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Strand in den Hamptons

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„Die Einladung“ von Emma Cline ist ein kluges Buch für einen Strandtag

“Die Einladung” begleitet die wohnungslose Escort Alex auf einer verrückten Odyssee durch die Pools, Parties und Sommerdomizile der reichen New Yorker:innen.

Von Benjamin Stolz

Als sie vom reichen, mehr als doppelt so alten Simon aus dem Ferienhaus in Long Island geworfen wird, schlägt sich die verschuldete und wohnungslose Escort Alex fünf Tage lang durch die exklusiven Strandbäder und Strandhäuser von Long Island - und hofft auf eine Versöhnung auf Simons Labor-Day-Gartenparty. Emma Clines “Die Einladung” bahnt sich als klassischer Hochstapler-Roman an.

Buchcover "Die Einladung" mit einer gelben Hand vor grünem Hintergrund

Carl Hanser Verlag

Emma Clines “Die Einladung” wurde übersetzt von Monika Baark und ist im Hanser Verlag erschienen.

Schnell wird jedoch klar, dass die Geschichte einer versierten Schwindlerin maximal Vorlage sein soll. Zwar hat die 22-jährige Alex mindestens so viel Potential zum High-Society-Chamäleon wie Patricia Highsmiths Tom Ripley und auch die Kunst des Verführens zu eigenen Zwecken beherrscht sie wie Thomas Manns Felix Krull. Doch Alex ist auch plan- und ziellos, ohne Wohnung oder Freunde. Alex hat einen gewaltbereiten, von ihr geprellten Ex-Freier im Nacken, der sie mit Nachrichten bombardiert. Alex ist ständig auf Pillen und hat einen Hang zum Chaos.

Leere Monologe

In chronischer Reihenfolge nimmt die Erzählerin die Leserinnen mit auf Alex’ fünftägigen Trip. Auf dem Bahnhof, wo sie die Assistentin von Simon absetzt und zurück nach New York schicken will, schleust sich Alex in eine Partie von Wochenend-Besuchern ein, denen erst am nächsten Tag auffällt, dass sie gar nicht dazugehört. Wenig später lächelt sie sich am Strand Kurzzeit-Lover Jack an, einen Teenager aus reichem Hause, mit dem sie ab sofort einen guten Teil ihrer Zeit verbringt und der sie ein paar Tage einquartieren soll. “Die Leute wollten einfach nur sich selbst reden hören, und die Reaktion des Gegenübers war ein Komma zur Gliederung ihres Monologs”, stellt Alex auf einer Party fest, und auch mit Jack ist es nicht anders. Er verwickelt sie in pubertäre Streitereien mit dem Vater, liest ihr seitenweise aus Hermann Hesses „Siddhartha“ vor und stellt irgendwann fest: “Wieso erzählst du eigentlich nie was?” Der Sog dieser Geschichte funktioniert, weil Alex maximal Spuren ihrer vagen Vergangenheit durchblitzen lässt. “Aber wie sollte Alex erklären, dass es keinen Grund gab, dass ihr nie etwas Schlimmes widerfahren war. Es war alles ganz normal gewesen.” Der Blick bleibt nach vorne gerichtet mit der vagen Hoffnung auf ein versöhnliches Fest.

Unter Kindermenschen

Mehr als auf die Selbsterforschung zielen Alex und die Erzählerin auf scharfsinnige Beobachtungen der Hautevolee ab, die im Sommer draußen auf Long Island weilt. “In sich selbst, in Frauen, in ihre Kinder, in Ehre oder Geld, in Pläne oder Hoffnungen verliebt waren diese Menschen immerzu”, schreibt Hermann Hesse in Siddhartha über die “Kindermenschen”, denen der Brahmane begegnet. Bei den reichen Kindermenschen von Long Island herrscht das Patriarchat und Alex seziert es gnadenlos. Die Ehefrauen und Freundinnen sind “häusliche Totems” für ihre Gatten, auf dem Teller landet Lachs mit Gemüse, im Glas oft Vodka Soda mit einem “asketischen Geschmack, wie krank gewordenes Wasser.”

Autorin Emma Cline

Ricky Said

Emma Cline, geboren 1989, wuchs in Kalifornien auf. Nach einem Master of Fine Arts an der Columbia University zog sie nach Brooklyn. Sie schreibt unter anderem für den New Yorker und Oprah Winfreys Magazin O., Granta und der Paris Review.

Alex saugt ihre einseitigen Begegnungen und Beziehungen auf und gibt sie als Medium wieder, entwirft ein Sittenbild mit beachtlichem erzählerischen Tempo. Das Ensemble an vorbeiziehenden Charakteren erinnert an Rachel Cusks Outline-Trilogie, die vom ebenfalls von Beobachtungen und Dialogen geprägten Alltag einer Schriftstellerin handelt.

In ihrem Debütroman “The Girls” beschäftigte sich Cline mit den Manson-Morden in den 1960ern. Auch “Die Einladung” scheint durch Alex’ riskantes Spiel mit Sex und Drogen auf eine Katastrophe zuzulaufen, doch das Ende bleibt seltsam ernüchternd. Ganz egal, ob man Emma Clines neuen Roman nun als eine ungewöhnliche Hochstaplergeschichte, als ein Bild der feinen Ostküsten-Gesellschaft hundert Jahre nach Scott Fitzgerald, oder als die Geschichte einer Frau, die in einer ausschließlich materialistischen Gesellschaft selbst nur eine Ware ist, lesen möchte: “Die Einladung” ist nicht zuletzt wegen Clines kompakten, kühlen und lakonisch humorvollen Stils ein Pageturner, der in einem Badetag verschlungen werden kann.

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