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Grammys 2024

Frederic J. Brown / AFP

“I had a feeling I could be someone”: Die Gewinnerinnen der 66. Grammy Verleihung (Männer mitgemeint)

Seit 1959 vergibt die National Academy of Recording Arts and Sciences Musikpreise in Form eines goldenen Grammophons. Vom ehemaligen Daily Show Moderator und Comedian Trevor Noah gehostet, sind gestern Nacht in Los Angeles die Gewinnerinnen in 91 Kategorien ausgezeichnet worden.

Von Susi Ondrušová

“If it’s recorded then we have it!” sagt Trevor Noah zu Beginn der Grammy Show, gefolgt von Witzen über die Musikindustrie. Die Branche, die sich der Vermarktung von kreativem Lebensgefühl in Form eines Songs verschrieben hat, kämpft seit Jahrzehnten eigentlich mit den drei immergleichen großen Problemen: Geld, Urheberrecht und Repräsentation.

2024 sind die Herausforderungen in Punkto Geld: Vergütung auf digitalen Plattformen. Universal Music, die größte Plattenfirma der Welt, konnte sich mit TikTok nicht auf ein neues Vergütungsmodell einigen und hat ihr Artist Repertoire von der Plattform entfernen lassen. TikTok wiederum versteht sich als “free promotional and discovery vehicle” und prangert die Gier der Plattenfirma an. Spotify macht in Punkto Vergütung keine bessere Figur, haben sie doch überhaupt ihre eigenen Spielregeln erfunden und beschlossen Artists unter 1000 Plays gar keine Millicent Beträge zu überweisen.

Zu der “Was ist Musik überhaupt wert?”-Diskussion kommt 2024 auch die große Frage nach dem Einsatz von künstlicher Intelligenz. In einer neuen von der deutschen und französischen Verwertungsgesellschaft GEMA/SACEM in Auftrag gegebenen Studie sagen 51% der Befragten unter 35 Jahren, dass sie KI in ihrer Arbeit einsetzen, aber 71 % befürchten, dass KI die wirtschaftliche Grundlage der Musikschaffenden gefährden könnte”.

Wenn auf Streaming-Diensten in der näheren Zukunft KI generierte Musik vielleicht sogar überwiegen wird, wie wird sich das auf die Einnahmen der menschlichen Urheber:innen auswirken? Ohne originäres Songmaterial lernt die KI schließlich auch nichts dazu, oder? Was heißt das also: originell sein? Und wer sind überhaupt die Artists, die an den Tischen in der Crypto Arena in Los Angeles Platz gestern Platz genommen haben und von Kellnern mit Champagner versorgt wurden?

Was heißt das also: originell sein?

Somit wären wir beim dritten großen Problem, pardon: der dritten Herausforderung dieser Musikindustrie, nämlich Repräsentation. Der Sichtbarkeit jener Musikschaffenden, die nicht weiß und männlich sind. In den letzten Jahren ist die Kritik am “boys club” aka der Recording Academy immer lauter geworden. Es fehle an Diversität bei den Nominierungen.

Grammys 2024

Frederic J. Brown / AFP

Best New Artist: Victoria Monét

Der frühere Präsident der Grammys Neil Portnow sagte 2018, ausgerechnet anlässlich der 60. Grammy Verleihung, dass weibliche Künstlerinnen eben die Karriereleiter nach oben erklimmen müssen (“step up”). 2019 ist er als Präsident zurückgetreten, ein Jahr später ist seine Nachfolgerin und erste weibliche Grammy Präsidentin Deborah Dugan entlassen worden. Und zwar bevor sie - wie sie sagt - die Anschuldigungen sexueller Übergriffe ihres Vorgängers, aufarbeiten konnte. (Phoebe Bridgers´ hatte im Rahmen ihres Post-Grammy-Win-Interviews einiges zu sagen über ihn)
Sexismus, Misogynie, Machtmissbrauch. Die Musikindustrie ist kein safe space (wie erst vor kurzem hier im UK Parlament festgehalten und ein für mentale Gesundheit herausfordernder Raum, wie man z.B. hier schon 2016 nachlesen konnte.

In der Geschichte der Grammys immer wieder kritisiert: Zu wenig Beachtung für weibliche Artists, mangelnde Nominierungen von schwarzen Artists, fragwürdige Kategorisierungen von People of Colour, Musiker:innen, deren Pop Songs in die Rap-Kategorie gehievt wurden (etwa Drakes “Hotline Bling” 2017) oder bis vor vier Jahren unter dem Deckmantel “urban” ausgezeichnet wurden (“I don’t like the “urban” word - it’s just a politically correct way to say the n-word to me” meinte Tyler The Creator dazu 2020).

Grammys 2024

Frederic J. Brown / AFP

Billie Eilish

Seit letztem Jahr setzen sich die Mitglieder:innen der Recording Academy, also jener Kreis, der über Nominierungen und die Gewinner:innen entscheidet, zu 50% aus People of Colour zusammen, 54% sind männlich, 37% weiblich, 1% nonbinary und: 46% sind jünger als 40 Jahre. Dass ein diverses Gremium zu einem diverse(re)n Ergebnis in der Superlativ-Liste der Nominierten führt, ist eine logische Konsequenz. Die Sichtbarkeit dieser Artists hat eine Strahlkraft für sich, denn: if you see it, you can be it. Die Bedeutung von einem Zugehörigkeitsgefühl, das eine:n antreibt und inspiriert, wenn man “seines/ihresgleichen” auf dem Bildschirm oder einer Bühne sieht, wird von altmodischen gatekeepern der Industrie missverstanden oder ignoriert und sollte alles andere als unterschätzt werden!

Man kann sich über den “boys clubs” lustig machen, wie es das Indierock-Trio Boygenius machen. Ihr Bandname bezieht sich schließlich allein auf den Zustand, dass allen drei Musikerinnen in der Vergangenheit von Männern ihr Talent und Können abgesprochen wurde. “Boy! Genius!” war ihre sarkastische Antwort auf den xten Tontechniker, der ihnen irgendetwas über irgendetwas mansplainen wollte. Boygenius haben bei den Grammys gestern in den Kategorien “Best Alternative Music Album”, Best Rock Song und Best Rock Performance (“Not Strong Enough”) gewonnen. Hier ihre drei Dankesreden:

Phoebe Bridgers hat außerdem in der Kategorie “Best Pop Duo/Group Performance” einen vierten Grammy als featuring Artist bei SZAs “Ghost in the machine” bekommen.

SZA zählte mit 9 Nominierungen zu den meistnominierten Musikerinnen des Abends. Neben dem gemeinsamen Track mit eben Phoebe Bridgers nimmt sie zwei Grammys für “Best progressive R&B Album” und “Best R&B Song” entgegen. Kylie Minogue gewinnt für “Padam Padam” in der neu ins Leben gerufenen Grammy-Kategorie “Best Pop Dance Recording”.

Miley Cyrus holt sich zu Beginn der TV-Ausstrahlung (ein Großteil der 91 Grammy Kategorien ist schon vor der eigentlichen TV-Show vergeben worden) ihren allerersten Grammy für ihren Selbstermächtigungs-Song „Flowers“ in der “Best Pop Solo Performance” und nimmt auch den Award für “Record of the year” entgegen. Die jährliche Verwirrung, wo in der Grammy Welt eigentlich der Unterschied liegt zwischen Record und Album bzw Record und Song of the year, wurde perfekt von den beiden Laudatoren Meryl Streep und Mark Ronson thematisiert.

Grammys 2024

Valerie Macon / AFP

Miley Cyrus

Für lautes Lachen sorgt Miley, als sie am Ende ihrer Dankesrede meint, sie hofft auf niemanden vergessen zu haben, aber womöglich habe sie auf Unterwäsche heute vergessen. Viel wichtiger ist aber der Teil ihrer Rede davor: “Not everyone in the world will get a Grammy but everyone in this world is spectacular so please don’t think that it’s important!”

Victoria Monét gewinnt in der Kategorie Best New Artist, ihr Album “Jaguar II” wird in den Kategorien “Best R&B Album” und “Best Engineered Album Non Classical” ausgezeichnet. Sie geht mit drei Grammys nach Hause. Einem Zuhause in L.A., wo sie seit 2009 als Songwriterin arbeitet und etwa an Alben von Ariana Grande mitgeschrieben hat; sie ist also in keinerlei Hinsicht eine Newcomerin in der Musikindustrie. In ihrer Dankesrede meint sie: “You can look at the music industry as soil. It can be looked at as dirty or it can be looked at as a source of nutrients and water. My roots have been growing underneath ground, unseen for so long. I feel like today, I’m sprouting, finally above ground.”

“Song of the year” geht 2024 an Billie Eilish und Finneas für “What Was I Made For”. Der Titelsong, den die beiden innerhalb einer halben Stunde geschrieben haben, gewinnt auch in der Kategorie “Best Song for Visual Media”. Neben Rihannas Black Panther Song “Lift Me Up” waren hier allerdings sowieso nur Songs vom Barbie Soundtrack nominiert, keine Überraschung also, dass hier auch in der “Best Compilation Soundtrack” Kategorie abgeräumt wurde.

Grammys 2024

Valerie Macon / AFP

Taylor Swift

Taylor Swift gewinnt mit ihrem Album “Midnights” in der Kategorie “Best Pop Vocal Album” und kündigt im Rahmen ihrer Dankesrede gleich mal ihr neues Album an: “The Tortured Poets Department” soll im April erscheinen. Auch in einer der vier “Hauptkategorien” nämlich “Album of the year” nimmt Taylor Swift einen Grammy entgegen. Den Preis überbringt zur Überraschung aller Anwesenden niemand geringerer als Celine Dion. Auf die Bühne wird Taylor Swift von ihrem Produzenten Jack Antonoff begleitet und sie nimmt ihre Freundin und fellow nominee Lana Del Rey mit auf die Bühne. “So many female artists would not be where they are if it weren’t for her” sagt sie.

Ein Vorbild also! Das Beste! Wer ist die Beste jetzt aber wirklich? Fragt man Brandi Carlile, dann ist es die 80jährige Folk-Ikone Joni Mitchell. “She is the matriarch of imagination”, sagt sie bei der Preisverleihung über ihre Heldin, die mit einem Grammy für Best Folk Album ausgezeichnet wurde. Bei der gemeinsamen Liveperformance von “Both Sides Now” zeigen die TV-Cameras die Gesichter im Publikum, die man bei einer Bildersuche auch locker unter “sprachlos” finden könnte. Fragt man Luke Combs, dann ist es wiederum Tracy Chapman. Der Country Sänger hat ihren 1988 erschienenen Song “Fast Car” gecovert und bei der Award Show auch live performt. Ein Song in dem es - sehr sehr verkürzt - um Hoffnung geht (und ein Leben raus aus der Armut). “I had a feeling that I belonged. I had a feeling I could be someone” singen die beiden.

Tracy Chapman bei den Grammys 2024

Valerie Macon / AFP

Tracy Chapman

Und da wären wir wieder bei der Sichtbarkeit und Repräsentation. Worum geht’s? Superlative? “Obviously it’s subjective” sagt Jay Z, der begleitet von seiner Tochter Blue Ivy den Dr.Dre Global Impact Award entgegennimmt. “Thank you sir, you showed us that we can be rockstars” meint er und lässt es sich nicht nehmen, daran zu erinnern, dass er bei seiner ersten Best Rap Album Nominierung 1998 die Award Show boykottiert hat, weil die Rap-Kategorien damals (wie auch heute) nicht in der Hauptabendprogramm-TV-Übertragung inkludiert wurden.

Jay Z weist außerdem auf die Absurdität einer Superlativ-Veranstaltung hin, bei der jene Künstlerin mit den meisten Awards, nämlich Grammy-Rekordhalterin Beyoncé, noch nie in der Kategorie “Album of the year” ausgezeichnet wurde. “So even by your own metrics that doesn’t work. Think about that. Some of you will go home tonight and feel like you’ve been robbed. Some of you may get robbed. Some of you don’t belong in a category!” Nach einem kurzen Schock-Gestöne aus dem Publikum ergänzt Jay Z: “When I get nervous I tell the truth! But outside of that: we gotta keep showing up! Forget the Grammys for a second. Just in life: keep showing up!”

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