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Cover on Lisa Eckharts "Boum"

Zsolnay

„Boum“: Der neue Roman von Lisa Eckhart bietet Sex statt Skandal

Die Kabarettistin Lisa Eckert wurde mit ihren manchmal gereimten, jedenfalls immer gestelzten Sprach- und Bühnenperformances zuerst berühmt und dann berüchtigt. Der Vorwurf: Sie würde mit antisemitischen und rassistischen Stereotypen Witze machen. Diese Kontroverse macht ihren zweiten Roman „Boum“ nicht unbedingt spannender.

Von Martin Pieper

Aloisia heißt sie also, die Hauptprotagonistin von Lisa Eckharts Roman „Boum“, eine junge schüchterne Frau aus Graz, die ganz „Unschuld aus der Provinz“ durch die Metropole stolpert, in der gerade ein Serienmörder reihenweise Straßenmusiker umbringt und auf diversen Pariser Sehenswürdigkeiten drapiert. Dazu kommt ein Kommissar und ein sogenannter Terrorexperte namens „Boum“, außerdem ein Liebhaber, ein Damentrio, das eine Mischung aus Mädchenhandel und Prostitution betreibt, ein König der Clochards sowie eine ganzes Figurenarsenal, das Lisa Eckhart auf- und abtreten lässt. Authentisch ist da nichts, alle handelnden Personen bleiben Papier. Die erzählende Stimme kommentiert das wilde Geschehen mit einer ermüdenden Parade an Aphorismen oder Bonmots. „Boum“ will vieles sein: Krimi, Satire, Pornografie, Zeitkritik. Ein schlüssiger Plot steht jedenfalls nicht an erster Stelle dieses Romans.

Die Suche nach sogenannten „Stellen“, um der Autorin nachzuweisen, dass sie nicht umsonst zur Gallionsfigur einer vor allem von Männern des Feuilletons angeführten „Freiheit der Kunst vs. Cancel Culture“ Debatte wurde, bleibt ergebnislos. Lisa Eckhart türmt für „Boum“ ihre ondulierten Sprachbilder so lange aufeinander, bis der Sinn einzustürzen droht. Ihre leicht verschrobene Hingabe an fast ausgestorbene Worte ist Geschmackssache. „Filous“ flanieren durch die „Damenwelt“ um sich eine „Dirne“ auszusuchen, „Clochards“ sitzen auf „Trottoirs“ oder in „Kaschemmen“, und statt des guten alten Penis, wird hier mit dem enervierenden Wort „Schweif“ operiert - und an Penissen mangelt es nicht in diesem Buch. Diese Sprache macht das Paris dieser Geschichte zu einem seltsam zeitlosen Ort, auch wenn Anspielungen auf aktuelle Ereignisse den Text eindeutig in der Gegenwart positionieren.

Cover on Lisa Eckharts "Boum"

Zsolnay

„Boum“ von Lisa Eckhart ist bei Zsolnay erschienen.

Das Paris von „Boum“ steckt voller Klischees: Eiffelturm, Mona Lisa, die Maler von Montmartre, Lisa Eckhart lässt kein Postkartenmotiv aus um ihre blutige Geschichte von Verführung, Terror und Patriachat „französisch“ einzufärben. Die Namen von U-Bahnstationen und Adressen schreibt sie genüsslich aus, die Autorin hat offensichtlich fleißig recherchiert. Hinter all diesen literarischen Manövern droht allerdings immer die Leere der Virtuosität. Es bleibt zu oft bei reinem Wortgeklingel und im Laufe der Lektüre nimmt man Sentenzen wie folgenden eher schulterzuckend zur Kenntnis: „Niemand erwischt ein Mädchen beim Weinen. Wenn man ein Mädchen weinen sieht, sieht man es, weil es das will. Mädchen weinen nur, wenn jemand dabei ist.“

Nach dem Beginn als Kriminalroman, dessen Plot sich allerdings bald im Sand der Handlungsstränge verläuft, nimmt „Boum“ an Fahrt auf mit der Geschichte von Aloisia und ihrem Weg zur sprach- und willenlosen „Hure“ – so wird das im Buch immer genannt. Es wird kopuliert und „felliert“, manchmal mehr, manchmal weniger freiwillig. Machtverhältnisse werden zementiert, einen Ausweg für Aloisia gibt es nicht. Das Frauenbild, das hier vermittelt wird, ist genauso zweidimensional wie das Comic-Cover des Buches.

Der Kalauer ist ein guter Freund von Lisa Eckhart. Die Zuhälterin etwa trägt den Namen Veuve Clicquot (Witwe Clicquot) und ein gewisser „Werner Subtext“ kommt auch vor, eine klare Anspielung an die „Vernon Subutex“ Romane von Virginie Despentes, die für „Boum“ genauso Pate gestanden sind wie die reaktionären Dystopien von Michel Houellebecq oder die feministischen Porno Etüden einer Elfriede Jelinek. Wer Lisa Eckhart verehrt, findet wahrscheinlich einen Zugang zu dieser barock überbordenden Wundertüte eines Romans. Alle anderen haben eine recht mühevolle Lektüre mit begrenztem Erkenntnisgewinn vor sich.

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