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Wet Leg beim Pohoda Festival 2023

Martina Mlčúchová

Ist das Pohoda das beste Festival der Welt?

Knapp zwei Stunden von der österreichisch-slowakischen Grenze entfernt steigt seit zwanzig Jahren ein Festival, auf dem vom Line Up über die Besucher*innen bis hin zu Camping und Atmosphäre einfach alles passt. Eine Liebeserklärung an das vielleicht beste Festival der Welt.

Von Alica Ouschan

Wenn man zum allerersten Mal aufs Pohoda fährt, steht man (nanonaned) vor der ein oder anderen Startschwierigkeit. Zum Beispiel, weil der Weg dorthin zwar sehr einfach, aber nicht beschildert ist. So kann es durchaus passieren, dass man mal eine halbe Stunde rund um den alten Flughafen in Trencin rumgurkt, bis man da ankommt, wo es losgeht.

Wenn die Suche nach dem Eingang für etwas Unmut gesorgt hat, scheint dieser in der Luft zu verpuffen, sobald man aufs Festivalgelände kommt. Das Gelände am Pohoda ist riesig, unglaublich viele Eindrücke prasseln auf einen ein, und das, ohne dabei überfordernd zu wirken. Es gibt um die zehn Stages, einen riesigen Food Court mit unendlich viel Auswahl, Bier um 2,90€ und Wein aus der Region.

Wet Leg beim Pohoda Festival 2023

Martina Mlčúchová

Tiefenentspannt und einladend

Unter einem offenen Zelt steht ein altes Klavier, auf dem immer irgendwer Supertalentieretes klimpert. Jungfamilien mit kleinen Kindern stromern genauso über das Gelände wie Jugendliche und junge Erwachsene. Kleinkinder werden von ihren Eltern in Leiterwagen durch die Gegend gezogen. Die Atmosphäre ist kaum anders beschreibbar: „Noch nie hab ich mich auf einem Festival so willkommen, so entspannt gefühlt,“ sagt eine Besucherin.

„Noch nie hab ich mich auf einem Festival so willkommen gefühlt.“

Es geht gerade die Sonne unter, als Sleaford Mods an diesem Donnerstag mit ihrer Show beginnen. Der erste Tag geht fast noch als Warm-Up Day durch, was irgendwo auch gut ist, denn wenn man das erste Mal auf ein Festival fährt muss man sich ja auch erstmal zurecht finden. Besonders, wenn es so viele Bühnen gibt. Mit Perfume Genius und Jamie XX stehen aber noch zwei weitere große Namen auf dem Programm. Außerdem spielen auf den kleineren Stages viele local Newcomer aus allen möglichen Genres.

Jamie XX beim Pohoda Festival 2023

Adam Zvolensky

Jamie XX

Es fällt schwer, den Finger auf das genaue Gefühl zu setzen. Was einem aber klar wird: Es macht einen riesigen Unterschied, ob ein Festival profitorientiert arbeitet oder ob es wie im Falle des Pohodas kommunal und ehrenamtlich veranstaltet und über Förderungen und Spenden finanziert wird. Das Ticket für drei Tage Musik, Workshops, Dance-Battles, Theater Performances, Key Notes und unzählige weitere Aktivitäten bei denen man sich die Zeit vertreiben kann hat 129€ gekostet. Trotzdem haben die Veranstalter*innen es geschafft, ein enorm spannendes, beinahe schon Show-Case-artiges Line Up zusammenzustellen, an dem sich einige österreichische Festivalproduktionen gerne ein Beispiel nehmen könnten.

Das Line Up macht das Publikum

„Ich glaube fest daran, dass man mit der Auswahl der Acts beeinflussen kann, wer auf das Festival kommt,“ sagt ein slowakischer Journalist, der seit fünfundzwanzig Jahren in Kanada lebt und arbeitet und trotzdem beinahe jedes Jahr fürs Pohoda zurück kommt. „So viele unterschiedliche Menschen aller Generationen findet man sonst kaum wo. Alle sind total offen, happy und gastfreundlich, es ist für jeden was dabei und egal wie unterschiedlich die Menschen sind, hier kommen sie zusammen und finden ‚common ground‘.“

Perfume Genius bei Pohoda

Martina Mlčúchová

Perfume Genius

Ein junger Stundent aus Bratislava sagt: „Ich finds cool, wie politisch das Pohoda Festival ist. Klar, genau deswegen kommen viele Leute nicht hierher. Aber ich finde es super, dass die Veranstalter*innen sich dem nicht beugen, sondern umso politischer werden und ihren Standpunkt vertreten.“ Worum geht es beim Pohoda? Solidarität, Community, radikale Akzeptanz, Offenheit, möglichst ökologisch zu arbeiten und dabei den Ressourcen-Verbrauch zu minimieren.

Zum Beispiel hat man bei jedem neuen Getränk, das man sich holt, einen anderen Becher in der Hand. Alle haben unterschiedliche Designs, denn hier werden die Becher mit dem Line Up und den Artworks der letzten Jahre einfach wiederverwendet. Wenn man sich die genauer anschaut ertappt man sich schon oft bei der Frage: „Wieso habe ich nicht gewusst, dass dieses Festival existiert? Warum war ich noch nie hier?“

Sleaford Mods beim Pohoda Festival 2023

Adam Zvolensky

Sleaford Mods

Das Pohoda ist hierzulande auch nach all diesen Jahren noch ein echter Geheimtipp und das obwohl dort Acts wie The Chemical Brothers, Björk, The Prodigy, The XX, Tame Impala, St. Vincent oder M.I.A. auf der Bühnen stehen. Außerdem scheint es für das Pohoda ein Leichtes, mit der Zeit zu gehen und den Forderungen nach diverseren Line Ups nachzukommen. Das Gender-Verhältnis ist ausgeglichen, es gibt Repräsentation von queeren und BIPoC Artists, die sich nicht gewollt oder erzwungen, sondern real und richtig anfühlt.

„[Das Pohoda Festival] ist ein Ort, wo sich marginalisierte Personen und Minderheiten zuhause fühlen.“

Da fragt man sich schon, warum es ausgerechnet für österreichische Festivals so schwer scheint, genau das umzusetzen. Zu Beginn der Festivalsaison sind die Diskussionen darüber auf Social Media wieder lauter geworden. Booker von großen Agenturen sprachen darüber, dass sie in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Tickets (aus)verkaufen müssten. Hier nochmal der Verweis auf die Theorie jahrelanger Pohoda-Gänger*innen und das Argument, das sie dem entgegenstellen: „Wenn du ein diverses Line Up zusammenstellst, ziehst du vielleicht sogar noch mehr Leute an. Zwar nicht die breite Masse, die ein Festival möglichst schnell ausverkauft, aber dafür erschaffst du einen Ort wo marginalisierte Personen und Minderheiten sich zuhause fühlen. Und wenn du viele verschiedene Nischen bedienst, kommen am Ende fast gleich viele Menschen, nur sind sie als Gruppe viel heterogener.“

Wet Leg beim Pohoda Festival 2023

Martina Mlčúchová

Wet Leg

Eine Art Utopie

Das Pohoda ist ein Familienfest, ein Event, das die Community an offenen Menschen zusammenbringt und ihnen einen Zufluchtsort bietet, eine Art Utopie erschafft. Gemeinsam mit 30.000 Besucher*innen werden Queerness zelebriert und feministische sowie antifaschistische Parolen bejubelt. Auf dieses Festival fährt man wegen dem Line Up und entdeckt dann vorort umso mehr Gründe, warum man im nächsten Jahr unbedingt wiederkommen will.

Highlights am Tag zwei sind Viagra Boys, Wet Leg, Cakes Da Killa und Caroline Polachek. Letztere sorgte nicht nur für ein unbeschreiblich kraftvolles, beinahe schon spirituelles, rituelles Konzerterlebnis, sondern sprach erstmals auch über ihre slowakischen Wurzeln: „I haven’t done any deep geneacological research but according to some sites online, my grandfather was Slowakian.“ Sie ist das erste Mal in der Slowakei, die Verbindung zwischen ihr und dem Festival wirkt beinahe magisch.

Caroline Polachek beim Pohoda Festival

Adam Zvolensky

Caroline Polachek

„With Festival Shows you never know what you’re showing up for, because they’re so wildly different. They require open-mindedness“, sagt Caroline Polachek. „Especially summer festivals have a really special energy. It’s not about what you’re doing on stage, it’s about this place in this moment. The kind of collective high, a celebratory energy and as an artist it’s beautiful to tap into that.“

„It’s not about what you’re doing on stage, it’s about this place in this moment. The kind of collective high, a celebratory energy.“

Berauscht von ihrer Show, kann man dann noch zum Set von FVLCRVM kookoobananas gehen. Und dann schnell ins Zelt und Kräfte sammeln für den finalen Tag. Der verspricht besonders heiß zu werden. Rund um Trencin gibt es aber viele kleine Badeseen und andere Abkühlungsmöglichkeiten. Wer als mit dem Auto, aber auch mit den Fahrrädern unterwegs ist, kann der Hitze für einige Stunden easy entfliehen.

Zurück am Gelände dann für Yard Act und Dry Cleaning. Das Pohoda geht mit Sicherheit als klassisches Indie/Alternative Festival durch, gleichzeitig legt es aber auch eine kaum übertreffbare Vielfalt an Genres an den Tag und schafft trotzdem als ein Ganzes zu funktionieren. An diesem Abend spielt als Crowd-Pleaser für die Gen Z der UK drill-Rapper Central Cee, dessen Lines man aktuell auf TikTok nicht entkommen kann. Er spielt auch am FM4 Frequency im August, dort als Headliner.

Queere, BIPoC Frauen dominieren das große Finale

Am finalen Pohoda-Tag übernehmen diese Aufgabe die Ladies: Shygirl performt so effortless, wie eine Göttin steht sie auf der Bühne. Ebenfalls göttlich ist die zeitgleich passierende Show von Sampa the Great. Und wer ganz schnell zwischen den Stages hin und her hüpfen kann, schaut sich auch noch die Formation cumgirl8 aus New York an und ihren elektronisch geprägten angry girl Punk. Wer danach noch nicht genug hat, findet bei Rapperin BigKlit die Möglichkeit, durch feministischen auf-die-Fresse-Rap neue Energie zu tanken.

Wet Leg beim Pohoda Festival 2023

Martina Mlčúchová

Auch irgendwie erwähnenswert: Besonders bei den weiblichen, queeren BIPoC artists ist der Anteil der weißen, cis-hetero Dudes im Publikum, mitjubelnd und singend, aber trotzdem nicht überdimensional raumeinnehmend, beeindruckend. Weiblich und queer gelesene Personen müssen sich zu keinem Zeitpunkt unwohl oder unsicher fühlen. Es gibt schlichtweg keinen Anlass. Es sollte ja eigentlich das bare minimum sein, oft unterrepräsentierte, weniger verdienende Artists ebenso zu feiern, wie Artists, mit denen man viele demografische Eigenschaften teil. Oder auch einfach das Selbstverständnis, Menschen nicht zu belästigen. Leider leben wir in einer Gesellschaft, in der die Abwesenheit von unangenehmen Situationen, Übergriffen oder Diskriminierung besonders auffällt. Es liegt also nicht daran, dass es „auf Festivals eben so und so zugeht“. Es geht auch ohne. Warum und wie das funktioniert, soll an dieser Stelle offen gelassen werden und zum Nachdenken bringen.

Wie offen das Pohoda Publikum wirklich ist, wird bei Arca, der finalen Headlinerin des Abends auf die Probe gestellt. Von ihrer einstündigen Stage Time spielt sie fast vierzig Minuten ein DJ-Set, das ebenso verstört wie fasziniert. Alles was Arca macht, tut sie als eine der größten queeren Kunstfiguren unserer Zeit. Wie sich das innerhalb eines DJ-Sets äußert? Sie macht immer ganz genau das, was man gerade am wenigsten erwartet. Schockieren, iritieren, Normen bewusst ignorieren und den Status Quo vor den Kopf stoßen - das ist die Essenz queerer Kämpfe, egal ob auf der Bühne, in politischem Protest oder im ganz normalen Alltag.

Als Arca das Pohoda Festival dann noch mit einer kurzen live Show beglückt, ist das Erlebnis perfekt. So viel Queer Joy auf einmal bringt die Gefühle von so manchem queeren Herz zum überlaufen. Tränen des Glücks fließen, es fühlt sich an wie ein kollektiver Trip, aus dem man als neuer Mensch hervorgeht. Und so patethisch und übertrieben all das klingen mag, genau so hat es sich angefühlt. So kann man freudertrunken die Heimreise antreten, nicht wie so oft nach einem Festival komplett am Ende der eigenen Kräfte, sondern mit dem Wunsch, die Zeit zurückdrehen und all das nochmal erleben zu können.

Cakes da Killa beim Pohoda 2023

Lucia Kotrhová

Natürlich gibt es nicht das eine „beste Festival der Welt“, sowieso sind Superlative immer so eine schwierige Sache. Eines kann ich aber mit Überzeugung sagen: Noch nie, in meinen 12 Jahren als exzessiver Festivalbesucher habe ich so viele unvergessliche, schöne Momente erlebt wie am Pohoda, mich so sicher und willkommen gefühlt, so verbunden mit all den anderen Menschen dort. Ich fühle mich fast ein bisschen so, als wäre ich verliebt. Eine Sommerromanze, die mir Schmetterlinge im Bauch beschert, wenn ich an die drei Tage Paradies zurückdenke.

Ich bin auch ein wenig traurig, weil das Festival in all den Jahren zuvor bereits ein Fixpunkt in meinem Kalender sein hätte können und mir dieses Geheimnis selbstverschuldet bis zu diesem Jahr verborgen blieb. Aber ich will mich lieber über all die tollen Dinge freuen, die ich erlebt habe, in dem Wissen, dass ich ab jetzt kein einziges Pohoda Festival mehr verpassen möchte.

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