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Pumpen im Exzess: Wenn der Trainingsplan überhand nimmt

Eat. Sleep. Train. Repeat. Schweiß und Tränen sollen fließen, und never skip leg day. In der Fitnesswelt geht es um Disziplin, Leistung und - oft um die Optik. Aber was, wenn die Optik zum Problem wird und der Trainingsplan ins Extreme kippt. Das passiert bei der Muskeldysmorphie, einer verbreiteten, aber recht unbekannten Wahrnehmungsstörung.

Von Siri Malmborg

„Es wird nicht angesprochen, aber die meisten haben es vermutlich bis zu einem bestimmten Grad. Ich hatte es selber. Es entsteht vor allem am Anfang, wenn man trainieren geht und das alles auf Social Media vorgeschlagen bekommt.“ Laurin spricht von Muskeldysmorphie, auch Adoniskomplex genannt. Der Schüler trainiert regelmäßig im Gym und kennt das Gefühl, sich trotz intensiven Trainings zu dürr zu fühlen. Damit ist er nicht allein.

Muskeldysmorphie tritt besonders häufig bei jungen Männern auf. Betroffene sehen sich selbst als zu dürr und wollen immer mehr Muskeln aufbauen - kein Trainingserfolg ist gut genug. Ob Muskeldysmorphie zu den Wahrnehmungsstörungen oder zu den Zwangsstörungen zählt, darüber ist sich die Wissenschaft noch nicht ganz einig. Das eine schwappt ins andere über, oftmals entsteht auch noch eine Essstörung. Deshalb werden auch die Begriffe Biggerexie oder Reverse Anorexia verwendet.

Getting big

Alles dreht sich dann um den optimalen Muskelaufbau, die Ernährung und den Trainingsplan, sagt Psychiater Christof Argeny. Er ist ärztlicher Leiter von sowhat , einem Hilfszentrum für Menschen mit Essstörungen: „Es gibt Patienten, die gewisse Urlaube nicht mehr machen können, weil sie dort kein Fitnessstudio haben oder die massiven Leidensdruck entwickeln, wenn sie mal einen Tag mit irgendwelchen Trainingseinheiten aussetzen müssen.“ Es werde dann problematisch, wenn man nicht mehr frei ist in der Entscheidung, ob und wann man trainiert, sagt Christof Argeny.

In der Fitnesswelt dreht sich alles um Optimierung. Manchmal kommen sogar Anabolika ins Spiel - also Stoffe, die das Muskelwachstum krass fördern, aber viele negative Nebenwirkungen haben. Aber auch abseits des sogenannten Stoffens wird der Optimierungswahn unterstützt: Die Nahrungsmittelindustrie bietet Proteinshakes, leistungssteigernde Pulvernahrung und scheinbar jedes Lebensmittel jetzt auch in einer high-protein-Version. Fitness-Tracking-Apps versprechen den perfekten Trainingserfolg. Und auf Social Media werden unrealistische Körperbilder gepusht.

Für Christof Argeny ist diese Optimierung eine Falle: „Die Menschen, die im Bereich der Essstörungen arbeiten, reagieren besonders allergisch auf den Begriff Optimierung, weil genau das die Falle ist: mit sich nicht zufrieden sein, sich nicht akzeptieren können.“

Anerkennung statt Diagnose

Die Krankheit Muskeldysmorphie fällt aber oft nicht als solche auf. Der Gymrat-Lifestyle passt zu gut in unsere Leistungsgesellschaft: Für Disziplin beim Training erntet man Anerkennung. Sogar unter Ärztinnen und Ärzten ist Muskeldysmorphie wenig bekannt, sagt Christof Argeny. Deshalb ist Aufklärung wichtig, auch in Fitnessstudios. Christof Argeny fordert ein Umdenken in Hinblick auf Körperbilder: „Dass man da Druck rausnimmt und die Leute nicht in eine Störung hinein treibt durch falsche Tipps und Ratschläge.“

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