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Girl Band live am Donaufestival

David Višnjić

Comeback des Donaufestivals

Über dem Comeback des Donaufestivals liegt eine freudvolle Melancholie.

Von David Pfister

Jahrzehntelang hat das Festival für zeitgenössische Kunst und Musik mit seinen Arbeiten auf die Apokalypse und die hernach möglichen Dystopien vorbereitet und nun sind wir mitten drinnen; oder sind wir gar schon in einer Post-Apokalypse?

Diese Fragen und Gefühle evoziert die Performancekünstlerin und Mikrobiologin Ira Melkonyan in ihrer Performance „Upstairs Geology 50/50“. Die Besucher*innen werden in einem Raum platziert, der wie ein riesiges Laboratorium anmutet. Behältnisse und Beutel mit Flüssigkeiten hängen von der Decke herab und erinnern in ihrer scheinbaren Zufälligkeit auch an die Willkür von Natur und Pflanzen. Dann kommt ein offenbar sinnloser Ablauf in Gang. Beutel neigen sich, Farben ergießen sich auf Flächen, Flüssigkeiten rieseln und tropfen auf Wände und Böden. Der Mechanismus des Ablaufs bleibt verborgen und rätselhaft, aber die Flüssigkeiten fließen, wie es die Schwerkraft von ihnen will, bis ihr Reservoir leer ist. Die Natur findet trotz der Eingriffe des Menschen ihren Weg. Ein wunderschön inszeniertes Gleichnis auf die Klimakrise.

Die Wilde Jagd live am Donaufestival

David Višnjić

Die Wilde Jagd

Musikalisch bündelte der zweite Tag alle klassischen Donaufestival-Disziplinen. Etwa Laptop-Noise von der britisch-ägyptischen Musikerin und Komponistin Sahra Badr alias FRKTL in der Minoritenkirche und dem leicht nerdigem Techno-Folk-Krautrock von Die Wilde Jagd.

„Die wilde Jagd“ erzählt eigentlich von mythischen Sagengestalten aus dem europäischen alpinen Raum, die etwa in der Raunacht mit Frau Holle Schabernack treiben. Diesen Projektnamen hat sich der Berliner Sebastian Lee Philipp für ein Projekt ausgesucht, mit dem er Clubmusik mit seltsamem Folk vermählt und düstere Texte über Partys in verhexten Wäldern singt. Der Berliner hat in seiner Karriere schon einige Credits angehäuft, etwa mit der Electro-Pop-Band Noblesse Oblige. Ein leicht ruraler Kontrapunkt in der Programmierung, die dieses Jahr so etwas wie ein Best-of der Stärken des Donaufestivals ist.

Girl Band live am Donaufestival

David Višnjić

Girl Band

Die ewigen Wiederholungen des Krautrocks, des Techno, sind nicht nur für Die Wilde Jagd wichtig, sondern auch für eine Gruppe, die am dritten Tag für einen der stärksten Momente des ersten Wochenendes sorgten. Girl Band aus Irland haben es endlich wieder nach Österreich geschafft und begeisterten mit kluger, überlegter Raserei. Waidwunder Noise Rock, der oft um die Themen Angst und Panik kreist, aber dennoch heimlich die Melodie liebt und dadurch sich selber und dem Publikum Linderung bereitet. Die momentan beste Rockband der Welt.

Aber hüpfen wir noch kurz zurück zum zweiten Festivaltag. Da lieferte die tunesischstämmige Produzentin Deena Abdelwahed einen Live-Höhepunkt. Deena Abdelwahed verbindet in ihrer Musik politische Agenden mit avantgardistischer, hybrider Clubmusik und traditionellen nordafrikanischen Rhythmuspatterns. In ihren Lyrics tritt Deena Abdelwahed als Aktivistin gegen Homophobie, gesellschaftliche Kontrolle und Marginalisierung von Minderheiten auf.

Deena Abdelwahed live am Donaufestival

David Višnjić

Deena Abdelwahed

Das sind auch zentrale Aspekte in der Kunst von Angel-Ho und bbymutha. Angel-Ho ist eine südafrikanische Transgenderkünstlerin, die dem Kollektiv NON Worldwide angehört. Das ist eine lose Vereinigung von Künstler*innen, die Clubmusik mit traditioneller afrikanischer, karibischer oder asiatischer Tanzmusik verbinden mit dem Ziel der endgültigen Auflösung aller einschränkenden Konzepte von Herkunft oder Identität. Eine tolle Angelegenheit, die auch für einen schönen Clubmoment beim Festival verantwortlich war, wobei einen die geballte, überdrehte Atemlosigkeit von Angel-Ho auch ein bissl fertig machte.

bbymutha live am Donaufestival

David Višnjić

bbymutha

Anders da die sehr souveräne und gewandte Atemlosigkeit von bbymutha. Die Mutter von zwei Zwillingen ist wohl einer der interessantesten Hiphop-Acts momentan. Ihre Texte schöpft sie aus einer von Problemen und Unwegsamkeiten geprägten Biografie. Zerrüttete Familienverhältnisse, Depressionen und Drogenmissbrauch. Das alles trägt sie mit einer leichtfüßigen, freudvollen, ironischen Art vor. Kaum wurde so freudvoll und smart über Selbstermächtigung und weibliche Sexualität gerappt.

Jerskin Fendrix live am Donaufestival

David Višnjić

Jerskin Fendrix

Bleiben wir im weitesten Sinne beim Rap und sehen wir uns vom dritten Tag des Donaufestivals auch noch den jungen Jerskin Fendrix an. Nun wird am Donaufestival ja seit jeher wild durch die Genres fusioniert, aber der Londoner treibt diese Kunst auf die Spitze und fügt Dinge zusammen, die der früher in der Minoritenkirche angebetete Gott niemals gewagt hätte zusammenzudenken. Fendrix wechselt manchmal innerhalb eines Songs von ernster Kammermusik zu synthetischem Future Soul und lässt dann gleich wieder das Witch-House-Genre aufleben. Die Witch-House-Zitate sind übrigens ziemlich auffällig hier beim Donaufestival. Kündigt sich da gar so etwas wie ein Post-Witch an? Aber zurück zu Jerskin Fendrix; der rappt, singt und jubiliert mit einem fast angsteinflößenden Furor, um dann gleich wieder erschöpft in sich zusammenzusinken. Dieser Gestus erinnert überraschend stark an Emo-Codein-Rapper wie beispielsweise der GothBoiClique - auch nicht die unleiwandste Referenz.

Das Donaufestival ist nun schon seit Jahrzehnten eine Oase des Denkens und der Empathie, wo vermeintlich antiquierte Narreteien wie Integrität und Moral tatsächlich noch ernsthaft verhandelt werden. Da viele andere diesbezügliche Wirkungsstätten zunehmend versagen oder deren Betrieb eingestellt wird, sind die Impulse und Gesten, die das Donaufestival verwirklicht und aussendet, die Standpunkte, die es verteidigt, enorm wichtig und wertvoll.

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