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Von „Velvet Goldmine“ bis „Velvet Underground“: Die Musikfilme von Todd Haynes

Der FM4 Film Podcast widmet sich drei Meisterwerken des US-Regisseurs, die von Glamrock, Avantgarde, kreativem Lärm und wechselnden Indentitäten erzählen.

Von Christian Fuchs

Es gibt da eine gewisse Frage, die kursiert manchmal unter Menschen aus der Boomer-Generation. „Bist du im Team der Beatles oder Rolling Stones?“, lautet sie. Es geht dabei neben Musik wohl auch um den angeblich richtigen Blick auf das Popuniversum, auf die Dinge, auf die Welt. Gerade deswegen kann es für mich nur eine richtige Antwort geben: The Velvet Underground.

Der FM4 Filmpodcast, zu hören Montag um Mitternacht auf FM4 und schon ab 22 Uhr überall, wo es Podcasts gibt.

Genauso heißt auch die neue Dokumentation, die der US-Regisseur Todd Haynes über die ikonische Formation gedreht hat. Es ist tatsächlich die erste filmische Würdigung der Band aus dem Dunstkreis von Andy Warhol. „The Velvet Underground“ folgt den Spuren von Lou Reed, John Cale & Co. durch die wilden Sixties bis zur Auflösung in den 70er Jahren. Todd Haynes kompiliert akribisch Archivmaterial, lässt Zeitzeugen und Bandmitglieder zu Wort kommen.

Die Blumenkinder des Bösen

Der Film macht erneut klar, warum der Sound dieser Musiker*innen so innovativ war. Weil mit dem Rock’n’Roll-Spirit von Lou Reed und der Avantgarde-Affinität von John Cale fremde Welten kollidierten. Erstmals in der Popgeschichte. Eine elektrisierende Liaison der Gegensätze, die Velvet Underground bis heute unglaublich einflussreich macht. Kreativer Lärm traf sich mit süßen Melodien. Auch das spezielle Schlagzeugspiel von Maureen Tucker prägte den Sound entscheidend.

Dazu kam das düstere Image der Band. Am Höhepunkt der Flower-Power-Ära flirteten die New Yorker mit den Blumen des Bösen, kokettierten mit BDSM-Obsessionen und setzten auf schwarze Lederjacken und Sonnenbrillen statt Hippie-Buntheit. „The Velvet Underground“, zu finden auf Apple TV, rollt all diese formalen Revolutionen auf, verzichtet aber auf skandalöse Tratschgeschichten. Das ehrt den Regisseur. Todd Haynes kontrastiert den Sog der psychedelischen Bilder lieber mit intellektuellen Reflexionen, klammert auch den üblen Umgang der damaligen Szene mit Frauen nicht aus.

Überhaupt, was für ein toller, messerscharf fokussierter und cleverer Filmemacher ist dieser Mr. Haynes. Aus dem queeren Kunstfilm-Underground stammend, gelang dem gebürtigen Kalifornier ein beeindruckender Aufstieg in den Arthouse-Mainstream.

Mit dem verstörenden, klinisch kühlen Psychodrama „Safe“ erringt Todd Haynes 1995 einen ersten Filmfestivalerfolg. Sein Durchbruch ist allerdings 1998 ein Film, der schwelgerisch und berauschend von einer Zeitenwende im Pop erzählt.

Die Essenz des Glamrock

Velvet Goldmine“ versetzt uns an den Anfang der 70er Jahre, als die maskulin dominierte Rockszene plötzlich von androgynen Gestalten aufgemischt wird. Ein junger Christian Bale, mit rosigen Wangen, verfällt dem Reiz von Glanz und Glitter, eng anliegenden Lurex-Pullis, Plateausohlen und goldenen Glockenhosen. Festgemauerte Geschlechterrollen zerbröseln. Marc Bolans Band T. Rex, David Bowie oder Roxy Music stehen damals für einen popkulturellen Aufbruch in ein offenes Zeitalter, der dann doch nie passierte.

Christian Bale in "Velvet Goldmine"

Tobis

„Velvet Goldmine“ berichtet vom Höhenflug und Absturz des Glamrock, von modischen Inszenierungen und den menschlichen Melodramen dahinter. Aus realen Figuren wie Bowie oder Iggy Pop werden nicht nur aus rechtlichen Gründen fiktive Charaktere, verkörpert von Ewan McGregor und Jonathan Rhys Meyers. Todd Haynes: „Ich habe mir die Essenz von Glamrock zu Herzen genommen. Da geht es nicht darum, die Wahrheit zu sagen, sondern sie so gut wie möglich zu verbergen.“

Der Film ist noch immer sensationell, gerade weil Genderthemen heute ideologisch so streng diskutiert werden. In einem Interview Ende der 90er erklärt der Regisseur: „Ich wollte diesen Zeitabschnitt unter die Lupe nehmen, weil ich die 70er als einzigartige Ära erachte. Nicht weil sie kitschig war, sondern wegen einer radikalen Geisteshaltung. Das Verkleiden und Performen ist in direktem Zusammenhang mit Sexualität und Identität zu sehen. Es war eine progressive Zeit, aber gleichzeitig war auch alles so spielerisch, ohne das politische Dogma der 60er. Die Musik war intelligent, humorvoll und letztlich auch sehr bewegend.“

Ein Manifest gegen die Stagnation

Nach diesem Film wie ein Rockkonzert wechselt Todd Haynes das Genre. In „Far From Heaven“ inszeniert er eine Story über Liebe und Rassismus in der Verpackung eines klassischen Melodrams. Dann kehrt der Regisseur zum Thema Musik zurück. In „I’m Not There“ dekonstruiert in die Karriere eines legendären Charakters der Popkultur: Robert Allen Zimmerman.

Statt eines gewöhnlichen Biopics schafft Haynes ein meisterhaftes Puzzle von Bob Dylans unterschiedlichen Identitäten, vom Folk-Troubadour, Blues-Poeten, Rock-Innovator, christlichen Prediger bis zum widerspenstigen Zyniker. In dem wilden Assoziationsreigen spielen insgesamt fünf Schauspieler und eine Schauspielerin je eine Facette der rätselhaften Rocklegende – von Cate Blanchett über Christian Bale bis hin zu Heath Ledger.

Kein einziges Mal fällt der Name des Mannes, um den dieser Streifen zur Gänze kreist. Bob Dylan ist abwesend in diesem Film und gleichzeitig omnipräsent. Mit seinen unterschiedlichen Gesichtern und Phasen ändert sich auch die jeweilige Ästhetik. Todd Haynes zitiert das Kino der 60er und 70er, verschachtelt unzählige Hommagen zu einem filmischen Kaleidoskop. Das hört sich anstrengend und prätentiös an, aber „I’m Not There“ funktioniert auch auf einer emotionalen Ebene. Nicht zuletzt die großartigen Schauspielleistungen machen den Film zu einem packenden Kinoerlebnis.

Cate Blanchett als Bob Dylan

Tobis

Zu den vielen faszinierenden Facetten dieses abstrakten, manchmal überambitionierten und oft atemberaubenden Streifens gehört es, dass man Bob Dylan weder gut kennen noch besonderes schätzen muss, um mitgerissen zu werden. „I’m Not There“ ist vor allem ein allgemeingültiges Manifest - gegen die Stagnation, gegen den Stillstand, gegen den langweiligen Konsens, den viele Musiker*innen mit ihren Bewunderern eingehen.

In den Musikfilmen von Todd Haynes, denen sich der neue FM4 Film Podcast widmet, lernen wir auch viel über den Begriff der Echtheit und warum wir selber in den meisten Situationen, denen wir ausgesetzt sind, eben alles andere als „natürlich“ reagieren. Der Regisseur:

Es gibt wohl nur ganz wenige Momente in deinem ganzem Leben, wo du dich wirklich wahrhaftig fühlst und ehrlich gegenüber dir selbst, wo du nicht aus irgendwelchen Ängsten oder taktischen Gründen einen Rolle einnimmst. Diese Augenblicke sind wirklich sehr rar.

Ein schlichtes und gleichzeitig großartiges Statement, mit dem Todd Haynes nicht nur sein filmisches Gesamtwerk auf den Punkt bringt, sondern alle Authentizitätsaposteln zum Nachdenken bringen sollte.

FM4 Podcast Film Podcast (Filmpodcast)

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97. FM4 Film Podcast: Die Musikfilme von Todd Haynes

Mit seiner Doku „The Velvet Underground“ taucht Todd Haynes erneut in die Popgeschichte ab. Pia Reiser, Christian Fuchs und Martin Pieper schwärmen auch über die anderen fantastischen Musikfilme des US-Regisseurs. Ein Podcast zwischen Rock’n’Roll-Mythen, Queer-Cinema, silbernen Plateaustiefeln und schwarzen Chelsea-Boots.

Der FM4 Filmpodcast, zu hören Montag um Mitternacht auf FM4 und schon ab 22 Uhr überall, wo es Podcasts gibt.

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