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Rote Flagge vor lauter Symbolen von sozialen Medien, wie Youtube usw.

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Wie die EU das Internet retten will

Das Internet gibt es lange, aber welche Regeln dort herrschen sollen, ist bis heute nicht ganz klar. Das soll der Digital Services Act ändern. Bald geht er in ganz Europa in vollem Umfang in Anwendung, aber es gibt noch immer Bedenken.

Von Ali Cem Deniz

Rassismus hat keinen Platz in der Gesellschaft. Diese Floskel hören wir immer wieder von der Politik. Doch wenn man auf Social Media geht, merkt man schnell, dass der Rassismus doch noch Plätze hat. Zum Beispiel in den Kommentaren zu Insta-Food Videos, wo Leute gerne darüber streiten, woher eine Speise wirklich kommt. Dabei beschimpfen sie sich nicht nur übelst, sondern werden manchmal auch rassistisch und drohen sogar mit Gewalt.

Buttons gegen Hetze

Coverbild Collage von FM4, CC0 + CC BY-SA 2.0 DEED

Eigentlich sollte es sowas seit August des vergangenen Jahres nicht mehr geben. Denn da hat die Europäische Union den digital services act (DSA) für sehr große Online-Plattformen mit mehr als 45 Millionen monatlichen User:innen in der EU eingeführt. Dazu zählen unter anderem Instagram, Facebook, TikTok, X, aber auch Suchmaschinen wie Google. Für sie gelten unter dem DSA strenge Regeln. Deswegen haben auch die Plattformen Buttons eingeführt, mit denen man Hassrede, Hetze und illegale Inhalte melden kann.

Sie müssen dann überprüft und innerhalb von 24 Stunden entfernt werden. Nicht nur individuelle User:innen können das machen. Und das nicht nur in ihrem eigenen Land, d.h. wenn ihr bemerkt, dass auf einer schwedischen Seite illegale Inhalte geteilt werden, könnt ihr das auch melden.

Es gibt zudem sogenannte trusted flagger. Das sind Organisationen, die Expertise in der Identifizierung von hate speech, aber auch Copyright-Verletzungen oder illegalen Werbepraktiken haben. Auch in Österreich wird es solche trusted flagger geben. Wer dazu gehört wird aber erst am 17.2.2024 fest stehen, denn da geht der DSA in vollem Umfang in Anwendung.

Regeln für alle

Das bedeutet, dass der DSA nicht mehr so wie bisher für sehr große Plattformen gilt, sondern auch für kleinere Seiten und überall dort, wo es Kommentar-Bereiche gibt. Dass manche Seiten sich selbst bei der Entfernung von Mord-Drohungen länger Zeit nehmen, hat sich mit der Debatte um „Exxpress“ gezeigt. Auch Foren der Krone, des Standards, oder die ORF Debatten, müssen sich ab dem 17.2. an die Vorgaben des DSA halten.

Bei Verstößen drohen empfindliche Strafen. Dass die EU es ernst meint, hat sie bereits im Umgang mit den großen Plattformen gezeigt. Sie müssen regelmäßig Bericht über ihre Content-Moderation erstatten. Es gibt auch schon ein erstes Verfahren, das zukunftsweisend sein könnte. Big surprise: Das Verfahren wurde gegen „X“ eingeleitet. Die Plattform habe nicht genug gemacht, um die Verbreitung illegaler Inhalte zu stoppen, so die EU-Kommission. Sollte sich der Verdacht erhärten, muss „X“ bis zu 6 Prozent der weltweiten Einnahmen als Geldstrafe zahlen. Wer weiß, vielleicht versucht Elon Musk deshalb, die Plattform weniger profitabel zu machen?

Zwischen Sicherheit und Freiheit

Der DSA soll auch gezielte Werbung einschränken, mehr Transparenz bei der Anwendung von Algorithmen forcieren oder Countdowns bei Online-Shops, die eine Verknappung suggerieren, verbieten. Kurz gesagt, die EU will mit dem DSA sicher stellen, dass alles, was im „echten“ Leben verboten ist, auch digital verboten ist und geahndet wird. Das soll nicht nur das Internet retten, sondern auch die Demokratie, die zunehmend durch Hassrede, Hetze und Desinformation bedroht wird.

Doch der DSA ist nicht ganz unumstritten. Weil Begriffe wie Desinformation nicht ganz klar definierbar sind, befürchten Kritiker:innen, dass das zu einer ausufernden Zensur führen könne. Wie wird sich zum Beispiel der DSA auf anonyme Seiten wie 4Chan auswirken, die bekannt sind für ihren lockeren Umgang mit rassistischen und illegalen Inhalten? In der Vergangenheit haben immer wieder Attentäter das Forum genutzt, um ihre Taten anzukündigen. Die pornografischen Deepfakes von Taylor Swift, die kürzlich eine Debatte über Regeln im Internet ausgelöst haben, waren wohl das Resultat eines „Wettbewerbs“ auf 4chan.

Gleichzeitig sieht sich die Plattform auch als eine Art letzte Hochburg eines anarchistischen Internets, wo nahezu alles möglich ist. Gemeinsam mit Reddit, das mit dem DSA vor ähnlichen Herausforderungen gestellt wird, hat kaum eine andere Seite so sehr die Internet und Meme-Kultur der letzten Jahre geprägt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Plattformen sich aus dem EU-Markt zurückziehen, wenn ihnen der Aufwand und die Strafen zu groß werden.

Die EU hat im DSA Mechanismen eingebaut, die verhindern sollen, dass dadurch die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird. Die Plattformen müssen bei der Moderation transparent vorgehen, jede Löschung muss begründet werden und Massenlöschungen werden sanktioniert. Außerdem sollen User:innen, die Möglichkeit bekommen, gegen Löschungen Beschwerde einzulegen. Das geht nicht nur bei den Plattformen, sondern auch den Medienbehörden. In Österreich ist das die KommAustria, die die Durchsetzung des DSA überwacht. Ob aber kleinere Seiten mit dem Aufwand der dadurch entsteht zurecht kommen, oder lieber ihre Kommentarbereiche ganz schließen, wird sich erst zeigen.

Gemischte Bilanz

Bei den sehr großen Plattformen, für die das Gesetz ja bereits seit vergangenen August gilt, ist die Bilanz eher gemischt. Vor allem bei der vorgeschriebenen Werbetransparenz gibt es laut der deutschen noch viel Nachholbedarf. Zwar haben die Plattformen begonnen, der EU Bericht zu erstatten, aber laut Watchdogs wird weiterhin nur ein Bruchteil der illegalen Inhalte gelöscht. Um das zu erkennen braucht es auch keine großen Analysen, ein Blick in die Kommentare von Instagram-Food Reels reicht.

FM4 Auf Laut - Welche Regeln braucht das Internet?

KI-generierte Pornos, Hasskommentare und eine EU, die den Druck auf große Plattformen zunehmend erhöht. Welche Regeln braucht das Internet? Wie muss die Balance zwischen Freiheit, Anonymität und Sicherheit im Netz aussehen? Ali Cem Deniz diskutiert mit Datenschützer Thomas Lohninger von Epicenter.Works und Anrufer:innen am 6.2.2024, 21 Uhr auf Radio FM4.

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