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Thierry Breton

APA/AFP/STEPHANE DE SAKUTIN

Erich Moechel

Digitale Agenda der EU kommt wieder in Bewegung

Thierry Breton, der französische Ersatzkandidat für das Superressort Binnenmarkt mit fast allen digitalen Kompetenzen in der Kommission, ist für diesen Posten absolut qualifiziert. Dennoch wird er es im kommenden Hearing des Parlaments nicht leicht haben.

Von Erich Moechel

Die Digitale Agenda der Union kommt wieder in Bewegung. Die parlamentarische Anhörung des französischen Kandidaten Thierry Breton für die EU-Kommission wurde laut Medienberichten bereits für kommenden Donnerstag angesetzt. Breton wurde von Frankreich nachnominiert, nachdem das EU-Parlament die erstgereihte Sylvie Goulard wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten abgelehnt hatte.

Von der Papierform her wäre Breton für das Binnenmarktkommissariat, wo der Großteil der Digitalen Agenda angesiedelt ist, mehr als nur qualifiziert. Seine Biografie sieht nämlich aus, als hätte er zeitlebens auf diesen Posten hingearbeitet. Seit den 90ern hatte Breton die vier wichtigsten französischen IT-Konzerne saniert und war zwei Jahre lang Frankreichs Finanzminister. Begonnen hatte er seine Karriere jedoch mit der Veröffentlichung dreier Romane in den 80er Jahren, alle zum Thema Cyberwar.

Thierry Breton

APA/AFP/ERIC PIERMONT

Der skeptische Blick Thierry Bretons ist angesichts des Verlaufs der bisherigen Hearings durchaus angebracht. Es ist abzusehen, dass Breton kritische Fragen zu seinen Industriebeteiligungen und Aufsichtsratssitzen beantworten muss.

Konservative gegen Liberale

Im Zentrum der digitalen Agenda im Binnenmarktressort steht der geplante „Digital Services Act“, der die E-Commerce-Richtlinie aus dem Jahr 2000 modernisieren soll.

Der Termin am Donnerstag ist bis jetzt noch nicht vom EU-Parlament bestätigt, auch weil nun doch wieder ein britischer Kommissar nominiert werden muss. Die Nachnominierungen für die abgelehnten Kandidaten aus Ungarn und Polen kamen zudem erst spät herein. Vom Verlauf der bisherigen Hearings her ist zu erwarten, dass es die Abgeordneten auch Breton trotz seiner unbestrittenen Qualifikationen nicht leicht machen werden. Die übrigen Hearings waren geprägt von bohrenden Fragen seitens der konservaten EVP-Fraktion vor allem rund um die Integrität der Kandidaten.

Davon betroffen war vor allem die Erstnominierte Sylvie Goulard (Renew - Liberale Fraktion), die nach zwei Hearings samt schriftlicher Erklärungen abgelehnt worden war. Das war die Antwort das Parlaments und da vor allem der EVP darauf, dass der französische Ministerpräsident in einer putschartigen Aktion das Spitzenkandidatensystem des Parlaments zu Fall gebracht hatte. Nach diesem Prinzip, hinter dem alle parlamentarischen Fraktionen außer den Nationalkonservativen und dem Rechtsblock stehen, wäre EVP-Fraktionsführer Manfred Weber Kommissionspräsident geworden.

Sylvie Goulard

APA/AFP/Kenzo TRIBOUILLARD

Die erste Kandidatin für den Binnenmarkt, Sylvie Goulard, eine enge Vertraute des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, war bei ihrem zweiten Hearing ziemlich siegessicher angetreten. Am Ende hatte sie anstelle der notwendigen Zweidrittelmehrheit mit 82 zu 29 Stimmen fast zwei Drittel der Abgeordneten gegen sich.

Was Breton im Hearing erwartet

Bei ihrer zweiten Anhörung wurde Sylvie Goulard von den EU-Parlamentariern regelrecht demontiert, weil sie in ihrer Zeit als Abgeordnete EU-Gelder missbräuchlich für Parteiarbeit in Frankreich verwendet hatte.

Nachdem Macron mit seinem Veto diesen gesamten Plan umgeworfen hatte und auf dem Mitspracherecht der nationalen Regierungen beharrt hatte, wurde mit Ursula von der Leyen erst wieder eine Präsidentin gewählt, die nicht aus dem Parlament, sondern von einer nationalen Regierung kommt. Es ist also abzusehen, dass es Fragen zu Bretons engen Beziehungen in die französische IT-Wirtschaft hagelt. Als ehemaliger CEO der Bull Group (Großrechneranlagen), des Elektronikherstellers Thomson, Orange - damals noch France Telecom - sowie des Marktführers Atos (IT Services) und Ex-Finanzminister sitzt der 64-jährige Breton in mehreren Aufsichtsräten und hält Unternehmensbeteiligungen.

Hier ist es für die EVP möglich anzusetzen, denn an den Kompetenzen für dieses Großressort gibt es nichts zu rütteln. Thierry Breton hatte 1993 als neuer CEO der Groupe Bull begonnen, den angeschlagenen Hersteller althergebrachter riesiger Mainframe-Computer umzustellen. Am Ende war Bull mit weit kleineren und billigeren Hochleistungsrechnern ähnlich modern aufgestellt wie Sun Microsystems damals. 1997 wiederholte Breton dasselbe mit der maroden Thomson Multimedia, die zwischendurch um einen symbolischen Franc an einen südkoreanischen Investor gehen sollte. 1999 war die Firma wieder in den schwarzen Zahlen, 2002 war Thomson profitabler als die Konkurrenten Sony, Panasonic, Matsushita & Co.

Buchcover: "Softwar"

Thierry Breton, Denis Beneich

Der erste - noch mit einem als Co-Autor - verfasste Roman Bretons, „Softwar“, wurde in Frankreich 1984 mit 80.000 Exemplaren zum Bestseller. Laut den Kritiken ist es ein typischer Thriller aus dem Kalten Krieg mit klischeehaft gezeichneten Figuren und auch kein Cyberpunk-Roman. Bemerkenswert ist allerdings das offensichtliche technische Verständnis des Autors, denn dieser Kalte Krieg findet in Computersystemen mit Softwarebomben („Softbombs“) statt.

France Telecom, Finanzminister, Atos

2002 war Breton von Thomson an die Spitze der französischen Telekom gewechselt, die nach einem viel zu teuren Merger mit dem britischen Mobilfunker Orange Schlagseite bekommen hatte. Breton brauchte nur drei Jahre, um den Großkonzern, der nun Orange hieß, zu sanieren, ein Drittel der Schulden abzubauen und den Aktienkurs zu verdreifachen. Wie bei den Unternehmen davor geschah dies ohne Massenentlassungen, vielmehr wurden neue Produktlinien geschaffen und unprofitable eingestellt. Danach war Breton zwei Jahre lang Finanzminister, direkt im Anschluss begann er den vierten IT-Großkonzern zu sanieren.

Der IT-Dienstleister Atos setzte 2008 mit 50.000 Mitarbeitern zwar 5,5 Milliarden Euro um, war aber kaum profitabel. Nach einer Serie von durchaus riskanten Mergers und Übernahmen von Unternehmenssegmenten, die Siemens und Xerox ausgelagert hatten, war die Marktkapitalisierung von zwei auf 7,5 Milliarden gestiegen, der Börsenkurs hatte sich fast verdreifacht, die Mitarbeiterzahl auf 100.000 verdoppelt. Wie in einem Roman, bei dem sich die Ereignisstränge des Anfangs am Ende schließen müssen, übernahm Atos die Groupe Bull, bei der Breton als Sanierer begonnen hatte. Damit ist Atos nun in Zeiten von Big Data der einzige Hersteller von Supercomputern in Europa und unter den globalen Top sechs bei IT-Services.

Ein großes Rätsel bleibt

Angesichts dieser hohen fachlichen Qualifikation Bretons ist es ein völliges Rätsel, warum der französische Staatspräsident Emmanuel Macron Sylvіe Goulard als erste Wahl für das techniklastige Binnenmarktressort vorgeschickt hatte. Die ist nämlich Politologin und langgediente Expertin für internationale Politik, kann aber auf keinerlei Qualifikationen im erweiterten Technologiebereich verweisen. Obendrein hatte Goulard zwei Untersuchungen der Antikorruptionsbehörde OLAF der EU am Hals, ihr Scheitern war also mehr oder weniger programmiert.

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