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„Wir müssen uns vor uns fürchten, nicht vor der Technologie" 

In „Der überschätzte Mensch“ beschäftigt sich Philosophin Lisz Hirn mit der verletzlichen Seite des Menschen. Im Interview erklärt sie, wie wir von dieser profitieren können. 

Von Benjamin Stolz

In einer Zeit der Dauerkrisen kommt Lisz Hirn zum Schluss: Der Mensch hat sich überschätzt. Was dagegen helfen kann: Eine „Anthropologie der Verletzlichkeit“, wie der Untertitel des bei Zsolnay erschienenen Essays lautet. Was das genau bedeutet, was uns die Philosophie über künstliche Intelligenz lehren kann und was der Umgang mit Technologie über uns selbst aussagt, erzählt Lisz Hirn im Interview. 

Radio FM4: Dein Buch trägt den Untertitel „Anthropologie der Verletzlichkeit“. Was bedeutet das?
 
Lisz Hirn: Der Titel klingt für manche vielleicht ein bisschen abschreckend. Anthropologie ist die Wissenschaft vom Menschen. Dahinter steht eine zentrale Frage: Was ist dieses Wesen? Was könnte es sein und was wollen wir für die Zukunft? Ich untersuche, in welchen Punkten wir den Menschen überschätzt haben und wie das vielleicht auch in die Situation geführt hat, in der wir jetzt sind - Stichwort Klimawandel.  Und ich suche Wege, sich den Menschen aus der Perspektive der Verletzlichkeit vorzustellen.

Buchcover

Zsolnay

Radio FM4: Wie ist es dazu gekommen, dass der Mensch sich überschätzt? 

Lisz Hirn: Zum einen sehen wir uns außerhalb der Tierwelt. Und zum zweiten sehen wir uns als etwas Besseres  - als ein Wesen, das die Tiere und die Umwelt einfach so verwenden kann. Das heißt, da war eine gewisse Abstraktion im Spiel. Wir glauben, dass wir uns auch die Erde untertan machen können. Da klingt die Bibel an als eine religiöse Spur. Es gibt aber auch eine Spur, die direkt zu unserer Ernährung führt.  

Radio FM4: Im Buch geht es auch um künstliche Intelligenz und die Frage, ob sie dem Menschen Konkurrenz macht. KI ist eine ausgefeilte Art von Statistik. Was kann uns die Philosophie über künstliche Intelligenz beibringen?

Lisz Hirn: Sie kann versuchen zu unterscheiden, womit wir es zu tun haben. KI kommt eigentlich aus dem militärischen Bereich. Jetzt ist sie auch im persönlichen Bereich angekommen. Wir müssen uns fragen: Welche Konzerne stehen dahinter? Gibt es Regulatoren? Was passiert mit unseren Daten? Wir haben uns bis jetzt nicht von einem Taschenrechner bedroht gefühlt, obwohl er wesentlich besser rechnet als wir. Gerade bei der menschlichen Fähigkeit zu kooperieren, sozial oder kreativ zu sein, sehe ich noch keine Bedrohung durch KI. 

Radio FM4: „Maschinen funktionieren nur durch und für uns“, heißt es deinem Text. Müssen wir uns vor moderner Technologie überhaupt fürchten, wenn sie doch von uns kommt?

Lisz Hirn: Wir müssen uns vor uns fürchten, nicht vor der Technologie. Wenn wir dieses Vertrauen hätten, dass es nicht um reine Geschäfts- und Machtinteressen geht, könnten wir alle viel gewinnen. Uns fehlt das Vertrauen auf eine Regulierung, mit der sich die Politik da auch wehren kann und durch die es auch Konsequenzen für Konzerne geben kann. Das ist eine Aufforderung, nicht nur für uns als Zivilgesellschaft, sondern auch für die Politik, hier rechtzeitig einzugreifen. 

Radio FM4: Kann künstliche Intelligenz auch etwas Gutes für die Gesellschaft leisten? Oder anders gefragt: Kann es positiv sein, wenn sich der Mensch verletzlich gegenüber der KI zeigt?

Lisz Hirn: Wir können etwas Positives aus der Verletzlichkeit ziehen, wenn wir sie nicht wie gewohnt negativ sehen. Wir sind in unserer Fleischlichkeit fehleranfällig. Aber das macht uns zu Menschen. Es macht uns möglich, Politik zu machen, Partys zu feiern, Kunst zu genießen. Alles, was Lust und Leid anbelangt, können Maschinen nicht. Außerdem können wir uns unangenehme, monotone Tätigkeiten abnehmen lassen und viel Energie in andere Richtungen lenken.

Radio FM4: Du stellst im Buch in Anlehnung an Jacques Derrida die Frage: Kann uns der Umgang mit der Maschine etwas über unsere Menschlichkeit sagen?

Lisz Hirn: Wir sehen an uns selbst, welche Techniken uns näher stehen, welche Gerätschaften wir oft verwenden. Das verändert, wie wir uns sehen, und gibt uns ein Machtgefühl. Da sind wir wieder bei der Selbstüberschätzung: Wenn wir uns von diesen Eindrücken verführen lassen und denken, wir würden jetzt alles wissen, das halte ich für eine Gefahr. Als Ergänzung, damit wir besser leben können oder mehr Entscheidungen treffen können, ist die Technologie wunderbar. Die Herausforderungen für den technologischen Menschen sind: Können wir dem widerstehen? Können wir abschalten? 

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