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Ein Tabakpäckchen mit Filter und Zigarettenpapier

Robert Rotifer

ROBERT ROTIFER

Lebenslanges Tabakverbot für junge Brit:innen - Und was daran so stinkt

Die britische Regierung verhängt ein de facto-Tabakverbot über die Generation Alpha. Warum das erstens schiefgehen wird und zweitens gar nicht in Ordnung ist.

Eine Kolumne von Robert Rotifer

Wenn ich so im Zug zwischen London und der englischen Einschicht sitze, sehe ich mir gegenüber nicht selten eine Person unterwegs Richtung Pendlerschlafheimat, das Gesicht gelb und grau, wegen des grässlichen Lichts oder des abgedienten Arbeitstags. Die Hände der Person wühlen geistesabwesend in einem knisternden Tabakpäckchen mit Bildern von Geschwüren entstellter Körperteile und Organe drauf. Ihre Finger formen ein Häufchen Tabak auf einem Blatt Zigarettenpapier, befreien einen Filter aus seinem Cellophan-Röllchen, platzieren ihn zielsicher neben dem Häufchen. Dann wird gerollt, geschleckt, zurechtgestrichen und quasi zum Abhaken des Kalenderdatums die fertige Zigarette hinters Ohr gesteckt, bereit für den Weg vom Bahnhof nach Hause.

Das Ritual als Vorspiel ist dabei fühlbar genauso wichtig wie das Rauchen selbst. Dementsprechend will ich hier, bevor wir zur Sache kommen, präliminarisch noch einen Beitrag zum Glossar britischer Phänomene vorausschicken. Heute: Der „Contrarian“, fast immer maskulin.

Der Contrarian definiert sich durch sein performatives Verneinen des allgemeinen Konsens. Er ist nicht etwa der Typ, der dir erzählt, warum er Taylor Swift nicht mag oder versteht. Der reproduziert schließlich auch nur den Konsens seiner Generation. Nein, der Contrarian mag auch die Beatles nicht, und ja, das muss er dir unbedingt erzählen.

Im echten Leben ist er also eine unglaubliche Nervensäge, in den britischen Medien wiederum ist er ein um negative Aufmerksamkeit buhlendes Geschäftsmodell, politische Tendenz rechts bis weit rechts, das Kolumnen in Tageszeitungen wie dem Daily Telegraph, der Daily Mail, der Times, Online-Plattformen wie Unherd und Spiked aber natürlich auch die Timelines sozialer Medien füllt.

Es stimmt schon, der Journalismus geht unter, und jede:r, die/der schreibt, muss sich überlegen, wie sie/er weiter über die Runden kommt. Aber was immer noch aus meinem Leben wird: Nie will ich so tief sinken, als professioneller Contrarian zu enden.

Und doch muss ich hier was schreiben, das mich auf den ersten Blick genau wie ein solcher verdammter Contrarian aussehen lässt, also bitte gebt diesem Text eine Chance, bevor ihr mich vorschnell mit sowas verwechselt. Die Sache ist nämlich folgende:

Die britische Regierung hat mit Unterstützung der Opposition – und gegen einigen Widerstand aus den eigenen Reihen – ein scheinbar ganz vernünftiges neues Gesetz beschlossen: Ab 2027 soll im Vereinigten Königreich mit jedem Jahr das Alter, ab dem man Tabakprodukte kaufen kann, derzeit 18, jährlich um ein Jahr angehoben werden. Mit dem Ergebnis, dass Leute, die nach 2009 geboren sind, in ihrem Leben niemals legal Tabak erwerben werden können.

Auf diese Weise will man allen nachfolgenden Generationen das Rauchen untersagen, und ich finde das aus in der Folge erklärten Gründen unerträglich.

Steigen wir also aus dem Zug, stellen uns mit all den anderen Deppen am Bahnhofsausgang an, quetschen uns durch die Ticketschranke ins Freie, holen den rollie hinterm Ohr hervor und zünden an:

Natürlich, das will ich nicht bestreiten, ist Rauchen, wie die Holländer:innen es so schön auf ihre Zigarettenpackungen drucken, dodelijk. Eine dumme, mutwillige Selbstbeschädigung verpackt als Genuss, die zu einem bösen Ende führt.

Und so waren es auch die Dümmsten unter den britischen Politiker:innen, die sich in der Unterhausdebatte vor dem Gesetzesbeschluss dagegen aussprachen. Leute wie die Ex-Premierministerin Liz Truss, die gerade ihren neuen Memoiren-Band mit dem Titel „Ten Years To Save The West“ zu bewerben hat, und sich in dieser Mission entschlossen zu Wort meldete: Das neue Gesetz sei bloß eine Zwischenstufe in den großen Plänen eines „technokratischen Establishment“ zur Einschränkung der Freiheiten des Individuums. Einer „Gesundheitspolizei“, die den Menschen die freie Wahl darüber nehmen wolle, „was sie essen, was sie trinken und womit sie sich erfreuen.“

Die Verteidigung der Freiheit zu rauchen erklärte Truss somit zu einem der Wege, den Westen zu retten. Ein anderer konservativer Abgeordneter ging sogar so weit zu sagen: „Wir müssen eine Generation von Krieger:innen großziehen. Der Gouvernantenstaat („the nanny state“) schafft keine Krieger:innen.“

Mit der Zigarette im Mund für die Rettung der Freien Welt zu kämpfen, das ist so ein bescheuertes Sinnbild, dass die progressiven Stimmen auf meinen Timelines sich reflexartig in sarkastischem Spott darüber ergingen. Kein:e einzige:r kam mir unter, die oder der sich kritisch zu dieser gestaffelten Tabakprohibition geäußert hätte. Dabei läge die progressive Antwort darauf doch eigentlich auf der Hand:

Die Regierung Sunak will also aufzeigen, dass ihr das gesundheitliche Wohl der sogenannten Generation Alpha und derer Nachfolgerinnen am Herzen liegt.

Dieselbe Regierung Sunak, die erst letzten Herbst einige der wesentlichsten Strukturmaßnahmen zur Erreichung der britischen Klimaziele (CO2-Neutralität bis 2050) in Straßenverkehr, Haushalt und Häuserbau auf die lange Bank geschoben hat. „To save money for families.“

Dieselbe Regierung Sunak, die erst diesen Jänner mit einem Gesetz zur jährlichen Verleihung neuer Lizenzen zur Gas- und Ölförderung in der Nordsee aktiv den Ausstieg aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen torpediert hat. „To secure low energy prices for families.“

Auf dass die Generation Alpha einen brennenden Planeten erben möge, aber immerhin rauchfrei.

Die Regierung Sunak hat aber noch eine andere gesundheitspolitische Offensive angekündigt: In seiner heutigen Rede für den „unabhängigen“ konservativen Think Tank mit dem klingenden Namen Centre For Social Justice erklärte Sunak seine „moralische Mission“ zur Reform des Wohlfahrtstaats, dessen Werte „Teil unseres nationalen Charakters“ seien.

In Großbritannien werden 22 Prozent der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter als „ökonomisch inaktiv“ eingestuft. Das klingt nach viel, aber 27 Prozent davon sind zum Beispiel Student:innen (Lernen zählt nicht als ökonomische Aktivität), und knapp 18 Prozent betreuen Familienmitglieder (detto).

Sunaks Augenmerk richtet sich allerdings auf die 30 Prozent langfristig Erkrankten, eine seit der Pandemie weltweit angestiegene Zahl, insbesondere die seit 2019 verdoppelte Zahl von – insbesondere vielen jungen – Menschen, deren hauptsächliche Erkrankung in Depressionen und Angstzuständen besteht. Deren Angaben über ihren eigenen Zustand beschreibt Sunak als „subjektiv“ und „nicht verifizierbar“.

Es sei an der Zeit, sich „ehrlicher dem Risiko einer Übermedikalisierung der alltäglichen Herausforderungen und Sorgen des Lebens“ zu stellen.

Deshalb würde man das Urteil über Arbeitsfähigkeit künftig aus der Kompetenz praktischer Ärzt:innen an „spezialisierte Arbeits- und Gesundheits-Profis“ übergeben, die Langzeitkranke einfach gesundschreiben können sollen.

So kurz nach der Ankündigung des jahrgangsabhängigen Rauchverbots ließe sich kaum besser illustrieren, dass der Regierung Sunak tatsächlich weniger an der Gesundheit, als an der Arbeitsfähigkeit der (jüngeren) Bevölkerung liegt.

Wie es sich ergibt, kenne ich so einige Leute in ihren frühen bis mittleren Zwanzigern (okay, es ist die Generation meiner Kinder), und ich weiß, wie viele von ihnen rauchen, trotz der exorbitant hohen Tabakpreise (loser Tabak kostet an die 90 Euro pro 100 Gramm). Gefühlt weit mehr als noch vor ein paar Jahren, und zu den unterschwelligen Gründen dafür gehören wohl dieselben Stresszustände angesichts immer prekärer werdender Verhältnisse bei real fallenden Löhnen und enorm gestiegenen Lebenskosten, die auch die psychischen Erkrankungen in ihrer Generation so sprunghaft ansteigen haben lassen.

Nicht dass das Rauchen ein geeignetes Mittel dagegen wäre. Aber jungen Menschen wie denen, die mir im Zug gegenübersitzen, auf der einen Seite die Trostzigaretten wegzunehmen, und auf der anderen ihre Depressionen und Ängste als Arbeitsscheuheit darzustellen, das scheint mir dann doch exzessiv grausam.

Vor allem steckt dahinter aber auch eine autoritäre Tendenz zum Zwang zur Selbstoptimierung, die das Individuum anweist, dem Arbeitsmarkt einen möglichst gesunden Körper zur Nutzung zur Verfügung zu stellen. Die Kritik daran ausschließlich rabiaten Rechtslibertären wie Liz Truss zu überlassen, das halte ich sehr wohl für einen schweren politischen Fehler auf Seiten der Linken bzw. Progressiven.

Deshalb, finde ich, kann man diese Prohibition so widerspruchslos nicht stehen lassen, und das macht mich noch lange nicht zum Contrarian.

PS: Im Übrigen wird sie auch nicht funktionieren, denn wie man schon an der spanischen Aufschrift auf dem Tabakpäckchen in der Illustration oben sieht, gibt es jetzt bereits Wege, die hohen Preise hierzulande zu umgehen. Bei einem Verbot wäre das sicher nicht anders.

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