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Wie süchtig macht TikTok?

Während viele die Videoplattform für ihren unterhaltsamen und kreativen Content schätzen, gibt es zunehmend Bedenken über ihr Suchtpotenzial und Auswirkungen auf die psychische Gesundheit.

Von Alina Schaller

Erst vor wenigen Tagen hat TikTok ein umstrittenes Belohnungssystem in seiner bisher in Europa nur in Frankreich und Spanien verfügbaren App „TikTok Lite“ wieder ausgesetzt. Eigentlich sollten User:innen dort die Möglichkeit haben, mit dem Ansehen von Videos „Münzen“ zu verdienen, die sie dann z.B. in Amazon-Gutscheine umwandeln könnten. Was verlockend klingt, will User:innen aber in erster Linie dazu bringen, noch mehr Zeit auf der Plattform zu verbringen. Die EU befürchtet „negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, vor allem auf Minderjährige“ und drohte mit Strafzahlungen.

Kann Social Media wirklich süchtig machen? Ja, meint der Psychiater und Suchtforscher Dr. Kurosch Yazdi-Zorn im FM4-Interview. Er hat schon vor einigen Jahren das Buch „Junkies wie wir“ geschrieben. Untertitel: „Spielen. Shoppen. Internet. Was uns und unsere Kinder süchtig macht“.

Während viele als Drogen gebrauchte Substanzen sich in ihrer Wirkung auf ein Bedürfnis konzentrieren, sich also z.B. entweder im Belohnungssystem bemerkbar machen, das Gefühl von Zugehörigkeit erzeugen können oder das Bedürfnis nach Identifikation befriedigen, werden bei Social Media alle diese Sachen gleichzeitig getriggert. Social Media hat daher ein enormes Suchtpotenzial.

Dr. Kurosch Yazdi-Zorn: „Einerseits wird das Belohnungssystem angeregt, zum Beispiel indem ich besonders aufregende Dinge sehe, oder besonders lustige Dinge, oder auch, wie sich andere Menschen auf TikTok freuen. Auf der anderen Seite suchen wir immer eine Peergroup. Wir wollen uns nicht alleine oder einsam fühlen. Da bieten solche Plattformen die Möglichkeit, dass wir scheinbar nicht alleine sind. Man ist nicht wirklich zugehörig, aber man fühlt sich so. Und ein dritter Punkt ist Selbstwert und Selbstbild. Wir definieren uns üblicherweise über das, was in unserer Umgebung stattfindet. Das ist - ganz einfach gesagt - oft zuerst die Familie und dann der Freundeskreis, die Peers. Das Internet bietet jetzt eine unfassbare Menge an Möglichkeiten, zu welcher Gruppe wir uns zugehörig fühlen und wie wir uns identifizieren wollen. Das verstärkt zum einen gewisse Interessen die wir sowieso haben - das wär noch nicht weiter schlimm. Aber es verstärkt leider auch unsere Ängste, unsere unerfüllten Bedürfnisse und so weiter.“
Dass Social Media alle diese drei Systeme bedient, das Belohnungssystem, das Zugehörigkeitsgefühl und das Bedürfnis nach Identifikation, ist der Grund für das große Abhängigkeitspotential.

Auf der Station von Dr. Yazdi-Zorn sieht er mehr junge Frauen als Männer mit einer Social-Media-Abhängigkeit. Eine Tendenz die sich offenbar auch international zeigt. Junge Männer bekommen eher Probleme mit Video- und Glückspielen. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass junge Menschen eine besonders vulnerable Gruppe sind.

Manipulative Mechanismen

Dass Social Media Plattformen ihre - meist eher jungen - User:innen so lange wie möglich in ihren Apps halten wollen, sei klar, meint die Digitalisierungsexpertin und Journalistin Ingrid Brodnig im Gespräch mit FM4. Schließlich verdienen sie mit jeder Sekunde in der wir Content konsumieren Milliarden. Denn hinter den unterhaltsamen und informativ scheinenden Videos stecken oft enorme Werbeeinnahmen.

Dabei unternehme TikTok gleichzeitig zu wenig gegen Falschinformation und Hetze, so die Autorin der Bücher „Hass im Netz“ und „Übermacht im Netz“. Das Besondere an TikTok im Vergleich zu Instagram oder Youtube sei, dass die Videoplattform besonders emotionalisiernd ist. So lande man sehr schnell bei extremistischen, manipulativen oder verstörenden Inhalten. Auch deshalb kritisiert die EU TikTok habe eine unzureichende Alterskontrolle, was vor allem minderjährige User:innen diesen Gefahren aussetzt.

Ab wann wird der Social Media Konsum gefährlich?
Dr. Yazdi-Zorn meint, wenn man sich zeitlich und vom Interesse von Familie und Freund:innen abwendet. Wenn man z.B. immer öfter Abendessen mit der Familie sausen lässt, um lieber Zeit mit der Online-Community zu verbringen.
Wenn man seinen Verpflichtungen in der Arbeit oder der Schule, wie etwa Hausaufgaben, nicht mehr nachkommen kann, weil Social Media so viel Zeit und Energie einnimmt.
Wenn man nachts zu wenig Schlaf bekommt, weil man stundenlang durch Videos scrollt.
Wenn man kein Interesse mehr an anderen Tätigkeiten oder Hobbys hat, sollte man aufpassen.
Das könnten Anzeichen sein, am besten fragst Du aber bei professionellen Beratungsstellen nach:

Maßnahmen

Die Europäische Union hat mit dem Digital Services Act (DSA) Maßnahmen ergriffen, um manipulative Praktiken, sogenannte „Dark Patterns“, zu verbieten. „Dark Patterns“ sind manipulative Praktiken, die darauf abzielen, User:innen auf den Plattformen zu halten oder zu Käufen zu animieren. Digitalisierungsexpertin Ingrid Brodnig verlangt eine klare Durchsetzung der EU-Regulierungen. Bei Verstößen sollen Social Media Giganten - entsprechend ihren gigantischen Gewinnen - hohe Geldbußen zahlen.

Dr. Yazdi-Zorn sieht nicht nur die Politik in der Verantwortung. Schulen sollen Kinder und Jugendliche über die Gefahren von Social Media aufklären, auch Eltern müssen geschult werden. Außerdem muss das Gesundheitsministerium mehr Beratungs- und Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Die Folgen von Social Media umfassen nämlich nicht nur Abhängigkeiten, sondern auch Depressionen oder Angststörungen. Für eine ausreichende Versorgung der Patient:innen muss gesorgt sein.

Einig sind sich Ingrid Brodnig und Dr. Yazdi-Zorn auch darin, dass der Appell von TikTok und anderer Plattformen an die Eigenverantwortung der Nutzenden nicht realistisch und fast bösartig ist. Immerhin arbeiten die Unternehmen täglich daran, User:innen mit psychologischen Tricks und verlockenden Designs auf ihren Plattformen zu halten.

FM4 Auf Laut: Macht TikTok süchtig?

Claudia Unterweger diskutiert in FM4 Auf Laut über den Suchtfaktor von TikTok & Co. Mit den TikToker:innen Anna Strigl, Michi Skopek und Melisa Mete, sowie Digitalexpertin & Journalistin Ingrid Brodnig und Psychiater & Suchtforscher Dr. Kurosch Yazdi-Zorn. Ruf an und diskutier mit am Dienstag (30.4.) ab 21:00 unter: 0800 226 996.

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