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Ja, Panik "Don't play with the rich kids" Album Bilder - Die Band steht unter blauem Himmel an einem Strand/Seeufer

Luca Celine

Klassenkampf voll Euphorie: Ja, Panik und ihr 7. Album „Don’t play with the rich kids“

Stürmend und drängend wie zu Beginn ihrer bald 20jährigen Karriere als eine der klügsten, politischsten Indierockbands des Landes rufen Ja, Panik auf ihrem 7. Album voll Elan zum Klassenkampf.

Von Katharina Seidler

„Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“, so heißt das berühmteste Lied des deutschen Liedermachers Franz Josef Degenhardt aus dem Jahr 1965, ein Protest gegen die Zweiklassengesellschaft der deutschen Nachkriegszeit. Die Unterschiede zwischen den 99% und dem einen Prozent sind seither keineswegs kleiner geworden, Erbmillionen wechseln steuerfrei munter zwischen den Generationen-Konten und die öffentliche Hand springt zur Rettung insolventer Megaunternehmen ein. Auftritt Ja, Panik, mehr als 20 Jahre nach ihrer Bandgründung nichts weniger als topfit und voll Euphorie für den Klassenkampf.

„Don’t play with the rich kids“ nennt die mittlerweile als fixes Quartett aus Andreas Spechtl, Laura Landergott, Stefan Pabst und Sebastian Janata aufgestellte Band ihr neues, insgesamt 7. Album, das Anfang Februar 2024 erschienen ist. Der Titel ist hierbei Kindheitserinnerung und Kampfansage zugleich: Die besungenen Rich Kids aus der Single „Mama made this boy“ leben nur auf der Sonnenseite - „they do not know what darkness is“ - doch der Struggle der Anderen, um Dinge wie ökonomisches Auskommen oder geistiges Wohlergehen schlägt sich zumindest in interessanter Kunst nieder.

Denn wenn Andreas Spechtl im FM4 Interview verkündet: „Die ganze Kunst von reichen Kids ist mir zu langweilig, weil der Struggle fehlt“, dann meint er das gleichzeitig ernst und doch blitzt ihm dabei der Schelm aus den Augen, denn schließlich weiß er auch um die eigenen Privilegien, als nach Indiepop-Verhältnissen erfolgreicher Musiker von der Kunst leben und frei den Wohnort wählen zu können. Weswegen er derzeit aus privaten Gründen für ein paar Jahre nach Argentinien ausgewandert ist.

„Mama made this boy“ steht mit seinen kraftvollen Gitarren und ekstatischen Dooh-dooh-Chören exemplarisch für die Grundstimmung des neuen Ja, Panik-Albums. Musikalisch stürmt und drängt „Don’t play with the rich kids“ nämlich wieder stärker und indierockiger nach vorne als das letzte, sehr atmosphärische Werk „Die Gruppe“. In den Texten bleibt Spechtl natürlich messerscharf, streitbar und analytisch („Frag deine Angst, wovon sie lebt, auf wessen Payroll sie steht“), dabei immer auch selbstironisch und augenzwinkernd: „Immer wieder glaube ich I found myself, und dann bin ich’s wieder nicht.“

Ja, Panik "Don't play with the rich kids" Album Bilder - Die Band steht unter blauem Himmel an einem Strand/Seeufer

Luca Celine

„Don’t play with the rich kids“ von Ja, Panik ist am 2.2.2024 bei Bureau B/Indigo erschienen.

Anhand konzeptueller, dunkler Monumentalwerke wie „DMD KIU LIDT“ (2011) wurde in Bezug auf Ja, Panik in der Vergangenheit oft der subtile Humor übersehen, der ihren Stücken innewohnt. Auf „Rich Kids“ nun tobt sich die Band diesbezüglich mehr denn je aus, es schichten sich E-Gitarren zu völlig übertriebenen, minutenlangen Soli („Ushuaia“), es treffen Lyrics wie „Wenn es Nacht wird in der City, bin ich dein Pitti“ (Maurice, bist du’s?) auf zarte Trap-Anleihen und sogar erstmals - früher undenkbar bei Ja, Panik - auf Autotune.

Vor allem durch die zeitgemäße Produktion der Stimmen, die in den neuen Songs besonders viel Raum bekommen, ist diese Platte eindeutig im Jahr 2024 verankert, während die ungestümen Gitarren auf die Anfänge von Ja, Panik als Jugendliche zu Beginn des Jahrtausends im nördlichen Burgenland verweisen. In langen Telefonaten zwischen den derzeitigen Wohnorten Argentinien und Berlin haben sich die Mitglieder in der Schreibphase des Albums über die Musik ihrer Jugend ausgetauscht und auf das Gefühl besonnen, das sie damals zum ersten Mal gemeinsam in den Proberaum getrieben hat. Diese Gelöstheit und das damit einhergehende Selbstbewusstsein, das man vielleicht erst mit knapp 40 erreichen kann, hört man den 11 neuen Songs deutlich an.

Der Nihilismus aus Zeiten von frühen Hits wie „Alles hin hin hin“ ist 2024 einer zarten Zuversicht gewichen – oder zumindest einer behaupteten Zuversicht, denn wer nicht hoch pokert, kann auch nicht zumindest ein bisschen gewinnen: „Ich glaub schon, dass man uns ändern kann“, singt Andreas Spechtl in der David-Bowie-Verbeugung „Changes“, und allein schon die brüske Behauptung, dass die Menschheit zum Besseren bekehrt werden könnte, trägt die Hoffnung auf eine self-fullfilling prophecy in sich. In seine enthusiastischen Bekenntnisse zum Guten und zum Kampf für das Gute stimmen die Bandkolleg:innen immer wieder kraftvoll im Chor mit ein. Die Bedeutung der Band als vor allem Gruppe von Freunden, die sich gemeinsam für Musik begeistern, steht mehr im Vordergrund denn je.

Der Song „Kung Fu Fighter“ ist dementsprechend eine unverstellte Ode an derartige Freundschaften, an das Hinfallen und Wiederaufstehen, gern auch mit Hilfe von Anderen. Darin heißt es außerdem: „Immer wieder glaube ich, so will ich sein, und dann will ich so nicht sein,“, und in dieser Ambivalenz steckt der Schlüssel zur Band Ja, Panik - oder wollen wir sagen, zu ihrer Poetik? Denn egal, wie man heute ist, morgen ist man ein anderer, und das ist gut so. Es geht nicht ums Ankommen - beim Ich, beim endgültigen Daheim und so weiter - sondern vielmehr ums Unterwegssein.

Auch Sprache haben Andreas und seine Bandkolleg:innen immer schon als Spielplatz der Variablen begriffen – zum Einen natürlich durch den fließenden Wechsel zwischen etwa Deutsch, Englisch und neuerdings Spanisch, aber auch in Hinblick auf neue Begriffe und Lebenskonzepte. Ganz direkt thematisiert das ein Song namens „Die Angst des Archivars vor der Sichtung der Welt“.(Übrigens keine Peter Handke Referenz.) „Keine Angst, kleiner Mann – niemand will dir was nehmen“ richtet die Band darin all jenen aus, die sich dem Wandel in Gesellschaft und Sprache so gerne verschließen wollen. Niederösterreich, vielleicht mal herhören? Versöhnlich geht der Song weiter, dem Archivar die Hand hingestreckt, denn auch er wird sich an die neuen Begriffe und Verhältnisse schon noch gewöhnen.

Alles bleibt bei Ja, Panik also auch diesmal in Bewegung. Am Ende von „Don’t play with the rich kids“ steht eine Ode an Ushuaia, die südlichste Stadt der Welt in Argentinien, oder vielmehr geht es um die Idee dieses Ortes, denn dort gewesen ist noch niemand der Vier. Dort ist Feuerland, dort starten Schiffe in die Antarktis, dort ist in der Literatur: das Ende der Welt. Oder ist es ein Anfang? "Am Ende ist es eine Frage der Ästhetik, du machst ein Bild von dir, und das wird leben ewig.“

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