ist, schwebt über den acht Episoden der Miniserie „Fellow Travelers“ (Paramount+). Erzählt wird eine schwule Liebesbeziehung, die während der McCarthy-Ära beginnt und zu Beginn der Aids-Pandemie in den 1980er Jahren endet. Auf Wikipedia als „historical romance political thriller“ bezeichnet, kommt die Serie mit entsprechend handlungsgeladener Wucht daher.

Von Anna Katharina Laggner

Die Romanze zwischen Hawkins und Tim beginnt am Höhepunkt der McCarthy-Ära in Washington Mitte der 1950er Jahre. Homosexualität ist verboten und verpönt und wird schwer geahndet. Es wird gespitzelt und denunziert. Vor allem herrscht panische Hysterie in Bezug auf alles Kommunistische. Verfolgt werden Intellektuelle und Homosexuelle als so genannte fellow travelers, denen das rechte Lager fast automatisch ein Sympathisieren mit dem Kommunismus und ein Handeln im Interesse der Sowjetunion unterstellt.

Ein Ehepaar im Wohnzimmer

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Die erste Folge beginnt jedoch 1986 auf einer stilvollen Gartenparty. Ein Ehepaar feiert Abschied, der Mann soll als US-Diplomat nach Italien ziehen. So lernen wir Hawkins als erfolgreichen Familienvater kennen. Da kommt, uneingeladen, ein Mann, der Hawkins unter vier Augen sprechen möchte. Er sagt: Es geht um Tim. Und schon sind wir zurückgeworfen in die 1950er Jahre, als Hawkins und Tim einander in Washington kennen lernen. Tim ist ein sensibler junger Mann, der am liebsten Milch trinkt und den es zwischen Gottglauben und den eigenen Begierden fast zerreißt. Hawkins, ein slicker Anzugträger am State Department, er schätzt Whiskey und harten, unpersönlichen Sex.

Für jenen Teil der Geschichte, die in den 1950er Jahren spielt, stützt sich Drehbuchautor Ron Nyswaner auf die gleichnamige Romanvorlage und auf eine plot-technisch höchst dankbare historische Gemengelage. Nyswaner ist mit dem ersten breit rezipierten Aids-Drama „Philadelphia“ im Jahr 1994 berühmt geworden und seitdem der Mann in Hollywood, wenn es darum geht, aus schwuler Historie ein packend erzähltes Plädoyer gegen Homophobie und Rassismus zu entwerfen.

Zwei Männer sitzen in einem Warteraum

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Nyswaner hat, ausgehend vom Roman, die Geschichte von Tim und Hawkins über weitere drei Jahrzehnte gesponnen. Während Tim an Aids erkrankt und nicht nur ein Mal von seinem Geliebten verraten wird, klettert dieser, Hawkins, die Karriereleiter nach oben. Dass er dabei eine Ehefrau braucht, die ihn deckt und den Schein wahrt, versteht sich von selbst. Und zwar so sehr von selbst, dass Lucy Fuller, gespielt von „Girls“-Darstellerin Allison Williams, auch in der Serie die am meisten unterbewertete Figur bleibt. Das macht auch ihr großer Auftritt am Sterbebett von Tim in der letzten Folge (das ist kein Spoiler, alle wissen, dass ein Aids-Drama in den 1980ern so endet) nicht wett.

„Fellow Travelers“ springt assoziativ zwischen den Jahrzehnten, angegraute Schläfen und Leberflecken erleichtern uns mitzuspringen. Die Backstory einer lesbischen Telefondame hat da genauso Platz wie der Tod von Hawkins Vater, der ihn am Sterbebett enterbt. All das ist aus erzählerischer Sicht verführerisch, aber um ein, zwei Handlungsstränge zu viel. Vor allem die Story der lesbischen Telefondame wirkt wie ein Feigenblatt und erzählt nicht viel mehr, als dass es auch in den 1950er Jahren schon Lesben gab.

Der Hauptfokus liegt auf Hawkins und Tim. Sie sind komplexe und widersprüchliche Charaktere, die sich in jeder Folge weiter entwickeln. Die Serie spielt in den Politbüros von Washington und auf deren Hintertreppen, während öffentlicher Verhandlungen, in klandestinen Schwulenclubs und immer wieder in den Betten dieses großen Liebespaars.

Ein Schwulenclub in den Achtzigern

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Hier werden die unbarmherzigen Gesetze von Macht und Hierarchie auf einer körperlichen Ebene verhandelt. Hier sieht man die Leidenschaft, für die sie bereit sind, den Preis eines brandgefährlichen Doppellebens zu zahlen. Hier, zwischen den Laken, können sie, wie es immer heißt, sein, wer sie wirklich sind. Aber ist es möglich, alles Äußere abzustreifen, sämtliche Konventionen und Normen wie Kleidungsstücke abzulegen und sich dem wirklichen, offenen Ich hinzugeben? No fucking way. Derart komplizierte Fragen werden im Serienmainstream der Unterhaltung kaum aufgeworfen, das allein macht „Fellow Travelers“ zu einem höchst gelungenen Vergnügen.

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