Forever young, im guten wie im schlechten Sinne: Red Hot Chili Peppers live in Wien

Umjubelt trotz überraschend rappiger Setlist: Die ewigjungen Red Hot Chili Peppers waren im Wiener Ernst Happel Stadion zu Gast.

Von Katharina Seidler

Nacht der Kontraste in Wien: Im Rathaus marschiert Peaches mit einer Truppe tanzender Vulven und sexy Punkpower auf die Bühne(Diddle my skiddle); im Ernst Happel Stadion regiert eine andere Art von Sexpositivity. Die Red Hot Chili Peppers sind in der Stadt, seit letztem Jahr sogar wieder in Originalbesetzung inklusive Stargitarrist John Frusciante, was sofort im Release von nicht nur einem, sondern gleich zwei Alben gipfelte.

Vierzig Jahre lang weigern sich die kalifornischsten Kalifornier unter der Sonne nun schon, erwachsen zu werden. Dies führt einerseits dazu, dass sie, sorry aber es stimmt einfach, alle Vier noch unverschämt gut aussehen und Anthony Kiedis selbst mit offensichtlich zwei lädierten, weil geschienten Beinen, noch Luftsprünge mit anschließendem Kniefall vollführen kann. Andererseits schafft er es durch seine ewige Jugendlichkeit auch, Lyrics wie diese in seinem charakteristischen Stakkato-Sprechgesang vorzutragen, ohne zu lachen:

Someone full of fun
Do me ‚til I’m well done
Little Bo peep
Coming from my stun gun

Das Einzige, was an diesem Abend also schlecht gealtert ist - wir sprechen von einem Abend, an dem im „Vorprogramm“ die coolste Socke der Welt Iggy Pop spielte - sind also die Songs der Red Hot Chili Peppers, immerhin ein nicht unwesentlicher Bestandteil des Abends. Als Band haben die Vier ja zwei Gesichter: Da sind die drogengebeutelten, sich nach zwischenmenschlicher Verbindung verzehrenden Chili Peppers, die Song-Großtaten wie „Scar Tissue“ oder „Soul to squeeze“ oder „My friends“ hervorgebracht hat (zwei davon leider sind gestern nicht erklungen). Und dann ist da ihr über-horny Funk-Rock, die rappigen Lyrics über’s die-Rakete-in-die-Frau-reinschießen, die fehlende Selbstironie. Leider beruhte die Setlist des Abends im Ernst Happel Stadion eher auf der zweiteren Kategorie.

Nach wie vor sind Red Hot Chili Peppers Meister an ihren Instrumenten, keine Frage. Vor allem John Frusciante entlockte seiner Gitarre wieder ein paar beeindruckende Highspeed-Läufe, dicht gefolgt von Bassisten-Original Fleas dicken, aber sauschnellen Funk-Tropfen. Melodischere Momente wie das wundervolle „Universally Speaking“ erinnerten an glorreiche Zeiten, auch stimmlich war Anthony Kiedis durchaus in Form. Die Attitüde hat kurz Pause. Die Songsauswahl des Abends, die sich auf der aktuellen Tour respektablerweise offenbar Nacht für Nacht völlig ändert, brachte selbstredend auch ein paar der neueren, also unbekannten Nummern aus den Alben 12 und 13 unter in einem Best-Of-Mix ihrer rappigsten Rap-Kracher. Zahlreiche große Hits fehlten.

Jeder versteht, wenn Kiedis nicht zum Millionsten Mal seine Heroinvergangenheit in Form von „Under the bridge“ live verarbeiten will, aber muss man deshalb „I like dirt“, einen Song den sich noch nie jemand auf der Welt gewünscht hat, in die Setlist aufnehmen? Der Mittelteil hatte allgemein ordentliche Längen, man kann es nicht anders sagen. Vielleicht funktionieren Red Hot Chili Peppers live so am besten: Als Zeitmaschine zurück zu unbeschwerten Tagen, an denen Blutzucker-Sex-Magie an der Tagesordnung und Sonne noch nicht für Klimawandel standen.

Im Interview vor der Show sagte die großartige King Princess, deren Booking als Support Act für die zwei Rock-Größen man nicht genug loben kann, dass man sowohl bei Iggy Pop als auch bei den Chili Peppers die unbändige Spielfreude immer noch spüre: „You can just tell they’re having a fucking blast!“ Sie hat recht: Gutgelaunt trotz, nunja, überraschender Setlist strömen nach dem Abend 45.000 Menschen aus dem Stadion, euphorisch als hätte jemand gerade ein wichtiges Tor geschossen. Auch, wenn Anthony Kiedis diese Metapher vermutlich sexuell verwenden würde.