FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Wandergeselle in Kluft mit Wanderstab und Reisetasche (Charlottenburger)

Lukas Lottersberger

Fixe Tippelei!

Wollte ein Handwerksgeselle früher Meister werden, musste er „auf die Walz“ - auch „Tippelei“ genannt. Das ist heutzutage nicht mehr Pflicht, doch die traditionelle Form des „Work & Travel“ gibt es immer noch. Dabei müssen allerlei Ver- und Gebote beachtet werden. Wandergeselle Benedikt klärt uns auf.

Von Lukas Lottersberger

Nicht einmal die eingefleischtesten Hipster würden wohl heutzutage eine Melone auf dem Kopf oder Schlaghosen aus Cord tragen. Für Wandergesellinnen und -gesellen auf der Walz, ist das jedoch fixer Bestandteil der traditionellen Kluft. So auch für Bene (eigentlich Benedikt), ein Zimmermannsgeselle auf Wanderschaft. Wo er auftaucht, zieht er neugierige Blicke auf sich.

„Die Hauptfarbe der Kluft sagt aus, welchem Gewerk man zugehört“, erklärt mir Bene. Seine Kluft ist schwarz, was gemeinsam mit Braun für einen holzverarbeitenden Beruf steht. Stoffverarbeitende Berufe wie PolsterInnen oder SchneiderInnen tragen Rot, bei metallverarbeitenden Berufen ist es Blau. SteinmetzInnen und MaurerInnen auf Wanderschaft trifft man in Grau oder Weiß an. Es gibt auch KöchInnen und KonditorInnen auf Wanderschaft: „Die haben das Pepita-Muster, das man von Kochhosen kennt, die ganze Kluft rauf“, erklärt Bene. „Das schaut sehr cool aus“, findet er.

Benedikt, ein "fremder Rolandsbruder"

Lukas Lottersberger

Tippelbruder Bene

Das traditionelle Gewand und die Accessoires sind voller Symbolik, verrät Bene. An seiner zweireihigen Weste prangen acht Knöpfe: „Die stehen für acht Stunden Arbeit am Tag.“ Das Jackett zählt sechs Knöpfe an der Brust, für sechs Arbeitstage; und an den Ärmelmanschetten findet man jeweils drei, für drei Lehrjahre und drei Wanderjahre.

Mindestens drei Jahre und einen Tag gehen die „fremdgeschriebenen“ HandwerksgesellInnen auf die Walz. Um die Wanderschaft anzutreten, nimmt man nach abgeschlossener Lehre zunächst Kontakt mit den verschiedenen Gesellenvereinigungen oder „Schächten“ auf. Manche nehmen nur Männer auf, manche sind gemischt. Bene glaubt aber, dass früher oder später alle Schächte gemischt sein werden. Er hat sich dem Rolandschacht angeschlossen, der nur Männer aufnimmt. Die blauen Elemente an seiner Kluft, etwa die Biesen an seiner Hose und der krawattenartige Halsschmuck namens Ehrbarkeit, sind Zeichen der Schachtzugehörigkeit.

Bloß nicht romantisieren

„Bevor du überhaupt losgehen darfst, musst du schuldenfrei und ledig sein, und man muss einen guten Leumund haben“, sagt Bene. „Du darfst nicht vor Verpflichtungen fliehen.“ Nicht älter als 27 sollte man sein, wenn man die Walz antritt - die Schächte lassen nur in Ausnahmefällen ältere Gesellen ziehen.

So genannte ExportgesellInnen, die bereits auf Wanderschaft sind, zeigen den Neuen im Bunde schließlich die Regeln und Bräuche. Davon gibt es viele. Die Kluft in der Öffentlichkeit zu tragen, ist eine der Pflichten. Nicht mehr als fünf Euro darf man bei Reiseantritt in der Tasche haben, man soll auch nicht mit mehr zurückkommen. Außerdem muss während der Walz eine Bannmeile von 50 bzw. 60 Kilometern (je nach Schacht) um den Heimatort eingehalten werden. Damit soll verhindert werden, bekannte Netzwerke zu nutzen.

Handys sind ebenfalls verboten. Das stört Bene aber überhaupt nicht - im Gegenteil. In den ersten Wochen seiner Reise spürte er stets noch ein Phantomvibrieren in seiner Hosentasche. Mittlerweile ist er irritiert von „Smombies“, die tippend und schweigend „ins Gespräch vertieft“ sind, während er mit anderen GesellInnen am Wirtshaustisch sitzt und richtig plaudert. „Die ganze Gesprächskultur geht verloren“, beschwert sich Bene, „und das fällt dir erst auf, wenn du mal kein Handy mehr hast“.

E-Mails und Briefverkehr sowie gelegentliche Anrufe aus Telefonzellen oder von einem geliehenen Handy sind hingegen erlaubt. Bene gesteht sich auch ein, dass er nach der Walz gewiss wieder ein Handy brauchen wird, „alleine schon wegen der vielen digitalen Stundenzettel und so weiter“. Jetzt auf Walz genießt er jedoch seine handyfreie Zeit.

Man soll sich die Wanderschaft bloß nicht zu romantisch vorstellen, mahnt Bene: „Du gehst nicht nur die einsamen, verlassenen Wanderwege entlang, wo das Eichhörnchen freundlich grüßt“, sagt er aus eigener Erfahrung, „manchmal findest du dich in einer Großstadt wieder, es regnet, du hast keine Unterkunft - und dann musst du im kalten, feuchten Parkhaus übernachten“. Ein Schlafsack ist deshalb immer mit dabei im Gepäck.

Staude, Stenz, Charlie und das „Festnageln“

Zur Standardausrüstung gehören der hölzerne Wanderstab, der Stenz, eine Reisetasche aus Stoff, der so genannte Charlottenburger oder Charlie, und das Wanderbuch, in dem Empfehlungsschreiben und die Siegel der besuchten Orte gesammelt werden. Dafür muss im Rathaus oder Gemeindeamt ein geheimer Handwerkergruß aufgesagt werden. Den will mir auch Bene nicht verraten: „Der wird nur von Geselle zu Geselle weitergegeben. Da müsstest du jetzt Bürgermeister sein, um in den Genuss zu kommen.“

Das Wanderbuch eines Wandergesellen

Lukas Lottersberger

Ein Buch mit mehr als sieben Siegeln: Benes Wanderbuch

Ein weiteres typisches Kennzeichen von WandergesellInnen ist ein Ohrring am linken Ohr. Der wird zu Beginn der Reise nicht gestochen, sondern - und das ist jetzt nichts für empfindliche Gemüter - genagelt. Bei dem Ritual werden drei gefüllte Schnapsgläser aufgestellt: „In eines kommt der Ohrring, ins andere der Nagel und ins letzte nur Schnaps.“ Zwei Schnäpse zur Desinfektion und einer als Anästhetikum also.

„Dein Exportgeselle oder die -gesellin nagelt dich dann auf dein Versprechen, drei Jahre der Heimat fernzubleiben, fest“, daher komme auch der sprichwörtliche Ausdruck des Festnagelns. „Dann hängst du erst einmal am Baum, am Tisch, am Tresen - je nachdem - und möchtest sehr gerne wieder losgemacht werden! Du musst versprechen, dich anständig aufzuführen und drei Jahre und einen Tag unterwegs zu sein.“ Es ist auch üblich, den ExportgesellInnen ein persönliches Versprechen abzugeben - z.B. dass man ein gemeinsames Fest organisiert. Sind die Versprechen abgelegt, wird man befreit und der Ohrring eingesetzt.

Eine blaue "Ehrbarkeit" mit Handwerkernadel

Lukas Lottersberger

Die Ehrbarkeit wird nach einer gewissen Zeit „braven“ WandergesellInnen verliehen und am Kragen der Staude (Hemd) getragen.

„Der Ohrring war früher aus massivem Gold, um etwaige Schulden begleichen zu können oder im Todesfall das eigene Begräbnis zu bezahlen“, erklärt Bene. „Unehrbaren“ Gesellen, die etwa ihre Meister bestohlen oder Kunden schwer betrogen haben, wurde früher der Ohrring ausgerissen. Daher kommt vermutlich auch der Begriff Schlitzohr. Wandergesellinnen und -gesellen sollen sich auch heute noch stets „ehrbar“ und redlich verhalten, so die Regel. Beweist man das während der Reise, verleihen einige Schächte die sogenannte Ehrbarkeit, die gemeinsam mit einer goldenen Krawattennadel mit dem Handwerkssymbol getragen wird.

Offenheit als Bedingung

Bene hat die Tradition der Walz vor der Ausbildung gar nicht gekannt, erzählt er. Sein Interesse an der Wanderschaft war sofort geweckt, als er einen Artikel darüber gelesen hatte. Er schätzt an der Walz, dass man im Gegensatz zum normalen Work & Travel die Möglichkeit hat, zu reisen und sich fortzubilden, „nicht nur für einen Hungerlohn zum Beispiel in Neuseeland Kiwis pflückt.“

Bei potenziellen Arbeitgebern ist es ein weitverbreiteter Irrtum, dass WandergesellInnen nur Kost und Logis verlangen. In der Regel sollten die Tippelbrüder und -schwestern mit ortsüblichen Löhnen oder nach Tarifvertrag bezahlt werden. Sie sind während der Reise versichert und in der Regel Gewerkschaftsmitglieder, „weil die Gewerkschaften ja aus den Zünften entstanden sind“, erklärt Bene. „Wir sind solidarisch mit den Arbeitern vor Ort und wollen keine Konkurrenz für sie sein“, weshalb Schwarzarbeit unter Wandergesellen höchst verpönt ist.

Auf seiner bisherigen Reise war Bene schon in mehr als 15 Ländern. Der am weitesten entfernte Arbeitsort war Feuerland am südlichsten Zipfel Südamerikas. Auch wenn die Tippelei nicht immer ein Zuckerschlecken ist, möchte Bene nichts davon missen. Er hat mit sehr verschiedenen Leuten zusammengearbeitet: mit KünstlerInnen, einem Honorarkonsul, mit Hippies genauso wie mit konservativen Studentenverbindungen.

„Bei Regen, Schnee, Sturm und Eis
haben wir die ganze Welt bereist.“
(Spruch der Rolandsbrüder)

„In der Kluft bist du für alle interessant“, sagt Bene mit einem Schmunzeln. „Es nimmt dir aber auch die Scheuklappen ab“, betont er, „weil du hinter Türen schaust, die dir als normaler Reisender sicher verschlossen bleiben.“ Toleranz, Weltoffenheit und Neugierde sind jedenfalls Eigenschaften, die angehende WandergesellInnen mitbringen sollten.

Zurzeit kann Bene wegen eines gebrochenen Fingers nicht arbeiten. Im Juni hofft er, nach Haiti gehen zu können, um dort bei einem Hilfsprojekt mitanzupacken. Seine aktuelle Auszeit nimmt er gelassen: „Das Wetter ist momentan gut, es ist Frühling und wärmer“, meint er sichtlich erfreut. Über die Donauauen möchte er nach Bratislava und später weiter nach Rust. Denn am Tag der Arbeit trifft er sich dort mit einigen Kolleginnen und Kollegen zum Aufklopfen - so nennt man die Treffen mehrerer Wandergesellen - bei einem Einheimischen, also einem inzwischen sesshaften, ehemaligen Wandergesellen.

Da bleibt nur mehr zu sagen: Gute Reise! - oder wie die WandergesellInnen sagen: Fixe Tippelei!

Aktuell: