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Taxi Schild Wien

APA/ GEORG HOCHMUTH

mit akzent

Die guten alten Zeiten

„Früher war alles besser in Wien“, haben zwei Menschen Todor erzählt. Er findet: So viel hat sich eigentlich gar nicht verändert.

Von Todor Ovtcharov

Ich hatte einmal eine Tante, von der niemand sicher war, wie alt sie eigentlich war. Wenn alle Legenden über ihr Leben stimmten, dann war sie mindestens 106. Das schien unglaublich, da sie immer in bester physischer und psychischer Verfassung war. Das einzige Schlechte an ihr war, dass sie allen immer die Wahrheit sagte.

Sie betrachtete zum Beispiel meine Mutter und meinte, dass sie genau drei Kilo zugenommen hätte. Meine Mutter schämte sich, da sie wusste, dass ihr genau diese drei Kilo schlaflose Nächte bereiteten und sie ohne Erfolg versuchte, sie wieder zu verlieren. Wie konnte die Tante genau wissen, wie viel meine Mutter zugenommen hatte? Das blieb ein Geheimnis, genau wie ihr langes, fast ewiges Leben.

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Man erzählte, dass sie die halbe Welt umkreist hatte, ohne einen einzigen Groschen auszugeben. Als ich sie fragte, ob das stimmt, antwortete sie: „Für schöne Frauen gibt es keine Grenzen“ und schickte mich Zigaretten kaufen, die sie danach mit einer sehr langen Zigarettenspitze rauchte. Als sie erfuhr, dass ich nach Wien fahren würde, sagte sie: “Oh Wien! Dort musste man vor dem ersten Weltkrieg sein. Damals war das Leben wirklich schön! Man zahlte mit echtem Gold und das Gold war überall. Selbst wenn man nur eine Goldmünze in seiner Tasche hat, fühlt man sich sicher!“

Ich hatte noch nie eine Goldmünze besessen und kannte dieses Gefühl von Sicherheit nicht. „Und genau das ist dein Fehler!“, sagte meine Tante. Obwohl ich keine Goldmünze hatte, fuhr ich trotzdem nach Wien. Das erste Mal, als ich wieder in Bulgarien war, fragte sie mich wie ich mich fühlte. „Gut“, antwortete ich. Sie schüttelte nur den Kopf. „Du wirst früher oder später verstehen, dass Wien nicht mehr das ist, was es einmal war!“ Das sind die letzten Worte, die ich von ihr gehört habe.

“Wien ist nicht mehr das, was es einmal war”, sagt der Taxifahrer zu mir und nickt in meiner Richtung während wir warten, dass das unendliche Nachmittagsverkehr am Gürtel weiterfließt. “Als ich 1973 hierher gekommen bin, war alles schöner, ruhiger und sauberer. Die Menschen waren reicher. Sie mieteten das Taxi für einen ganzen Abend und ich fuhr sie von einer Feier zur Nächsten. Jetzt wollen sie nicht mal einen Zehner spendieren. Es ist voll mit Betrunkenen und Drogensüchtigen, die guten alten Wiener mit guten Manieren, dicken Brieftaschen und Respekt vor den arbeitenden Taxifahrern gibt es nicht mehr. Überall nur Ausländer. Zuerst kamen die diebischen Polen, als die Mauer fiel. Alles wurde schrecklich. Und früher haben die Menschen nicht mal ihre Häuser zugesperrt. Danach ist alles schrecklich geworden! Es kam das ganze Gesindel aus Jugoslawien und jetzt neulich alle Araber. Ich bin ein echter Wiener! Und diesen schrecklichen Verkehr gab es auch nicht!”

Ich bin sicher, dass der Fahrer ein echter Wiener ist, wo wie er sich über alles beschwert mit einem leichten arabischen Akzent. Und wie er von den guten alten Zeiten zu träumt, als die Menschen das Taxi für einen ganzen Abend mieteten und er Tausende von Schilligen bekam. Ich kann nichts zu ihm sagen. Der Taxifahrer heißt Muhammed und kommt aus Ägypten. Nichts hat sich verändert seit den Erzählungen meiner Tante bis zu dem Gespräch mit Muhammed. Und die Stadt Wien ist auch dieselbe.

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