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Überschwemmung in Ahrweiler, Deutschland 2021. Haushälfte in den Fluten

APA/AFP/Bernd LAUTER

Was bringt uns die Erkenntnis von „Klimaungerechtigkeit“?

Die deutsche Physikerin Friederike Otto ist einer der „Stars“ der Klimawissenschaften. Ihre These: Der Klimawandel alleine macht oft noch keine Katastrophe. Die entsteht vor allem durch soziale Komponenten und Ungerechtigkeiten.

Von Simon Welebil

Friederike Otto ist eine der Begründerinnen der „Attributionsforschung“, die berechnet, welchen Anteil der Klimawandel an Extremwetterereignissen wie Hitzewellen, Dürren oder Fluten hat. Das passiert, indem grob gesagt zwei Welten simuliert werden, eine mit und eine ohne den menschgemachten Klimawandel, die dann verglichen werden.

Für die verheerenden Buschbrände in Australien 2019/20, bei denen über 6.000 Gebäude in Flammen aufgegangen und mindestens eine halbe Milliarde Wild- und Nutztiere verendet sind, zeigt eine Analyse von Otto und ihren Kolleg:innen, dass solch massive Brände aufgrund des Klimawandels um 30% wahrscheinlicher geworden seien. Eine weitere zum Starkregenereignis im deutschen Ahrtal, wo 2021 bei Überflutungen 180 Menschen gestorben sind, zeigt, dass solche Regenmassen durch den Klimawandel neunmal wahrscheinlicher geworden sind.

Buchcover von Friederike Ottos "Klimaungerechtigkeit"

Ullstein Verlag

„Klimaungerechtigkeit. Was die Klimakatastrophe mit Kapitalismus, Rassismus und Sexismus zu tun hat“ von Friederike Otto ist im Ullstein Verlag erschienen.

Klimawandel ist nicht an allem Schuld

In ihrem neuen Buch „Klimaungerechtigkeit“ geht es Friederike Otto aber nicht mehr unbedingt darum, den Anteil des Klimawandels an Extremwetterereignissen hervorzuheben. Fast ungewöhnlich für eine Klimawissenschaftlerin geht sie weg von den physikalischen Grundlagen und will zeigen, dass der Klimawandel nicht alleine Schuld an „Naturkatastrophen“ hat. Denn das meiste, das wir „Naturkatastrophen“ nennen, würde erst durch soziale Komponenten zu Katastrophen werden, sei es fehlende Infrastruktur, fehlende Katastrophenpläne, mangelnde Kommunikation u.s.w.

In acht Kapiteln führt uns Friederike Otto durch die Welt, von Hitzewellen in Nordamerika und Westafrika über Dürren in Südafrika und Madagaskar, riesigen Bränden in Brasilien und Australien zu Überflutungen in Deutschland und Pakistan. Überall zeigt sie, wie sich der Klimawandel für die Menschen anfühlt. Das Erforschen von Extremwetterereignissen sei, wie mit einer Lupe auf eine Gesellschaft zu blicken, meint Otto. Und dabei erkennt sie immer wieder eine große Ungerechtigkeit. Die Folgen des Klimawandels zahlen überall diejenigen, die am wenigsten haben, sei es Vermögen oder Zugang zu Informationen.

Das „kolonialfossile Narrativ“

Hinter dieser Ungerechtigkeit, und auch hinter dem Klimawandel an sich, macht Friederike Otto eine große wirkmächtige Erzählung aus, die sie „kolonialfossiles Narrativ“ nennt, wohlwissend, dass dieser Begriff nur verkürzt sein kann. Es fußt für sie auf der Idee, „dass das Verbrennen fossiler Brennstoffe für den Erhalt dessen, was wir als Wohlstand bezeichnen, unerlässlich und ‚Freiheit‘ mit Tempolimit unmöglich sei.“ Nur Kohle, Öl und Gas hätten uns Demokratie, Wohlstand und Wohlfahrtsstaat gebracht und würden diese auch garantieren. Selbst wenn das inzwischen überholt sei, würde das Narrativ immer noch wirken.

„Der Klimawandel ist kein unverschuldeter Schicksalsschlag, er ist vor allem Unrecht. Das zu verstehen ist fundamental.“

Das zu erkennen sei ein großer Schritt dahin, Positionen in der Klimapolitik in Frage zu stellen. Etwa die berühmte 1,5°- bzw. 2°-Grenze an globaler Erhitzung des Pariser Klimaabkommens: „Die magischen 1,5° sind ein Kompromiss. Ein Kompromiss zwischen Toten, Schäden und Verlusten auf der einen Seite und Profiten aus dem Verbrennen fossiler Brennstoffe auf der anderen. Sie sind ein politisches Ziel. Sie bezeichnen keine physikalische, sondern eine soziale Grenze.“

Friederike Otto zeigt in „Klimaungerechtigkeit“, dass es nicht reicht, den Klimawandel allein als Problem der Physik zu begreifen, wie es vielfach gemacht wird, weil das viele Auswirkungen nicht im Blick hat. Sie will den Klimawandel anders erzählen: Als Gerechtigkeitskrise, die hinter der Klimakrise steht, und die wir erst bekämpfen können, wenn wir sie als solche erkannt haben. Extremwetterereignisse sind für sie dabei „teachable moments“, Zeitpunkte, an denen wir etwas besonders gut und leicht lernen können.

Neue Narrative für die „Klimagerechtigkeit“

Auf die Gerechtigkeitskrise soll, wenn es nach Friederike Otto geht, „Klimagerechtigkeit“ folgen, was bedeutet "die Rechte der am stärksten gefährdeten Menschen zu schützen, indem die Lasten des Klimawandels und seiner Auswirkungen gerecht und auf alle Teile einer Gesellschaft verteilt werden“. Sie spricht sich deshalb auch für einen hoch dotierten internationalen Fonds ein, der Schäden und Verluste abgelten soll, zusätzlich zu Investitionen, die uns helfen, die Folgen des Klimawandels zu bewältigen.

Und was es auch braucht, um den Klimawandel effektiv zu bekämpfen, sind neue Narrative, die das kolonialfossile Narrativ ablösen. Denn für die allermeisten Menschen würden sinnvolle Maßnahmen gegen den Klimawandel eine höhere Lebensqualität mit sich bringen, von mehr Gesundheit zu besseren Häusern, mehr Schmetterlingen und Bienen zu grüneren Städten. Damit diese Visionen nicht als Verzicht oder Angriff auf unsere Werte und Traditionen empfunden werden, müssen sie gut erzählt werden. Wie das genau geht, darüber sollen sich andere den Kopf zerbrechen, Friederike Otto will uns in „Klimaungerechtigkeit“ jedenfalls sagen, dass wir vor dem Klimawandel nicht in Panik geraten und den Kopf in den Sand stecken müssen, sondern ganz viel Handlungsmacht und Handlungsfähigkeit haben.

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