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Hosea Ratschiller und Klaus Ratschiller

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vatertag

Vatertag ohne Vater

Im FM4 Doppelzimmer erzählen Hosea Ratschiller und sein Vater Klaus über ihre Vater-Sohn-Beziehung und brechen mit dem Vaterbild als Familienoberhaupt. In ihrem gemeinsamen Buch „Den Vater auf die Welt bringen“ besprechen sie die emotionale Durchlässigkeit bei Männern und das Missverständnis, Freiheit mit sozialer Verwahrlosung zu verwechseln.

Von Elisabeth Scharang

Als Kinder schauen wir uns ab, was erwachsene Menschen rund um uns machen. Wir lernen von unseren Eltern beziehungsweise denen, die uns großziehen. Natürlich wird das Umfeld mit den Jahren größer und somit der Einfluss vielfältiger. Aber was wir als Kind gesehen und uns eingeprägt haben, das sitzt tief – im Positiven wie im Destruktiven.

Hosea Ratschiller ist bei seinem Vater in Klagenfurt aufgewachsen, seine Mutter ging nach Wien, sie hatte eine andere Vorstellung als Familie für ihr Leben. Heute sitzen Hosea und sein Vater nebeneinander in einer Altbauwohnung in Wien, wo die beiden nach dem Umzug von Kärnten nach Wien gelebt haben. „Hinter der Tür dort war mein Kinderzimmer. Das gibt’s heute natürlich nicht mehr, aber sonst ist es wie damals: überall Bücher“, erzählt Hosea. Er ist inzwischen selbst Vater einer Tochter und lebt im Patchworkmodell mit zwei weiteren Mädchen, den Kindern seiner Partnerin, zusammen.

Es ist mehr als nachvollziehbar, warum sich ein Mann wie Hosea Ratschiller Gedanken über seine Rolle als Vater macht; er, der nicht nur als Kabarettist die Welt, in der er lebt, beobachtet und kommentiert, sondern auch regelmäßig auf social media zu aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten seine Meinung äußert.

Hosea Ratschiller und Klaus Ratschiller

Radio FM4

Mit dem Vater als Familienoberhaupt ist es vorbei. Die vermeintlich gottgegebene Autorität des Familienernährers, der bis in die 70er Jahre gesetzlich darüber entscheiden konnte, ob seine Ehefrau arbeiten gehen dufte oder nicht, der das Konto verwaltete, während Kindererziehung und Haushalt die Domänen der Frau waren, diese Autorität hängt heute im Abstellkammerl.

Durch den Kampf um Gleichstellung in allen Bereichen unseres Lebens ist Bewegung in den Diskurs um Geschlechterrollen gekommen. Dieser Diskurs wird unter Frauen und nicht-binären Menschen bereits viel länger und intensiver geführt als unter und mit Männern. Aber langsam sickert die Erkenntnis durch, dass eine Gleichstellung für Männer auch bedeutet, dass sie um ihrer selbst geliebt und gemocht werden, dass sie nicht als Krieger, Ernährer, Zeuger, Arbeitstiere, Chefmonster und was es sonst noch an Projektionen von Männlichkeiten gibt, herhalten müssen. Ja, diese Veränderung mag sich wie ein Verlust anfühlen. Und ja, Privilegien, die Männer ausschließlich aufgrund ihres Geschlechts seit – uff, wie lange geht das schon so? – haben, die werden verloren gehen. Aber was es zu gewinnen gibt, das hat wirklich was! Und zwar für alle Beteiligten.

Ich bin mit einem alleinerziehenden Vater und einer Gruppe alleinerziehender Frauen und deren Kinder aufgewachsen.

Klaus Ratschiller, Hoseas Vater, wusste das bereits in den 80er Jahren, als er sich für ein Leben mit Kindern entschieden hat. Es war ein politischer Entschluss. Er habe es als Privileg empfunden, sich gegen eine Karriere und für das Zusammenleben mit einer künftigen Generation zu entscheiden, erzählt er. Dass das kurzzeitig auch Arbeitslosigkeit bedeutet habe, sei nicht bedrohlich gewesen. Klaus Ratschiller ist Lehrer und Philosoph, in den 80er unterrichtete er zeitweise an der Uni Klagenfurt; es sei mehr Freiraum damals gewesen und es habe weniger Zukunftsängste gegeben.

Hosea und Klaus Ratschiller

Molden Verlag

„Den Vater zur Welt bringen“ von Hosea und Klaus Ratschiller ist im Molden Verlag erschienen.

Klaus hat sich mit alleinerziehenden Frauen zusammengetan, denn alleinerziehende Männer gab es damals so gut wie keine in Klagenfurt. „Ich bin mit einer Gruppe von Kindern aufgewachsen, die für mich wie Geschwister sind“, erinnert sich Hosea. „Die Erwachsenen haben sich abgewechselt, jeden Tag hat einer oder eine die Betreuung übernommen und das Kochen. Das hat super funktioniert und ich hatte das Gefühl, es ist immer jemand für uns da.“

Als ich das Buch übers Vatersein, das die beiden gemeinsam geschrieben haben, in ein paar Nachmittagssessions im Kaffeehaus lese, rinnen mir immer wieder die Tränen unter der Brille über die Wangen: ein Mischmasch aus Wut und Rührung. Das Nicht-lesen-Können im Gesicht des Vaters, die emotionale Durchlässigkeit bei Männern, Verantwortung nicht mit dem Verlust von Freiheit gleichzusetzen und Freiheit nicht mit sozialer Verwahrlosung zu verwechseln – der Dialog zwischen Vater und Sohn in „Den Vater zur Welt bringen“ zieht sich durch die Erfahrungen, die wir alle im Laufe unseres Lebens machen, egal in welcher Zuschreibung, ob als Vater*, Sohn*, Tochter*, Mutter*, Freundin*, Freund*.

Ich hoffe, dass das kommende Jahrzehnt eine Welle an Verschiebungen im Selbstverständnis von Männern bringt, die nachhaltig wirken und bleiben. Dass dieser Diskurs immer von den betroffenen Gruppen selbst kommen muss und nicht von außen aufgepfropft werden kann, das wissen wir aus anderen Emanzipationsbewegungen.

Von Checkern, Mackern, Helden und Genies

Männer sterben früher, sind öfter depressiv, nehmen sich häufiger das Leben. In 9 von 10 Fällen sind Männer die Täter, wenn es um häusliche Gewalt geht. Männer sind die letzten, die bei der Notlandung eines Flugzeugs das Wrack verlassen dürfen. Männer müssen in den Krieg ziehen. Männer beherrschen die Aufsichtsräte der multinationalen Konzerne. Wenn junge Männer zu Dutzenden von der Terrorgruppe Boko Haram abgeschlachtet werden, greifen es die Medien nicht auf, weil sich die Verschleppung von Schülerinnen besser verkauft.

Es wird Zeit, dass Männer erkennen, dass ein patriarchales System nur wenigen Männern zugute kommt, und die Masse der Männer mit der Karotte vor der Nase, auch mal zu den Checkern, den Mackern, den Helden und den Genies zu gehören, mit Alkohol, Sport und Pornos zugedröhnt, geschreddert werden.

Sidekick aus der Welt der Wissenschaft: Studien belegen, dass die Zahl der Gewalttaten, die von Männern begangen werden, rasant sinkt, wenn Männer Care-Arbeit verrichten. Empathie mit anderen Menschen schützt davor, einen Menschen zum Objekt zu degradieren, damit man ihm/ihr den Schädel einschlagen kann. Man weiß also, dass Väterkarenz nicht nur für Männer und deren Kinder wichtig ist, sondern einen gesamtgesellschaftlichen Impact hat. Haben könnte. In Österreich geht nur 1 von 100 Vätern länger als ein halbes Jahr in Karenz.

Hosea Ratschiller und Klaus Ratschiller

Radio FM4

Das FM4 Doppelzimmer mit Hosea und Klaus Ratschiller und Elisabeth Scharang kannst du am Montag, 6. Juni, ab 13 Uhr auf FM4, für sieben Tage im FM4 Player und auch im FM4 Interviewpodcast hören.

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