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Vorfeld der Wiener Festwochen 2024

Franzi Kreis

Die Wiener Festwochen werden zur Freien Republik Wien erklärt

Die Wiener Festwochen haben einen neuen Intendanten, ein neues Programm und eine neue Dringlichkeit. Ein kleiner Rundgang durch ein hochpolitisches Festival.

Von Martin Pieper

Wiener Festwochen

  • 17.5. - 23.6.2024

Alle Infos und Karten gibt es hier.

Milo Rau bemüht sich um Vermittlung. Überall Erklärungen, Interviews und auch viel Theorie, die offiziell vom 17. Mai bis zum 23. Juni in die Praxis umgesetzt wird. Der neue Leiter des renommierten und gutdotierten Kulturfestivals hat sich viel vorgenommen. Es gibt einen Rat der neuen Republik, eine „Wiener Erklärung“, eine zweite Moderne wird ausgerufen und dann wird auch noch der korrupten Republik, den Anschlägen auf die Demokratie und der Heuchelei der Gutmenschen der Prozess gemacht. Mit Richter, Angeklagten, Anwälten und allem Drum und Dran.

Milo Rau bei der PK der Wiener Festwochen 2024

Franzi Kreis

Milo Rau

Milo Rau tritt mit seiner Regie- und Intendantentätigkeit am Schnittpunkt von Politik und Kunst schon seit einiger Zeit den Beweis an, dass konkretes politisches Engagement und das Arbeiten mit den Mitteln von Theater, Oper oder Film kein Gegensatz sein muss. Im Vorfeld wurde von diversen Seiten schon an der Kultur-Skandalschraube gedreht. So sorgt etwa die geplante Mitwirkung (aus der Ferne) beim sogenannten „Rat der Republik“ von Nobelpreisträgerin Annie Ernaux oder dem ehemaligen griechischen Finanzministers Yannis Varoufakis für Irritation. Den beiden wird (linker) Antisemitismus vorgeworfen. Der Nahostkonflikt und die Bruchlinien in den Auseinandersetzungen darüber ist mitten in den Wiener Festwochen angekommen.

Vorfeld der Wiener Festwochen 2024

Franzi Kreis

Milo Rau duckt sich aber keineswegs weg, er versucht den Dialog aufrecht zur erhalten. Wie schmerzhaft das sein wird, wird sich noch weisen. Zumindest im Vorfeld wurde schon länger nicht mehr so intensiv über die Kunst des Festwochenmachens gesprochen. Die Drucksorten zeigen Menschen mit bunten, gestrickten Sturmhauben irgendwo zwischen Pussy Riot und Radical Chic. Man soll sich an vielen Stellen des heurigen Festwochenprogramms aktiv beteiligen, vieles läuft heuer bei freiem Eintritt. Man kann aber auch einfach in eine der zahlreichen Vorstellungen gehen und sich inspirieren lassen, für ein besseres Leben für eine bessere Welt. Hier sind ein paar Tipps für Unentschlossene.

Mit Florentina Holzinger in die Oper

Die gerne als Radikalperformerin bezeichnete Florentia Holzinger wurde mit ihrem brachialen und fantastisch-feministischen Stücken in Wien aber auch an der Berliner Volksbühne zum Blockbuster des zeitgenössischen Tanztheaters. Die Festwochen haben sich die Uraufführung ihres neuen Großereignisses im der Halle E im Wiener Museumsquartier gesichert.

"Sancta" von Florentina Holzinger im Vorfeld der Wiener Festwochen 2024

Tammo Walter

Viel ist noch nicht durchgesickert: Aber hallo! Es wird Oper gespielt. Es werden also die ganz großen Gefühle aufgefahren und das passt wunderbar zur Maximalisten Holzinger. Und die Stichworte die man bislang so gehört hat waren: Nonnen, Sex und Paul Hindemith. Ein Field Day für Holzinger Ultras, und entsprechend schnell sollte man sich um die (Rest)Karten für „Sancta“ kümmern.

Das Blutbuch wird zum Blutstück

Als die nichtbinäre Schweizer Autor*in Kim de L’Horizon für ihren Roman „Blutbuch“ den renommierten deutschen Buchpreis 2022 gewann, sorgte das im Feuilleton für Aufsehen und triggerte queerfeindliche Gewalt sowohl im Netz also auch im realen Leben. Das „Blutbuch“ ist in Inhalt und Form queer, entzieht sich sowohl den Geschlechternormen aber auch den Standards des autobiografischen Erzählens.

"Blutstück" im Vorfeld der Wiener Festwochen 2024

Diana Pfaffmatter

Der Roman ist seitdem in zahlreiche Theaterabende im ganzen deutschsprachigen Raum verwandelt worden. Zur Zeit läuft etwa im Werk X die erste österreichische Bühnenfassung vom „Blutbuch“. Aus Zürich kommt jetzt das „Blutstück“ zur Aufführung. Das besondere daran: Kim de L’Horizon steht selbst auf der Bühne. Gemeinsam mit Regisseurin Leonie Böhm und vier weiteren Mitspieler*innen hat Kim das „Blutbuch“ ins „Blutstück“ verwandelt. Grenzensprengend.

Die Wiener Prozesse

Milo Rau hat ein dokumentarisches Theaterformat entwickelt, das sich eng an einen Gerichtsprozess anlehnt. Berühmt wurde sein Kongo-Tribunal. Opfer, Täter, Zeugen und Analytiker des blutigen Kongokriegs wurden von einem zivilen Volkstribunal versammelt. Daraus entstand Theater, Workshops, ein Buch und schlussendlich auch ein eindrücklicher Dokumentarfilm. In Wien sollen an drei Wochenende drei Themenkomplexe bearbeitet werden. Korruption, die Krise der Demokratie und die „Heuchelei der Gutmenschen“.

Wiener Prozesse im Vorfeld der Wiener Festwochen 2024

Rafaela Proell

Bei letzterem wird Festivalchef Milo Rau selbst auf der Anklagebank sitzen. Am Freitag jedes Prozesswochenendes geht es um 17 Uhr vor dem Wiener MuseumsQuartier los. Zum Auftakt werden je zwei Personen des öffentlichen Lebens in der Box der Wahrheit (Eintritt frei) an den Lügendetektor angeschlossen und von der Schauspielerin Bibiana Begau öffentlich verhört. Anschließend geht es weiter ins Odeon zur Eröffnungssitzung des jeweiligen Prozesses, der am Samstag und Sonntag entlang von 3 Fällen mit realen Akteur:innen verhandelt wird. Jeweils Sonntagabend wird das Urteil verkündet.

Club der Republik – Haus der Republik

Im Volkstheater, genauer gesagt in der Roten und Weißen Bar des Hauses, wird während der ganzen Festwochenzeit ein Club- und Musikprogramm veranstaltet. Bei immer freien Eintritt gibt es unter der Schirmherrschaft von KDM - Königin der Macht eine wilde Mischung aus Diskurs, Konzert und Party. Von Euroteuro bis zu den Low Life Kids oder der letztjährigen Siegern des Protestongcontests KüR kann man dort feiern und sich aktivieren lassen.

Club der Republik im Vorfeld der Wiener Festwochen 2024

Rafaela Proell

Das fast benachbarte „Haus der Republik“ aka Volkskundemuseum dient während der Festwochen als Zentrum für politischen Aktivismus. Zahlreiche NGOs und aktivistischen Initiativen sollen sich dort vernetzen und vor allem auch arbeiten. Der Presstext stellt die Frage: „Wie kann eine klimagerechte und solidarische Zukunft gelingen?“ Vielleicht wird ja die Antwort im „Haus der Republik“ gefunden.

Die Eröffnung am Rathausplatz

Am 17. Mai wird es heuer nicht nur eine simple Eröffnungsfeier am Rathausplatz geben: Die Besucher*innen und auch das Fernsehpublikum wird Zeuge der „Ausrufung der Freien Republik Wien“ sein. Die Hymne „Steht auf steht auf“ hat der musikalische Direktor des Abends Fuzzman komponiert.

Pussy Riot, Bipolar Feminin, Voodoo Jürgens, Gustav, Paula Carolina und Monobrother sind ein paar der musikalischen Gäste dieses Abends, an dem auch Elfriede Jelinek oder Sybille Berg ihren Beitrag leisten werden. Auch dafür gilt wohl: Sturmhaube statt Abendkleid.

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