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My Morning Jacket

Austin Nelson

My Morning Jacket tun auch am neuen Album was sie wollen

Die US-Band My Morning Jacket war sich nach der Tour zum 2015er-Album „The Waterfall“ nicht sicher, ob sie überhaupt weitermachen würde. Ein weiteres Album folgte, aber nicht mit neuen Songs, sondern mit Material, das vom letzten übrig geblieben war. Ein paar Konzerte zwischendurch brachten das Feuer dann aber zum Glück wieder zum Lodern.

von Eva Umbauer

My Morning Jacket sind eine tolle Live-Band, woran einen am neuen Album spätestens Songs wie „Complex“ oder „Penny For Your Thoughts“ erinnern. Tracks wie diese sind gemacht für ein Live-Publikum, eine ziemlich große Outdoor-Crowd. Überhaupt ist die neue Platte von My Morning Jacket wie ein Konzert konzipiert, kann sozusagen direkt auf die Bühne gebracht werden.

Das neue, selbstbetitelte Album von My Morning Jacket ist noch vor der Pandemie entstanden, ganz knapp vor den ersten Lockdowns im letzten Jahr wurde es fertig. Abgemischt hat es Jim James dann, als die Welt bereits heruntergefahren war. Jim ist der Mastermind dieser Band aus Louisville, Kentucky, jenem US-Bundesstaat, wo der sogenannte Midwest in den Süden übergeht, wo das üppige Gras im zarten Frühsommerwind blau schimmert.

My Morning Jacket

ATO

Das selbstbetitelte neue Album von My Morning Jacket ist beim US-Plattenlabel ATO erschienen.

Auf diesem „blue grass“ der endlosen Wiesen von Kentucky weiden gerne Pferde, manche von ihnen sind Rennpferde. Es geht aber auch weniger glamourös zu in dieser Gegend. So hat Jim James seine Stimme für das zweite Album der Band, das 2001 erschienene „At Dawn“, in einem alten, aufgelassenen Silo einer Farm aufgenommen, weil ihn dort der Hall, der vor allem in der frühen Phase von My Morning Jacket so präsent war, faszinierte.

As if punk had never happened?

Aufgewachsen ist Jim James mit allerlei Musik - von Country, Folk und altem Soul über Kirchenmusik bis zum Southern Rock der 1970er Jahre mit Bands wie Lynard Skynard oder den Allman Brothers. Aber auch klassischer Musik ist Jim James nicht abgeneigt, so veröffentlichte er 2019 ein Solo-Album zusammen mit dem Louisville Orchestra aus seiner Heimatstadt Louisville, Kentucky.

Wenn von My Morning Jacket die Rede ist, dann heißt es meist, dass die Band so klingt als ob „punk had never happened“ - und eben ein wenig in den Seventies „steckengeblieben“ ist. Eigentlich sind My Morning Jacket aber ziemlich Punk, im Sinn von, dass sie einfach tun was sie wollen. Genau das bereitet am neuen Album der Band so viel Freude.

Ein neuer Song wie „Lucky To Be Alive“ hat etwas Leichtfüßiges an sich, wirkt sorglos, beinhaltet aber auch eine Portion Ironie. Wir gehen der Sonne beim Untergehen zusehen und hören, dass niemand mehr Platten kauft, wenn Jim James singt: „they cut off all the bread that kept us fed.“

Jim James „lamentiert“ auch gleich beim ersten Song am neuen Album von My Morning Jacket, bei „Regularly Scheduled Programming“, nämlich darüber, dass alle zu viel auf ihr Handy starren anstatt miteinander zu reden: „Screen time addiction replacing real life and love.“ Dass die Pandemie bisher nicht gerade dazu beigetragen hat, hinauszugehen und Menschen zu treffen, ist Jim James bewusst. Dieser sehr moderne Track mit dem pochenden Groove, der dann zu einem richtigen Gospel-Rock-Feuerwerk wird, ist, wie gesagt, noch vor dem Auftreten von Covid-19 entstanden.

My Morning Jacket sind Ende 2019 in Los Angeles in ein Aufnahmestudio gegangen - und zwar in das in den 1970er Jahren gegründete 64 Sound, wo es viel Vintage-Equipment, aber auch moderne Studiotechnologie gibt. Jim James hat die neuen Songs mit feinstem Ohr selbst produziert, einen Song wie „Complex“, ein Psychedelic-Rock-meets-Southern-Rock-meets-äh-Kiss-Stück, das von komplexen Zeiten handelt und davon wie wichtig es ist „to be loved in these complex times“.

Die Zeiten sind seit der Entstehung von Songs wie „Complex“ noch komplexer geworden. Da kommen uns Songs wie „Love Love Love“ gerade recht, mit ihren Gitarren im Stil des Stadion-Rock der 1970er Jahre und der fast schon engelsgleichen Stimme von Jim James, oder „I Never Could Get Enough“, ein recht komplexer, warmherziger und romantischer Song, ein zärtliches Liebeslied, bei dem Jim James von „visions of heaven“ singt und „I drink from your warm loving cup“ und dabei ein wenig nach Bob Dylan klingt, wenn der als Soul-Stimme wiedergeboren wäre. „I Never Could Get Enough“ ist ein Stück von atemberaubender Schönheit.

„I Never Could Get Enough“ ist acht Minuten lang, genauso wie „In Color“ ganze sieben Minuten zählt oder „The Devil´s In The Details“, das gar ein neunminütiges Stück ist. Diese langen Tracks kommen aber mit einer gewissen Leichtigkeit daher, obwohl, in Gemütlichkeit versinkt keines dieser Stücke, allein schon wegen der sozialkritischen Texte nicht.

„People say we got our own problems to solve here at home...“ - My Morning Jacket - „Least Expected“

In „Least Expected“ geht es um Nationalismus und um das Leugnen des Klimawandels, „In Color“ ist eine sehr schöne Ode - inklusive eine Pedal-Steel-Guitar - an die Diversität, an die Unterschiedlichkeit der Menschen oder überhaupt alles Kreuchende und Fleuchende. Jim James legte den Song, so erzählt er im FM4-Interview, in seiner „Einfachheit“ fast wie ein Kinderlied an, während das vom Doo-wop - eine Stilrichtung der schwarzen Musik in den USA in den 50er und 60er Jahren - inspirierte „The Devil’s In The Details“ eine Abrechnung mit US-Einkaufszentren ist, die, so Jim James, junge Menschen zum Konsum erziehen und die dort Dinge kaufen, die von Menschen, die wie Sklaven behandelt werden, hergestellt worden sind.

Das neunte Album von My Morning Jacket eignet sich gut zum Einsteigen - und zum sich dann Zurückhören zu Alben wie „It Still Moves“ oder „Circuital“, ist aber auch für Musikliebhaber*innen, die diese Band schon länger kennen und mögen. Es ist süß und subversiv zugleich, hübsch und reflektiert und dann wieder - oft im selben Song - apokalyptisch. Jim James, der Existentialist, der bodenständige Mystiker, für den Musik etwas Spirituelles ist. Es ist wirklich gut, dass er My Morning Jacket nach über zwanzig Jahren ihres Bestehens wieder zusammengetrommelt hat: Tom, Patrick - diesen exzellenten Drummer, Carl und Bo, denn die (Musik-)Welt wäre ärmer ohne diese Band.

P.S.: Der Bandname My Morning Jacket kommt von einer alten Jacke, die Jim James gefunden hatte, und in der die Buchstaben MMJ eingenäht waren.

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