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Auch EU-Flugdatensystem von EuGH-Urteil voll getroffen

Wie im nun untersagten Vertrag mit Kanada sind auch EU-weit fünf Jahre Vorratsdatenspeicherung aller Flugbewegungen vorgesehen. Dieses System wird gerade in Österreich und allen anderen Mitgliedsstaaten umgesetzt, Klagen dagegen sind nur eine Frage der Zeit

Von Erich Moechel

Der negative Spruch des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Austausch von Flugpassagierdaten (Passenger Name Record, PNR) zwischen der EU und Kanada trifft nicht nur die gleichartigen Abkommen mit den USA und Australien. Durch die strengen Auflagen des EuGH zur Vorratsspeicherung solcher Datensätze ist auch das gerade im Aufbau befindliche, europäische System betroffen, denn quer durch die EU wird die Richtlinie von 2016 zur Vorratsspeicherung von Flugpassagierdaten gerade umgesetzt.

Rechtsexperten wie Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik (Berlin) oder Walter Hötzendorfer vom Wiener Research Institute gehen davon aus, dass der EuGH zum europäischen System angerufen wird. Die Basisfunktion dieses PNR-Systems ist wie bei allen anderen die dauerhafte Speicherung sämtlicher Passagierdaten aller Flugbewegungen aus der Union und zurück. Genau diese anlasslose Dauerspeicherung hat der EuGH nun explizit verboten.

Speicherfrist und Depersonalisierung

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Artikel 12 der EU-Richtlinie zur Vorratsspeicherung für Flugpassagierdaten schreibt eine Speicherdauer von fünf Jahren für alle Daten von allen Flugbewegungen vor. Laut EuGH ist eine dauerhafte Speicherung nur für jene Datensätze von Personen erlaubt, gegen die ein begründeter Verdacht auf schwere Verbrechen wie die Mitgliedschaft in einer terroristischen oder kriminellen Organisation vorliegt.

Der Rechtsweg zur Klage

Die Abkommen mit den USA und Australien enthalten zum Teil wortidente Regelungen zu jenen im Abkommen mit Kanada, das der EuGH vergangene Woche ausgesetzt hatte. Nun wackeln alle EU-Flugdatenabkommen.

„Nicht nur ich bin davon überzeugt, dass auch die PNR-Richtlinie der EU aufgehoben werden wird, sobald sie bis vor den EuGH gelangt ist. Die Frage ist nur, wann das passieren wird und auf welchem Weg“, sagte Walter Hötzendorfer zu ORF.at. Dass nämlich ein „neuer Max Schrems“ dieses System mit einer Klage zu Fall bringen könnte - wie in Brüssel gerade kolportiert - sei zwar durchaus möglich, ein rascher Durchmarsch werde das aber sicher nicht. Der Wiener Jurist Max Schrems hatte das „Safe Harbour“-Abkommen zur Datenweitergabe in die USA 2015 mit einer Klage vor den EuGH und den Vertrag in Folge zu Fall gebracht.

Von Österreich aus könnte eine solche Anfechtung wohl erst nach der Umsetzung der EU-Richtlinie gestartet werden, die Frist dafür läuft noch bis Ende April 2018. Voraussetzung für eine Klage von EU-Bürgern gegen das PNR-System ist nämlich der Nachweis der persönlichen Betroffenheit. Dazu muss die Richtlinie natürlich erst einmal in nationales Recht gegossen sein. Von der betreffenden Person muss dann ein Flug aus dem EU-Raum in einen Drittstaat und zurück gebucht werden, bevor sie gerichtlich dagegen vorgehen kann", so Hötzendorfer. Gegen wen die Klage dann gerichtet werden müsse, bedürfe noch einer eingehenden juristischen Analyse, grundsätzlich sei man ja nur zwei Instanzen von der Einreichung einer Klage in Österreich bis zur Vorlage beim EuGH entfernt.

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Die Aussendung des EuGH, in der die Erkenntnisse des Gerichts in kondensierter Form zusammengefasst werden wird, hält fest, dass nach der Ausreise des jeweiligen Passagiers nicht einmal ein „mittelbarer Zusammenhang“ zwischen dem Ziel des PNR-Abkommens und diesen PNR-Daten gegeben sei. Gemeint sind damit Datensätze der überwältigenden Mehrheit gewöhnlicher Reisender, die unter keinerlei Verdacht schwerer Verbrechen stehen.

Wegen heftiger Kontroversen im EU-Parlament hatte die Kommission das Abkommen mit Kanada Ende 2014 dem EuGH vorgelegt. Im Juni 2015 starte man dennoch die Verhandlungen für ein PNR-Abkommen mit Mexiko.

EuGH-Spruch als Rote Linie

Die Schlussfolgerungen Bossongs zum Spruch des EuGH lassen denn an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig: „Das Urteil schränkt den Verhandlungsspielraum für die EU bei allen internationalen Abkommen, die Transfer personenbezogener Daten beinhalten, erheblich ein.“ Die politischen Implikationen des Spruchs seien aber ebenso signifikant, denn eine so detaillierte Analyse des Abkommens sei im Endeffekt eine Revision mit einer klar gezogenen Roten Linie, so die Bewertung von Raphael Bossong.

Und die sind mittlerweile ziemlich klar ersichtlich, weil unmissverständlich formuliert. Zu einem Verbot der dauerhaften Speicherung der Daten von Passagieren nach deren Aufenthalt in einem Drittstaat kommen die verpflichtende Einschaltung eines lokalen Gerichts beim Zugriff während des Aufenthalts und eine Informationspflicht für die Behörden des Drittstaats an den Betroffenen. Dazu kommt ein Verbot der routinemäßigen Weitergabe sogenannter „sensitiver“ Daten, die Religionszugehörigkeit oder sexuelle Orientierung verraten. Zudem dürfen personenbezogene Daten von EU-Bürgern prinzipiell nur noch an jene Staaten übermittelt werden, mit denen ein diesbezügliches Abkommen mit der Europäischen Union besteht.

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Gemeinfrei

Auch Christopher Kuner, Rechtsprofessor an der Freien Universität Brüssel, kommt zu vergleichbaren Schlussfolgerungen wie sie in der Rechtsmeinung von Raphael Bossong zu den möglichen Auswirkungen des EuGH-Spruchs auf alle anderen PNR-Abkommen und internationalen Verträge der Union gezogen werden.

Signalwirkung

Von der minutiösen Analyse dieses PNR-Abkommens und dem demonstrativen Einzug Roter Linien geht eine klare politische Signalwirkung für die Umsetzung der 2016 beschlossenen PNR-Richtlinie in nationale Gesetze aus. In Deutschland, wo das bereits im Juni vollzogen wurde, wird der Gesetzgeber nach der Wahl im Herbst eine Novelle nachschieben müssen. So wie die PNR-Richtlinie eine Reihe von Maßnahmen enthält, die nun vom EuGH als illegal deklariert wurden, verstoßen auch die nationalen Umsetzungen gegen das EuGH-Erkenntnis.

So ist die erste Klage gegen das EU-PNR-System auch aus Deutschland zu erwarten, sobald das bereits beschlossene Gesetz in Kraft getreten ist. Auf EU-Ebene wiederum wurde im Juli die nächste Stufe der Erfassung von personenbezogenen Daten Reisender in den Gremien abgesegnet, die Richtlinie soll noch im Herbst dem Plenum des EU-Parlaments vorgelegt werden. Dieses sogenannte Entry/Exit-System basiert auf der PNR-Erfassung, die auf Bahn-, Schiff- und Busreisen ausgeweitet wird. Alleine für diese Erweiterung ist schon einmal eine Milliarde Euro an Kosten eingeplant. Mehr zum geplanten Entry/Exit-System folgt dann im nächsten Teil.

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