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Portrait Marco Kleebauer und Sophie Lindinger von Leyya

Gabriel Hyden

„Longest Day Of My Life“ ist Leyyas Werk über Depression

Raus aus dem Musikbusiness-Hamsterrad. Durch den Rückzuga vom Live-Spielen widmen sich Leyya fortan wieder der Studioarbeit und veröffentlichen mit der EP „Longest Day Of My Life“ ein berührendes Werk, das Sophie Lindingers Depression reflektiert.

Von Andreas Gstettner-Brugger

Sophie Lindinger und Marco Kleebauer haben in den letzten Tagen aufhorchen lassen. Sie werden vorerst keine Konzerte mehr spielen. Mit ihrem Projekt Leyya wollen sie wieder zu ihren Wurzeln zurückkehren. Das war und ist die Studioarbeit, die ihnen so viel Freude bereitet. Auch die hunderten Konzerte, die sie teils zu zweit, teils mit Band gespielt haben, waren ihnen wichtig, den unmittelbaren Kontakt zu ihren Fans und dem Publikum zu spüren. Aber jetzt ist es notwendig, aus dem Hamsterrad Album-Konzert-Album-Konzert auszubrechen. Es hat sie erschöpft und Leyya waren nicht mehr zu 100% mit Herz und Energie dabei. Das ist jedoch eine der Grundbedingungen für die beiden, wenn sie Musik machen.

Mit voller Energie werden nun die beiden vorläufig letzten Shows gespielt, in der Bandbesetzung, in der sie auch schon im Februar eine FM4 Geburtstagssession gespielt haben. Am 28.8. stehen sie auf der Bühne beim GLOBE Wien Open Air Marx Halle. Am Tag davor bespielen sie den Posthof Linz.

Am 27.9. erscheint auch die neue EP „Longest Day Of My Life“, eine Sammlung von Songs, die ein ganz anderes musikalisches und sehr persönliches Bild zeichnen.

Das Niederschreiben der Symptome

’Auf ihrem Debütalbum „Spanish Disco“ haben Leyya ihrer spielerischen und fast schon kindlichen Experimentierfreude freien Lauf gelassen. Das zweite Werk „Sauna“ mit seinen bunten, strahlenden, leichtfüßigen und doch tiefsinnigen Elektro-Pop-Songs, hat das Duo dann nicht nur in den heimischen Popolymp katapultiert und ihnen 2018 einen zweiten Amadeus Music Award eingebracht, sondern sie auch über unsere Grenzen hinaus bekannt gemacht.

Nach all diesen Erfolgen hat sich bei Sophie Lindinger eine große Erschöpfung breit gemacht. Der erste Song ihrer neuen EP „Longest Day Of My Life“, „Ordinary“, ist zu dieser Zeit entstanden und war nicht nur der Ausgangspunkt für die vorliegende EP.

Sophie Lindinger: „Als ich den Song geschrieben habe, war ich eigentlich schon mitten in meiner Depression. Nur habe ich damals noch nicht gewusst, dass ich krank war. Ich habe mich gefragt, was mit mir passiert. Ich war immer müde, hatte keine Energie und keinen Antrieb. Ich war sehr viel traurig und wusste nicht, warum. Ich dachte, ich bin komisch und faul. Für den Text zu dieser Nummer habe ich all diese Gefühle aufgeschrieben und mir ist dann erst aufgefallen, dass ich meine Symptome niedergeschrieben habe. Wenn ich daran denke, dass ich dann nochmal vier Monate gebraucht habe, bis ich mir Hilfe geholt habe, bekomme ich jetzt noch Gänsehaut und das Gefühl von damals ist wieder da.“

Sich nicht zumuten wollen, seiner Umwelt und anderen Menschen nicht zur Last fallen wollen, sich zu schämen und zurückzuziehen, sind oft die Gründe dafür, dass Menschen lange versuchen, selbst mit allem zurecht zu kommen. Das thematisiert Sophie auch in dem Titel „The Paper“, so wie auch die Flucht in die Musik, die ihr damals geholfen hat, die anstehenden Schritte auch zu gehen.

Wenn zwei Jahre sich wie ein Tag anfühlen

Es ist ein langwieriger Prozess, von der Unsicherheit, was mit einem nicht stimmt, über Negieren und nach außen hin eine Fassade aufrechterhalten bis zu dem Zeitpunkt, an dem man sich Hilfe holt. Selbst dann ist es noch ein Weg bis zur Akzeptanz und dem Leben mit der Krankheit. Zeit spielt dabei eine wesentliche Rolle, wobei diese sehr wahrnehmungsabhängig ist. Deshalb ist auch der Titel der EP „Longest Day Of My Life“ sehr treffend gewählt.

Sophie Lindinger: „Die letzten zwei Jahre, beziehungsweise der Verlauf dieser Krankheit haben sich angefühlt wie ein schlechter Tag, der nie aufhört. Deshalb haben wir den Titel so gewählt. An Tagen, wo man wirklich nicht aus dem Bett kommt, nicht mal essen oder duschen kann und sogar das aufs Klo gehen anstrengend ist, diese Tage scheinen auch nicht zu vergehen. Da wartet man eigentlich nur darauf, dass endlich Nacht ist, um wieder schlafen zu gehen. Der Titel fasst das gut zusammen.“

Die Ängste und die Unsicherheit dieser Phase hat Sophie Lindinger in dem Song „I’m Not Sure“ gut zusammengefasst. Die Frage danach, wie es weitergehen soll und ob und wie man aus diesen Phasen wieder rauskommen wird, hat Roberto Roboto mit dem eindrucksvollen Animationsvideo gut auf den Punkt gebracht.

Musikalisch ist bei Leyya trotz der inhaltlichen Schwere bei den Songs keine Tristesse herauszuhören. Der melancholische Unterton der teils am Tiefpunkt der Depression aufgenommenen Gesangslinien werden durch die luftig-leichten Beats und die wunderschönen Harmonien gestützt. Selbst bei dem schwersten Stück der Platte „Am I Even Real“, das die Trennung von Geist und Körper beschreibt, vermittelt die Musik noch immer eine gewisse Bodenhaftung und einen mitfühlenden Blick auf die Situation. In dem Video ist das in jenen Szenen berührend umgesetzt, wenn Sophie Lindinger gegen Ende wieder mit Freunden Kontakt aufnimmt und getanzt wird.

Im Gegensatz zum Produktionsprozess von „Sauna“, wo Sophie Lindinger und Marco Kleebauer schon einen ganz spezifischen Sound im Kopf hatten, haben sie für die neue EP alles offen und aus dem Moment heraus entstehen lassen. Mit großem Einfühlungsvermögen hat Marco Kleebauer die Krankheitsphasen von Sophie musikalisch begleitet und es geschafft, der Schwere immer wieder Momente der Hoffnung und der Freude gegenüberzustellen, auch wenn sie anfänglich nur Blitzlichter im schwarzen Tunnel waren.

Mit Kommunikation und Hoffnung aus der Depression

Musik war für Sophie Lindinger immer schon eine Form von Therapie: das auszudrücken, was in ihr schlummert und was sie bewegt. Dieses Mal war es noch viel mehr ein wichtiger Anker, um das tägliche Leben zu bewältigen. Gleichzeitig können die Songs und ihre Geschichte Menschen zusammenbringen und gegenseitiges Verständnis fördern. Denn als Sophie Lindinger das erste Mal mit ihrer Erkrankung an die Öffentlichkeit gegangen ist, hat sie viel Zuspruch erhalten.

Sophie Lindinger: „Ich habe überraschenderweise sehr viele andere Geschichten zu hören bekommen. Viele Menschen haben ihre Geschichte mit mir geteilt und gemeint, dass sie es sehr schön finden, dass man darüber spricht und dass ich meine Geschichte quasi auf den Präsentierteller lege. Sie fühlen sich auch mehr verstanden und vielleicht auch inspiriert, ihre eigene Geschichte zu teilen. Das war sehr schön, weil ich auch gezweifelt habe, ob ich wirklich nach außen gehen sollte und meine sehr private Geschichte mit Menschen teile, die ich gar nicht kenne.“

„Longest Day Of My Life“ ist zutiefst berührend. Vor allem die behutsame Art, das Thema Depression in diesen sehr abwechslungsreichen und gleichzeitig poppigen Songs nach außen zu tragen, macht dieses Werk neben dem Hörgenuss zu einem sehr wertvollen Geschenk. Dadurch, dass Sophie Lindinger uns ihr Herz öffnet, kann es auch unseres öffnen. Die Songs und ihre Geschichten können uns verbinden, uns das Gefühl vermitteln, dass wir in unserem Leid nicht alleine sind und Hoffnung schöpfen, Wege aus Krisen zu finden. Mit „I’ve Been Down“ und dem Schlusssong „Lately“, der die tanzbare, sprudelnde Energie von Leyya wieder an die Oberfläche bringt, wird genau diese Hoffnung auf Genesung und positive Veränderung transportiert.

Es ist schlussendlich auch ein innerer Auftrag von Sophie Lindinger gewesen, das Thema Depression weiter zu enttabuisieren und durch das Darüber-Reden auch die Chance auf Besserung wahrzunehmen. Denn das, was Sophie Lindinger am meisten geholfen hat, war ihr Umfeld und die Kommunikation.

Sophie Lindinger: „Das wichtigste für mich war, mit den Menschen, die mir nahe stehen, zu kommunizieren. Darüber zu reden, wie es mit geht, was ich brauche und um Hilfe zu bitten. Ich glaube, ohne diese Leute hätte ich es nicht geschafft, weil sie teilweise auch dafür gesorgt haben, dass ich etwas esse und mir Essen gebracht haben, weil ich nicht geschafft habe, etwas zu kochen. Sie haben mich immer wieder angerufen, mich rausgeholt, sind mit mir spazieren gegangen und das war für mich das allerwichtigste. Zu kommunizieren, wie es einem geht, auch wenn man sich denkt, dass man keine Belastung sein möchte. Diese Menschen sind Familie und Freunde, weil man sich liebt. Und die Menschen, die dich lieben, die würden auch alles dafür tun, damit es dir wieder besser geht.“

„Longest Day Of My Life“ ist damit auch ein Plädoyer für die Kraft der Liebe, für den Mut, sich zu öffnen und für familiäre und freundschaftliche Beziehungen, die das Leben bereichern. Herzlichen Dank an Sophie Lindinger für ihren Mut und die Bereitschaft, ihre Geschichte mit uns zu teilen.

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