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Ubahn Wien

Helmer Manfred / Wiener Linien

todor ovtcharov

Ein Glückskind als Schwarzfahrer

V glaubt ans Schicksal. „Wenn Gott es will, werde ich heute nicht in der U-Bahn kontrolliert!“, sagt V. Das Lustige ist, dass er das jeden Tag sagt - und tatsächlich wird er nie kontrolliert.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Wegen seines Schwarzfahrens haben die Wiener Linien den Gegenwert einer ganzen U-Bahn verloren. V ist überzeugt, es gäbe so etwas wie Vorbestimmung, Schicksal oder Karma - nennt es wie ihr wollt - und dass er unter einem glücklichen Stern geboren ist. Er ist so selbstsicher, dass ich ihn beneide. Ich frage mich manchmal: wenn ich mit ihm schwarzfahre, werde ich dann auch nie kontrolliert? Könnte ich mich mit seiner Aura wie mit einem Mantel der Unsichtbarkeit zudecken und auch so sein wie er - ein Gratisfahrer? Ich traue es mir aber nicht zu. Ich habe so wenig Glück, dass, wenn auch nur ein einziger Kontrolleur zu Weihnachten unterwegs wäre, er sicher in meinen Zug einsteigen würde. Deshalb habe ich eine Jahreskarte.

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Die Kraft der Gedanken

Vor zwei Tagen fuhren wir gemeinsam in der U-Bahn – er schwarz und ich legal. Kontrolleure stiegen ein. Ich schaute V an. Er war so sehr in sich vertieft, dass ich dachte, er könnte mit der Kraft seiner Gedanken die Schwarzkappler dazu bewegen, in den nächsten Waggon umzusteigen. Sie fragten nach den Fahrkarten, V lächelte und suchte nach seiner Geldtasche. Er tat das mit so sicheren Bewegungen, dass ich mir dachte, er würde eine Jahreskarte herauszaubern und hätte mich die ganze Zeit angelogen, dass er schwarzfährt. Er zeigte dem Kontrolleur seine Geldtasche – sie war vollkommen leer. Es war nichts drinnen, weder eine Karte noch Geldscheine, nicht einmal eine zerquetschte alte Stromrechnung. Ich versuchte, mir eine Geschichte auszudenken, etwa, dass seine Karte gestohlen wurde. Ich bin ein schlechter Lügner, ich denke mir blöde Geschichten aus und werde dabei rot wie ein Radieschen. V schaute mich mit Mitleid an. „Wahrscheinlich haben sie mir die Karte gestohlen, aber die Geldtasche zurückgegeben!“, sagte er und brach in Lachen aus. Die Kontrolleure lachten auch. Sie stiegen bei der nächsten Station gemeinsam aus.

Ein bisschen später bekam ich eine Nachricht von V: „Verwechsle den Zufall nicht mit dem Schicksal!“ Ich frage mich immer noch, was er mir damit sagen wollte. Bitte helft mir, falls ihr das besser versteht.

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