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Bilder vom zweiten Tag des Donaufestivals 2022

David Višnjić

Donaufestival 2022: Arca, Aneignung und die peitschende Doktrin

Schnalzender Future-Pop, Reggaeton, New Yorker Club-Vibes, Fragen über Fragen und Rosen am Klavier: Der zweite Donaufestival-Tag hatte es in sich - mit Highlights wie Arca, 700 Bliss und UMFANG.

Von Michaela Pichler

Auf einmal war alles wieder da. Die Menschen, die Lautstärke, die Diskussionen, die Fragen, der Club, der Bass in der Magengrube, die Schnitzelsemmel und die Intensität. Schon Samstag Mittag ist die Energie des Donaufestivals in Krems deutlich spürbar. Durch die ganze Stadt schlendern Grüppchen an Festival-Besucher*innen, die noch ein paar Sonnenstrahlen catchen wollen, bevor es dann in die dunklen Räume geht, in die Minoritenkirche, in den Stadtsaal, in die Kunsthalle oder ins Kino am Kesselhaus. Letzteres ist am Samstag Austragungsort eines Panels, das sich der Frage der kulturellen Aneignung - also der Cultural Appropriation - widmet. Denn durch die diesjährige Donaufestival-Ausgabe zieht sich ein roter Faden nach dem Motto „Stealing the Stolen“ durchs Programm.

Bilder vom zweiten Tag des Donaufestivals 2022

David Višnjić

Kann man „Cultural Appropriation“ etwas Produktives abgewinnen?

„Das Motto ist natürlich auch ein bisschen ein Witz und der Begriff des Diebstahls wird damit spielerisch hinterfragt. Wir haben uns für das Festival gefragt, ob wir der Debatte um Cultural Appropriation etwas Produktives abgewinnen können“, erklärt der künstlerische Leiter Thomas Edlinger. Ein Ort für emanzipatorische, progressive und dekoloniale Ideen möchte das Donaufestival diesen Frühling sein und hier kommen kluge Köpfe wie Julian Warner oder Cherrie O. ins Spiel. Als Fehler Kuti ist der deutsche Künstler, Kurator, Musiker und Theoretiker schon am Freitag mit seiner Blaskapelle durch die Kremser Kunsthalle gezogen. Gemeinsam mit Cherrie O. vom Wiener Kollektiv und Netzwerk Kids of the Diaspora diskutiert er Samstag Nachmittag über Identität und persönliche Verortung; über den Umgang mit unserer Vergangenheit und das Spiel mit Brüchen. Über strukturelle Gewalt, die kapitalistische Macht und über Integrität. Denn all das ist Teil des großen Cultural-Appropriation-Pools. Allgemeingültige Antworten lassen sich diesen Nachmittag in einem Panel nicht finden, aber für Zerstreuung und Synapsen-Erneuerungen ist das Programm danach zuständig.

Es tut gut, die Musik auch endlich wieder am ganzen Körper zu spüren, berichtet eine Festival-Besucherin im Gespräch kurz vor dem nächsten Programmpunkt. Und das scheint am Donaufestival-Samstag der gemeinsame Nenner im Show-Reigen zu sein. Auch der zweite Festivaltag ist ausverkauft und so drängen sich bereits am frühen Abend Besucher*innen in den Kremser Stadtsaal, wenn das deutsche Trio Carl Gari gemeinsam mit dem ägyptischen Dichter und Musiker Abdullah Miniawy zum Abtauchen einlädt. Lange, fast schon psychedelische Jams mit E-Gitarre, E-Bass, Synthesizer und Elektronik offenbaren sich auf der Bühne. In der Halle 2 tut sich eine ganz andere Welt auf: UMFANG, alias Emma Burgess-Olson, holt Brooklyns Underground-Techno nach Krems. Die DJ und Produzentin ist nicht nur für ihre Bässe und Beats bekannt, sondern auch als Mitbegründerin des Kollektivs Discwoman. Das setzt sich für mehr Sichtbarkeit und die Repräsentation von FLINTAs in der cis-hetero-männlichen Clubszene ein - quasi das New Yorker Pendant zur österreichischen Clubkultur-Plattform Female Pressure. Der Donaufestival-Samstag ist auf Tanz und Eskapismus frisiert - das Publikum stampft und schüttelt sich die immergleichen grauen Tage der letzten zwei Jahre aus dem Gedächtnis.

Bilder vom zweiten Tag des Donaufestivals 2022

David Višnjić

Arca zelebriert die Auslotung der Grenzen

Viele der Festivalbesucher*innen sind am Samstag nach Krems gepilgert, um die venezolanische Headlinerin des Abends live zu erleben. Arca ist nach Krems gereist, um die Auslotung der Grenzen zu zelebrieren: Beim Donaufestival geschieht das mit ihrem Avant-Pop zwischen Internet und Elektronik, zwischen Clubkultur und Queerness, zwischen Mensch und Maschine. Noch am Samstag Nachmittag, Stunden vor ihrem Auftritt, findet man auf ihrem Instagram-Account ein ganz anderes Bild. Gemütlich lässt sie sich gemeinsam mit der britischen Songwriterin Tirzah, die Freitag Abend am Donaufestival ihr Österreich-Live-Debüt gefeiert hat, durch Krems kutschieren. Mit einer Pferdekutsche natürlich, was man eben so macht in der Wachau.

Bilder vom zweiten Tag des Donaufestivals 2022

David Višnjić

Irgendwo im Internet steht dieser eine Kommentar unter einem Video: Arcas Musik fühle sich an wie eine Panikattacke, aber gleichzeitig möchtest du twerken. So beschreibt es zumindest eine Youtube-User*in und spätestens als der Parkettboden des Stadtsaals so zu vibrieren beginnt, dass du nicht mehr weißt, ob deine Beine eingeschlafen sind oder du Teil des Glitches geworden bist, ja spätestens dann bewahrheitet sich diese Beobachtung.

Zum ballernden Sound des Tracks „Whip“ (aus dem dritten und selbstbetiteltem Arca-Album 2017) peitscht Arca ihr Publikum aus - klanglich und audiovisuell, das Stroboskop tut sein Übriges. Als DJ macht sich Arca nicht nur Samples und Sequenzen Untertan. Das Publikum ist ihr von der ersten Minute an verfallen und geht mit, egal ob seltenere Noise-Dekonstruktionen, hochgepitchter Reggaeton oder die vielen Beats per Minute auf eine*n niederprasseln. Zwischen dem Regler-Schieben und Drumpads-Tappen stiefelt Arca in ihren silbernen Overknees die Bühne entlang, die sich samt Mini-Voguing-Einlage zum Catwalk verwandelt. Kurz vor dem Ende ihres Sets greift Arca dann doch nochmal zum Mikro und bedankt sich bei der Crowd und beim Donaufestival. Es sei jedes mal wunderschön, wenn sie hier nach Krems komme. „And I love the energy in the room right now!“ Deshalb möchte Arca etwas ausprobieren, für das Donaufestival kehrt sogar sie an ihren musikalischen Ursprung zurück: Das Klavier.

Bilder vom zweiten Tag des Donaufestivals 2022

David Višnjić

Bis zu diesem Moment war der Konzertflügel nur ein Ablagetisch für das Bouquet roter Rosen, das Arca anfangs von einem Fan überreicht bekommen hat. Nach einer kurzen Impro-Session mit Gesang blickt Arca ins Publikum und sucht ein weiteres Paar Hände, das mit ihr gemeinsam die Klaviatur bespielt. Schnell ist ein verschwitzter Dude gefunden, der Auserkorene krallt auf die Bühne, umarmt den Star am Piano-Hocker und stimmt in die Improvisation mit ein. Das vierhändige Spiel ist Arca noch nicht genug, sie möchte die Stimme des Mitspielers hören. Eine Minute später liegt er am Flügel, trällert und zieht sich das verschwitzte Shirt vom Körper. Nach Arcas Aufforderung betritt nun noch eine weitere Person die Performance und peitscht den sich räkelnden Arca-Fan konsensuell mit einem Gürtel aus. Nach dem Spektakel bedankt sich Arca mit Luftküssen und verschwindet wieder dahin zurück, wo sie hergekommen ist, irgendwo zwischen New York, Caracas, Barcelona und dem Internet.

Arca beim Donaufestival 2022

David Višnjić

In Halle 2 wartet schon die nächste Party - 700 Bliss sind den weiten Weg angereist, um die orientierungslose Menge nach dem Arca-Auftritt wieder aufzufangen und in einen weiteren Electro-Eskapismus einzupacken. Hinter dem Duo aus Philadelphia stehen Moor Mother und DJ Haram. Gemeinsam nutzen sie als 700 Bliss Elektronik und Aktivismus als Kommentar auf unser dystopisches Zeitalter. Seit 2014 haben sich ihre kreativen Wege gekreuzt, 2018 erschien die EP „Spa 700“ und Ende Mai soll nun auch ihr Albumdebüt „Nothing to Declare“ veröffentlicht werden. Breakbeats, Noise und Spoken-Word-Verse über das Überleben im Ende der Welt hallen durch die Donaufestival-Venue, im Publikum wabert es. „Catch me in the night“, ruft Moor Mother als Mantra des Abends in den dampfenden Hallen-Club, die Donaufestival-Menge nimmt diese Einladung gerne an.

Bilder vom zweiten Tag des Donaufestivals 2022

David Višnjić

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