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COP25

GABRIEL BOUYS / AFP

klimakonferenz

Keine Panik auf der Titanic

Was man sich von der COP 25 in Madrid (nicht) erwarten kann

Von Albert Farkas

Wenn die Weltklimakonferenz der UNO jedes Jahr im Dezember wieder heranrollt, empfinde ich es nicht als besonders freudigen Anlass. Je mehr sie sich nähert, desto mehr blicke ich ihr mit Unbehagen und vorauseilendem Widerwillen entgegen. Denn die Weltklimakonferenz ist der Anlass für die Bekanntgabe der alljährlichen Hiobsbotschaft, der Jahresendabrechnung, bei der maßgebliche wissenschaftliche Studien veröffentlicht werden, die die Vorahnung bestätigen, die eh jeder halbwegs aufmerksamen Beobachterin schon in den Knochen steckt: Die Klimakrise wird immer schlimmer, und das immer schneller.

In der Zeit

Konkret: Nicht nur, dass die weltweiten jährlichen CO2-Ausstoßraten nicht sinken, wie sie das zur Erreichung des Paris-Ziels von maximal 1,5-2° Erderhitzung gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter müssten, sie steigen seit Beschluss der Pariser Klimaverträge 2015 jedes Jahr überdurchschnittlich stark. 2016 sind mehr Emissionen verursacht worden als 2015, 2017 mehr als 2016, 2018 mehr als 2017. Das Jahr 2018 verzeichnete sogar den viertgrößten je gemessenen Zuwachs (2,7%) gegenüber dem Vorjahr. Für 2019 sagen Prognosen eine geringere Erhöhung voraus (im Moment stehen wir bei einem atmosphärischen CO2-Anteil von 408,53 parts per million), aber gemäß den plausibelsten Modellen ist das kein Wendepunkt hin zu einer Trendumkehr. Realistischerweise werden wir für die absehbaren Zeit noch jedes Jahr mehr Treibhausgase freisetzen als im Jahr zuvor, zu einer Zeit, wo die Raten schon längst abnehmen müssten.

Mann vor Bild einer großen Welle bei der COP25

GABRIEL BOUYS / AFP

Zumal es sein kann, dass sich manche Emissionsquellen bereits in so einem Maß verselbständigt haben, dass wir sie bald nicht mehr ausreichend kompensieren können werden - denn natürlich hat das über die Dauer einer Nachrichtenmeldungshalbwertszeit hinaus Konsequenzen, wenn Rekordmengen an (Regen-)Wald abbrennen und Permafrostboden auftauen. Ein weiterer Teufelskreis erwächst mit den Emissionen, die bei Anpassungsmaßnahmen gegen bereits auftretende Effekte der Klimakrise entstehen (Klimaanlagen, Wiederaufbauten, etc.). Im nunmehrigen Stadium muten die Versuche, die Klimadestabilisierung einzudämmen, ein bisschen so an, als würde man frenetisch gegen Treibsand treten. Während man weiter eifrig hunderte neue Kohlekraftwerke baut, oder Bürgerinnen und Bürger Michael Corleone-mäßig mit der Fata Morgana einer Wasserstoffrevolution trollt [“My offer is this: Nothing.”]

in der du das hier gelesen hast

Die Kritik, die es schon zum Zeitpunkt der Einigung auf die Pariser Verträge an dieser Form der politischen Handhabung gab, ist damals medial eher untergegangen - zu groß war die Erleichterung, dass die Weltgemeinschaft sich jetzt immerhin dazu durchgerungen hatte, im Einklang das existenzielle Problem des Klimaumbruchs anzuerkennen. Aber elementare Mängel wie die Unverbindlichkeit des Selbstverpflichtungsmechanismus’ und ein zu gemächlicher Zeitplan waren 2015 schon absehbar, und treten mit den voranschreitenden Jahren immer deutlicher in den Fokus.

Greta Thunberg bei ihrer Ankunft in Madrid

OSCAR DEL POZO / AFP

Greta Thunberg bei ihrer Ankunft in Madrid

Einer der Experten, die den Pariser Prozess in seiner aktuellen Form für grundsätzlich ungeeignet halten, um die Klimakatastrophe abzuwenden, ist der Klimapolitikforscher Reinhard Steurer von der Universität für Bodenkultur Wien. Das Tempo, in dem die Vertragsstaaten im Rahmen des Paris-Systems formell Klimaschutzanstrengungen erörtern und bewerten, kann seiner, und der Einschätzung der meisten anderen Wissenschaftler zufolge, unmöglich mit der Geschwindigkeit der Klimadestabilisierung mithalten. So würden die Auswirkungen der Ergebnisse des letzten Weltklimagipfels 2018 in Katowice, bei dem man sich auf ein Regelwerk zur Erfassung und Einordnung der landeseigenen Co2-Haushalte geeinigt hatte, erst 2024 ersichtlich werden, wenn die Länder zum ersten Mal aufgefordert sind, sogenannte Transparenzberichte vorzulegen.

hat sich der Klimaumbruch

Und nicht nur das Tempo, auch manche Inhalte der Verhandlungen lassen angesichts dessen, wie dringlich die Situation ist, eine angemessene Ernsthaftigkeit vermissen. Ein zentraler Zankapfel der letzten wie auch der aktuellen Konferenz ist die Frage der Mehrfachanrechnungen. Manche Staaten fordern, dass wenn sie zum Beispiel zu CO2-Einsparungsmaßnahmen in einem anderen Land beitragen, sowohl dieses Zielland als auch sie selbst dieses “Guthaben” für ihre Emissionsbilanz verbuchen können, und vice versa. Solche Albernheiten fügen sich in das Bild, dass die meisten Hauptklimaverschmutzer im Moment nach einem von zwei Modi verfahren: Entweder, sie erfüllen ihre Klimaziele nicht, aber sie tun so, als ob, oder sie erfüllen ihre Klimaziele nicht, und geben es ungeniert zu. Laut Reinhard Steurer sollte die schrittweise Eliminierung von Tricks und Schlupflöchern wie der Mehrfachanrechnung dazu führen, dass es künftig mehr Länder von der zweiten Sorte gibt: “Jetzt sind wir uns wenigstens einig darüber, wie wir die Erbsen zählen. Es wird also die Basis dafür gelegt, dass die nationalen Abrechnungen sauber, verlässlich und transparent sind. Nichtsdestotrotz wird die Zahl der Erbsen jedes Jahr mehr und mehr, und wir schaffen’s trotz dieser schönen Regeln nicht, sie zu reduzieren.”

Protestierende bei der COP25

OSCAR DEL POZO / AFP

Nachhören:
Warum passiert so wenig auf der COP 25 – der Weltklimakonferenz in Madrid?: UN-Jugenddeligierte Ines Birke über die erste Woche

Und zur Erbsenzählerei gesellt sich bei den Klimagipfeln dann oft auch noch die Wortklauberei. Eine gröbere Kontroverse hat sich in Katowice um die Frage entzündet, ob die Teilnehmerstaaten den damaligen Spezialbericht des Weltklimarats IPCC zu den Vorzügen einer 1,5°- gegenüber einer 2°-Grad - Erhitzung in ihrer Abschlusserklärung “begrüßen”, oder nur “zur Kenntnis nehmen” sollten. Die Entscheidung zwischen zwei solchen abweichenden Formulierungen mag in den meisten Kontexten wie linguistische Haarspalterei erscheinen; in diplomatischen Dokumenten hat sie aber handfeste Konsequenzen, und so ist die Tatsache, dass der Bericht schlussendlich nur “zur Kenntnis genommen” wurde, im Sinne eines fortschrittlichen Klimaschutzes als ausdrücklicher Misserfolg des Gipfels gewertet worden. Einerseits ist diese Verbissenheit, mit der manche Emissionshauptverursacher auf solche abgeschwächten Redewendungen beharren, Reinhard Steurer zufolge beispielhaft für die psychischen Hürden für einen effektiven Paradigmenwandel: “Die Terminologie ist symbolischer Ausdruck dessen, wie schwer sich manche Staaten noch immer mit der Forderung nach einem Ende von fossilen Brennstoffen tun. Das spiegelt sich in diesem Konflikt wieder, und das ist unter anderem auch der Grund, warum die Worte “fossile Energie” oder “Öl” im Paris-Abkommen kein einziges Mal erwähnt werden.”

Andererseits geht es bei diesen begrifflichen Grabenkämpfen auch um die praktische Erwägung, welcher Ausdruck juristisch Bestand hat, und welcher nicht - ein Motiv, das hauptverantwortlich dafür war, warum sich im österreichischen Nationalrat keine Mehrheit für die Ausrufung des Klimanotstands gefunden hat, sondern eben nur für den fremdsprachigen “climate emergency”: “Es ist deswegen bemerkenswert, weil manchen Juristen  das Wort “Notstand” in dem Zusammenhang als zu weitreichend vorgekommen ist. Es könnten damit eventuell tatsächlich Notstandsmaßnahmen wie zum Beispiel abendliche Ausgangsverbote in Verbindung gebracht werden. Das kann bei einem englischen Begriff wie “emergency” nicht so leicht passieren, weil der in der österreichischen Rechtsordnung nicht verankert ist.

Spanish street artist Jonatan Carranza aka Sojo bei der COP25

CRISTINA QUICLER / AFP

nur nochmal beschleunigt

Insgesamt war das Jahr 2019 kein Ruhmesblatt in der internationalen Klimapolitik. Die wenigsten Länder (Dänemark zum Beispiel) haben die Zeit genutzt, ihre selbstgesteckten Emissionsreduktionsziele aufzubessern, Donald Trumps USA haben als erster Staat überhaupt ihren Ausstieg aus dem Pariser Klimavertrag eingeleitet. Alles, was in den letzten zwölf Monaten eigentlich effektiv weitergebracht wurde, konstatiert auch Reinhard Steurer von der Boku Wien, ist von “normalen” Menschen ausgegangen: “Ich denke, wir sehen Effekte hin zu einer ambitionierteren Klimapolitik. Die kommen im Moment aber nicht von den Klimakonferenzen, aus dem Paris-Prozess, sondern diese Effekte kommen von der Straße. Der Effekt [der Klimaprotestbewegung] ist groß, und mittlerweile offensichtlich auch der einzige Weg, das Problem zu lösen. Jetzt sind wir an dem Punkt, wo zumindest weite Teile der Bevölkerung sagen, ‘So kann’s nicht weitergehen’. Das ist die Hoffnung, dass die Demonstrationen nicht aufhören, und dass immer mehr Menschen klar wird, wie ernst die Situation ist. Und wenn dieser Druck steigt, wenn sich dieses Signal an die Politik weiter verstärkt, dann ändert sich auch die Politik - oder sie sollte sich ändern.”

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