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Interview

Strategien in der Klimabewegung

Die Klimabewegung ist in einer Krise. Diese Diagnose stellen nicht nur die Medien, sondern auch viele Klimaaktivist:innen selbst. In einem neuen Buch sucht die Bewegung selbst nach Gründen für die Krise und über strategische Auswege.

Herausgeber Manuel Grebenjak und Autorin Mira Kapfinger des neuen Buches „Kipppunkte - Strategien im Ökosystem der Klimabewegung“ sprechen in OK FM4 mit Pauline Binder und Emily Busvine über ihre Erkenntnisse und Hoffnungen für die Klimabewegung.

Pauline Binder (FM4): Die Klimabewegung ist in der Krise. Manuel, so beginnt dein Buch „Kipppunkte - Strategien im Ökosystem der Klimabewegung“. Woran machst du diese Krise fest?

Manuel Grebenjak: Das Buch habe ich herausgegeben und 70 Leute aus der Klimabewegung haben daran mitgeschrieben. Es ist eigentlich eine ganz große Kooperation aus der Bewegung. Und dass wir in einer Krise sind, das sieht man, glaube ich, gerade jetzt. Es ist jetzt morgen der weltweite Klimastreik. Und wenn man sich so ein bisschen umschaut und umhört, man merkt sehr wenig davon. Ich glaube, von den allermeisten letzten weltweiten Klimastreiks hat man viel mehr in Österreich gemerkt. Jetzt kaum was. Und das hat natürlich verschiedene Gründe, unter anderem in diesem konkreten Fall, dass es davor und danach größere Klimastreiks gibt, die aus verschiedenen Gründen - zum Beispiel: die EU Wahl - für Österreich wichtiger sind. Aber natürlich auch, weil die Klimabewegung mittlerweile viel weniger Leute mobilisiert.

Emily Busvine (FM4): Mira, you also contributed to the book with a chapter about the history of the climate movement. What has led to this crisis, are there any historical factors that you identitfied?

Mira Kapfinger: Viele denken ja irgendwie, dass die Klimabewegung 2018 begonnen hat. Dem ist nicht so. Es ist auch nicht die erste Krise, in der die Klimabewegung steckt. Auch 2009 gab es schon eine Krise der Bewegung, als sehr viel auf die internationalen Verhandlungen gesetzt wurde und es dann eine riesige Enttäuschung in der Bewegung gab, nachdem die Verhandlungen in Kopenhagen gescheitert sind.

Es ist natürlich tragisch, sozusagen nach 2019, wo diese riesigen Massenmobilisierungen mit Fridays for Future auf der Straße waren, jetzt zu merken, dass der Drive irgendwie draußen ist. Gleichzeitig gibt es auch viele Gründe dafür: Ja, es waren Massenmobilisierungen und es wurden Fortschritte erreicht, politisch. Aber es war nicht genug Macht, um wirklich große Veränderungen durchzusetzen. Es reicht nicht nur einfach viele Menschen zu mobilisieren, sondern man muss auch politische Gegenmacht aufbauen. Und ich glaube, da können wir noch sehr viel aus der Geschichte lernen.

„Rechte Politik schränkt einerseits die zivilgesellschaftlichen Handlungsspielräume ein und andererseits ist rechte Politik nicht mit Klimagerechtigkeit vereinbar.“

Manuel Grebenjak: Diese konkreten Erfolge, die es dann gab, 2019 vor allem und auch danach, solche Erfolge wirken dann oft demobilisierend. Menschen werden durch irgendwas empört, gehen auf die Straße, dann erreicht man das und viele davon sagen sich dann: Wir haben jetzt etwas erreicht, wir haben ein Ziel erreicht, auch wenn es vielleicht nur ein Teilziel war. Ich will nicht sagen, da lehnt man sich zurück, aber man fühlt nicht mehr so die Dringlichkeit nochmal auf die Straße zu gehen, abgesehen davon, dass es sehr anstrengend ist, solche Dinge wie Großdemos zu organisieren.

Pauline Binder (FM4): Im Buch steht unter anderem, dass soziale Bewegungen unterschiedliche Phasen durchlaufen, so wie Jahreszeiten. Nach eurem Buch ist jetzt gerade Herbst oder Winter, das heißt Zeit für Reflexion. Was bedeutet das jetzt konkret für euch?

Manuel Grebenjak: Ja, im Buch sagen wir tatsächlich, dass wir uns gerade in einem „Bewegungswinter“ befinden. Im „Winter“ geht es eigentlich darum zu reflektieren, sich zu fragen: „Was hat in den letzten Phasen gut geklappt und was vielleicht weniger gut?“ Da geht es aber auch darum, zu schauen, wie man weitermacht, weil: Der nächste Frühling kommt bestimmt.
Jetzt im „Winter“ ist es so, dass die Bewegung wenig Macht hat. Es werden weniger Leute mobilisiert, um auf die Straße zu gehen. Man beschäftigt sich eben mit sich selbst und mit anderen Themen. Aber es gibt eben schon ein Aufblitzen von wirklichen Fortschritten, oder auch interessanten Projekten, die man schon sieht, die sich abzeichnen und die Erfolg haben.

Pauline Binder (FM4): Kipppunkte sind einerseits ziemlich erschreckend: das Abschmelzen der antarktischen Eisschilder oder das Versagen des Golfstroms, zum Beispiel, da will man sie unbedingt vermeiden, weil es danach kein Zurück mehr gibt. Es gibt aber auch sogenannte „soziale Kipppunkte“ von denen sich Aktivist:innen schnelle Veränderungen erhoffen. Was kann man sich darunter vorstellen?

Manuel Grebenjak: Ja, soziale Kipppunkte werden immer öfter thematisiert, gerade in der Klimabewegung, aber auch in der Wissenschaft. Und es gibt verschiedene Interpretationen. Zum Beispiel mit unserer Mobilisierung ganz viele Menschen auf die Straße zu bringen, einen gewissen Punkt erreichen: Wenn es genug sind, dann geht es wie von selbst, dass sich was verändert in der Gesellschaft. Die Recherche im Buch hat gezeigt, dass das leider nicht ganz so stimmt. Natürlich gibt es gewisse Punkte an denen sich Dinge verselbstständigen oder viel größer werden, als man vorher gedacht hätte, aber es ist trotzdem wichtig weiterzumachen. Denn ein Selbstläufer wird sozialer Wandel nie.

Pauline Binder (FM4): Was wäre ein Beispiel für einen sozialen Kipppunkt? Was müsste passieren?

Manuel Grebenjak: In der Klimabewegung wird oft von der 3,5 % Regel geredet. Das kommt aus der Forschung. Konkret geht es eigentlich um den Sturz von Regimen. Man müsste 3,5% der Bevölkerung in einem Land mobilisieren, auf die Straße bringen, und dann stürzt das Regime ein.
Es gibt ganz viele Dinge an diesem Konzept und dieser Theorie, die kritisierenswert sind. Ich finde es auch schwierig, generell solche Dinge in Zahlen zu gießen. Das Problematische ist, dass diese Forschung aus einem Bereich kommt, wo es nicht um Klima, Ökologie oder einen Systemwandel, wie etwa in der Wirtschaft geht. Deswegen würde ich das nicht anwenden.

Aber natürlich kann man sagen, wenn es gewisse Events gibt, die viele Menschen empören und die sich dann auch mobilisieren lassen, politisch aktiv zu werden, dass das viel verändern kann. Es gibt andere Punkte, wo auch in der Wissenschaft von wirtschaftlichen Veränderungen gesprochen wird. Zum Beispiel, wenn auf einmal E-Autos einen gewissen Marktanteil hätten. Dann würden Menschen binnen kurzer Zeit auch nur mehr E-Autos kaufen und auch nur mehr kaufen können, weil die Wirtschaft sich dann umstellt und die Konzerne auf einmal nur mehr E-Autos produzieren. Und es gibt ganz viele andere Beispiele natürlich.

„Ein Fehler in der Vergangenheit war, dass man sich zu wenig aufeinander bezieht, dass man zu wenig aufeinander schaut, dass man zu wenig aufeinander zugeht.“

Pauline Binder (FM4): Was braucht die Klimabewegung, um wieder erfolgreich zu sein?

Mira Kapfinger: Die Klimabewegung ist vor allem in den Momenten sehr stark und erfolgreich, wo sie an einem Strang gezogen hat. Das waren in Österreich etwa „Lobau bleibt!“, wo es einen konkreten Ort gab, wo die ganze Bewegung mit ihren unterschiedlichen Taktiken und Strategien zusammen für ein Ziel, gegen die Lobau-Autobahn, gekämpft hat. Momente, wie eben die Fridays for Future-Massenmobilisierungen, das waren ja auch nicht nur Fridays for Future.

Es ist sehr oft in den einzelnen Zyklen der Bewegung ein Akteur sehr sichtbar, in Wirklichkeit haben aber viele verschiedenen Akteure diese Massenmobilisierungen unterstützt und auch möglich gemacht. Und genau das würde es jetzt halt auch wieder brauchen. Also Austausch und Koordination und Hinarbeiten auf ein gemeinsames Ziel. Was genau das ist, kann ich jetzt auch nicht für die Bewegung beantworten. Ich glaube aber, dass es gerade in diesem Jahr wichtig ist, zu schauen, was sind denn auch Themen, die gerade gesellschaftlich sehr wichtig sind und wo die Klimabewegung einfach auch beitragen kann und muss. Zum Beispiel der Kampf gegen den Rechtsrutsch und den Faschismus, weil rechte Politik einerseits die zivilgesellschaftlichen Handlungsspielräume einschränkt und andererseits rechte Politik und Klimagerechtigkeit nicht vereinbar sind.

Manuel Grebenjak: Der Untertitel des Buches lautet ja: „Strategien im Ökosystem der Klimabewegung“. Und diese Vielfalt an verschiedenen Gruppen, die am stärksten sind, wenn sie zusammenkommen, zeigt sich dann genau so: Es ist ein Ökosystem. Alles ist irgendwie auch miteinander verwoben. Man muss aufeinander eingehen, um auch wirklich gut zusammenspielen zu können und auch mehr erreichen zu können. Und ich finde, dass dieser Blick ganz wichtig ist. Ein Fehler in der Vergangenheit, auch von verschiedenen Teilen der Bewegung, war immer wieder, dass man sich zu wenig aufeinander bezieht, dass man zu wenig aufeinander schaut, dass man zu wenig aufeinander zugeht. Und ich glaube, dieses wieder aufeinander zugehen, miteinander voneinander lernen und auch miteinander neue Strategien finden ist ein ganz wichtiges Element, davon wieder stärker und effektiver zu werden und gewinnen zu können.

„Diese Vielfalt an verschiedenen Gruppen zeigt sich dann genau so: Es ist ein Ökosystem.“

Emily Busvine (FM4): Do you think there are any conflicts within the movement that can’t be solved?

Mira Kapfinger: Es ist wichtig, dass in einer Bewegung auch Platz ist für verschiedene Taktiken, Ansätze und Akteure. Und gleichzeitig glaube ich schon, dass es immer wieder diese Momente braucht, wo dann alle an einem Strang ziehen oder ein gemeinsames Ziel haben.
Ganz wichtig ist auch, sich ein bisschen der historischen Dimension
bewusst zu werden und zu wissen, dass es auch schon vor uns Menschen gab, die für eine gerechtere Welt gekämpft haben und dass es auch nach uns noch Generationen geben wird, die für eine klimagerechtere Welt kämpfen. So, wie wir jetzt in diese Krisen gehen, braucht es sehr starke soziale Bewegungen, um auch eine solidarische Antwort auf diese Krisen zu ermöglichen.
Vielleicht wurde innerhalb der Bewegung sogar zu wenig gestritten oder sich auseinandergesetzt. Und es gibt zwar die unterschiedlichen Strömungen, aber es gab nicht so viel Diskussion über die Strategien zwischen denen und unter anderem deswegen gibt es ja auch dieses Buch, was die verschiedenen Strategien mal zwischen zwei Buchdeckeln vereint.

Emily Busvine (FM4): Manuel, in the book you outline some ideal scenarios for the future. Where do you want things to go?

Autor:innen von "Kipppunkte"

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Das Buch „Kipppunkte - Strategien im Ökosystem der Klimabewegung“ ist im Unrast Verlag erschienen.

Manuel Grebenjak: Also wenn es um die Strategien geht, wünsche ich mir, dass es eine große Diversität gibt, dass es auch eine große Radikalität gibt, aber auch große Breite. Es braucht eigentlich alles. Es braucht das große, ganze große Ökosystem. Mehr Vielfalt braucht es auch bei den Themen.

Ich glaube, wir kommen gerade nicht mehr weiter, wenn wir als Klimabewegung vor allem nur übers Klima reden. Wir müssen auch über andere Themen reden. Zum Beispiel gibt es gerade ein Projekt, eine Kampagne von Fridays for Future gemeinsam mit System Change Not Climate Change und der Gewerkschaft Vida, wo es ums Busfahren geht. Also da arbeiten Aktivist:innen mit Busfahrer:innen zusammen, um die Arbeitsbedingungen für die Busfahrer:innen zu verbessern, weil man die natürlich für eine Mobilitätswende braucht. Das ist jetzt nur ein Beispiel und ein leider noch recht kleines. Aber ich glaube, das ist so ein bisschen die Richtung, in die es in Zukunft gehen muss und gehen soll.

Zum Beispiel könnten wir an Wasser denken. Auch Österreich ist nicht sicher davor einmal Schwierigkeiten zu bekommen, wenn es darum geht, wie viel Wasser wir zur Verfügung haben. Und ich glaube, sich jetzt schon darüber Gedanken zu machen und darauf eingehen zu können, wenn es so weit ist, auch als Bewegung, das wäre ein guter Weg.

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