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Die Ärzte live beim Nova Rock 2023

FLORIAN WIESER / APA / picturedesk.com

festivalradio

Die Ärzte am Nova Rock 2023

Die Ärzte waren die Headliner am letzten, vierten Tag am Nova Rock 2023. Gedanken zur Show und den Kontroversen der letzten Tage.

Von Lisa Schneider

Jeden Tag sitz’ ich am Neusiedlersee, und ich hör’ nicht den Wellen, sondern schon wieder den Nachrichten zu. Vergangenen Dienstagabend sind Die Ärzte in Luxemburg aufgetreten und haben sich im Lauf des Konzerts mit geschmacklosen Witzen in Bezug auf K.O.-Tropfen, blaue Flecken und die causa Till Lindemann ein bisschen selbst ins Aus gespielt. Die Youtube-Videos des Auftritts, der besagte Passagen und auch die (ebenso) geschmacklose Umdichtung des Songs „Rock Rendezvous“ zeigt, sind natürlich längst schon wieder verschwunden, es ging dabei unter anderem um unsensible, um nicht zu sagen strohdumme Aussagen wie „ich hab’ schlimmere Dinge als blaue Flecken“.

Das ist alles auf mehreren Ebenen ärgerlich, zunächst ist es fürchterlich deppert. Als hätten wir nicht gemeinsam mit den Ärzten über die blödesten Witze gelacht, jahrelang, die sich halt aber eben dadurch ausgezeichnet haben, sich entweder selbst „ans Bein zu pissen“ oder Stellung zu nehmen zur aktuellen politischen Situation. 2019 sind die Ärzte das letzte Mal am Nova Rock Festival aufgetreten, Bela B. damals im glitzernden Sakko und Ibiza-T-Shirt, so groß haben sie selten gegrinst. Hallo, wir sind Österreich, die politischen Steilvorlagen kriegst du nirgends so billig wie hier.

Die Ärzte live beim Nova Rock 2023

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Die Ärzte waren als Band immer ein Wir-gegen-die-da-oben, auf eine ursprüngliche, natürlich links positionierte, liebevolle Art und Weise. Das sind drei kluge Köpfe, die sonst auch mal Theater spielen oder Bücher schreiben, und gerade die sollten wissen, wie man mit Worten umgeht. Wissen sie zwischenzeitlich offenbar eh und reflektieren den eigenen Bandkatalog, wenn etwa Fanwünsche auf die Bühne gerufen werden, spielen sie Songs wie „Elke“ nicht mehr. Laut Eigenaussage weil der Text „Fatshaming und Antifeminismus“ propagiert. Und falls sich jemandem jetzt das Wörtchen „woke“ im Mundwinkel kräuselt: das hat damit gar nichts zu tun. Den jungen Frauen, die den Mut aufgebracht haben, mit den Vorwürfen gegen Till Lindemann an die Öffentlichkeit zu gehen, ist wenn schon nicht Unterstützung, dann Respekt entgegenzubringen. Das hat nichts mit moralischer Überlegenheit zu tun, sondern mit genau dem Humanismus, den die Ärzte sonst immer in die Auslage gestellt haben.

Die Ärzte live beim Nova Rock 2023

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Bleiben wir bei ärgerlich. Wieso sollen Fans für die scheinbare, weil zumindest hier jetzt zur Schau gestellte Unreife ihrer Bands einstehen müssen. Sie reden immer groß und gut davon, dass die Musik, wenn mal draußen, „den Menschen gehört“. Die einzige Möglichkeit aber, die sich in Form der Solidarisierung anbietet, ist, sich genau diese Musik nicht mehr anzuhören. Die Musik, auf der vielleicht eine ganze Teenagerzeit und zahllose unentbehrliche Erinnerungen gründet. Nicht falsch verstehen: die Ärzte haben gewitzelt, niemand wurde hier gecancelt. Soll sich aber am System überhaupt was ändern, können sie sich - kann sich niemand - solcherlei Späße leisten.

Manche Bands sind deshalb so gut, weil jede*r, egal, wen man fragt, eine Geschichte zu ihr oder über sie zu erzählen hat. Und die kann dann oft auch mal nur auf diese wenigen Worte lauten: „Sind das die mit dem „Arschloch“-Song?“ Ja, das sind sie. Sie sind das mit dem Wannsee-Song, die mit dem „Monsterparty“-Song, die mit dem „langweiligen“ Song, die mit den „unrockbaren“ Songs, die mit der „Banane“.

Die Ärzte live beim Nova Rock 2023

FLORIAN WIESER / APA / picturedesk.com

So viele Menschen, so viele Fans, so viele Zugänge, es ist Festival Tag 4, wieso nicht ein bisschen oversharing betreiben. Ich war einmal zwölf Jahre alt, Robbie war gut vorne dabei in der damaligen Hitliste, dann aber eines Tages, Familienautofahrt und Tankstellenstopp, CD bei Papa im Auto gefunden. „Die san ganz gut, hab’ ich auf MTV gesehen“, es handelt sich um die beste Ärzte-Platte der Welt, nämlich das Konzert Rock’n’Roll Realschule, eine Unplugged-Session. Und das war’s. Es gibt diese CDs, Platten, Playlists, bei denen man nicht nur jedes Wort, sondern auch jedes Zwischengeräusch, jede Klingel und Fahrradhupe, die sich Bela B. dämlich- und hinreißenderweise aufs Drumset geschnallt hat, jedes „Hihihi-hiiiii“ von einem strahlend durchblondierten Farin, jedes Klatschen, jeden Zwischenwitz, alles eben, auswendig kennt.

Und die Lieder müssen dabei ja nicht einmal besonders gut sein. In einer ganz seltsamen Vermengung von Adoleszenzschmerzen und Geschmacksentwicklungen begleiten einen bestimmte Bands, sie fallen einem vielleicht sogar einfach mal in den Schoß. Dieser Ärzte-Auftritt am Nova Rock gibt schon allein deshalb auch einen Denkanstoß in Richtung: Wie sollen Konzert- oder überhaupt Musikreviews aussehen, wenn immer öfter die Frage nicht nur nach dem objektiv besten Lied (gibt’s nicht), sondern die der moralischen Pflicht oder Aufgabe im Raum steht. Eh schon wieder ärgerlich, und die Frage gilt: Wie komm ich eigentlich dazu?

Die Ärzte haben am heurigen Nova Rock Festival keine Interviews gegeben, offizielles Statement gab’s keines.

Besucher*innen von hinten im Gatsch am Nova Rock 2023

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