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Landschaft

Valerie Kattenfeld

Weltreise

Na klar

Wie ich auf Sri Lanka in eine Touristenfalle geriet und auf die Vertrauensprobe gestellt wurde.

Von Valerie Kattenfeld

Dahl-Leibchen-Verkäufer

Valerie Kattenfeld

Die Geschichte beginnt im Zug von Colombo nach Alathagama. Im letzten Moment springe ich hinein, wühle mich durch und finde in der zweiten Klasse sogar einen Fensterplatz. Es gibt kein Airconditioning, aber die Fahrtluft macht das wieder wett. Ich habe nichts Wichtigeres zu tun, als aus dem Fenster zu schauen. Immer wieder gehen Verkäufer mit Körben vorbei, darin sind Äpfel oder frittierte Dahl-Laibchen. Meine durstigen Hoffnungen werden hingegen leider nicht erfüllt.

Nach etwa einer Dreiviertelstunde steht ein Mann im Gang. Um die fünfzig, kariertes Hemd und ein knolliges Gesicht. Über den Kopf meines Sitznachbarn hinweg spricht er mich an, fragt nach meiner Herkunft. Als ich Österreich sage und schon hinzufügen möchte, „NICHT Australien“, nickt er eifrig und sagt, er kommt aus Schärding. Ich packe es nicht. Unser Gespräch wechselt die Sprache und er tischt mir eine ganze Palette Österreichisch auf: „Servus, schau ma mal, gemma-gemma“. Nandi, so stellt sich der Mann mit dem schütteren Haar und stechenden Augen vor, habe in Bayern am Goethe Institut Deutsch gelernt und lebe seit drei Jahren in Schärding. Jenem Ort, an dem meine Freundin Natalie Ananda Assmann soeben ein Kulturfestival organisiert hat. Die Pressekonferenz hat im Wirtshaus „Zur Bums’n“ stattgefunden. (Bis heute hofft sie, „dass es nicht das bedeutet, was man sich drunter vorstellt“.) Ich frage Nandi, ob er die „Bums’n“ kennt - er wiederholt freudig „Die Bums’n, na sicher!“. Finde ich ur-leiwand.

Touristen am Bahnhof

Valerie Kattenfeld

Was er nun hier in Sri Lanka macht? Er besuche seine Eltern, sagt er. Mit dem Zug bis Ambalangoda und dann eineinhalb Stunden mit dem Bus in den Dschungel. Übrigens gäbe es in Ambalangoda die beste Lagune von Sri Lanka. Mit einer netten Bootstour durch die Mangroven. Ob ich die nicht gleich heute mit ihm machen möchte? An diesem Tag habe ich schon etwas vor, aber der nächste geht. Wir verabreden uns am Bahnhof von Ambalangoda. Er würde wieder mit dem selben Zug kommen wie heute, Ankunft ca. 12:30. Ich wundere mich etwas, dass er wieder nach Colombo zurückfährt, wo er doch soeben herkommt, um seine Eltern zu sehen. Aber ich frage nicht weiter nach.

Obwohl Nandi kein Typ ist, den ich angesprochen hätte, freue ich mich, einen Landsmann gefunden zu haben, mit dem ich etwas unternehmen kann. Der Landsmann ruft mich in den nächsten vierundzwanzig Stunden mehrfach an, um nachzufragen, ob ich eh sicher komme. Ich verstehe nicht, wieso er so nervös ist. Wieso sollte ich nicht kommen? Als ich zwei Stunden vor dem Treffen wieder einen Anruf in Abwesenheit sehe, rufe ich nicht zurück. Ich finde das nervig und lächerlich.

Liegender Buddha

Valerie Kattenfeld

Ziemlich pünktlich um zwölf Uhr dreißig trifft der Zug ein. Er schlendert heraus, in Hemd und langer Hose. „Also, was mach ma?“, fragt Nandi. Am Vortag hatte er die Schildkrötenfarm vorgeschlagen. In der Zwischenzeit habe ich von einem 45 Meter langen liegenden Buddha gehört. Nandi schlägt ein Programm vor: Buddha, Bootstour in der Lagune, Schildkröten, Ayurveda-Behandlung. Bis auf letzteres stimme ich zu. Wir brauchen einen Tuk-Tuk-Fahrer, der uns überall hinbringt. Das kostet 4.000 Rupiah, sagt Nandi, also 2.000 für mich und 2.000 für ihn. Das entspricht etwa 18 US$ pro Nase. Für ein komplettes Nachmittagsprogramm hört sich der Preis ok an. Nandi steuert auf ein Tuk-Tuk zu, wir steigen ein und besichtigen den Buddha.

Mangroven

Valerie Kattenfeld

Der nächste Stopp sind die Mangroven. Kurz bevor wir ankommen, verkündet Nandi, dass er mit unserem Fahrer mittagessen geht, solange ich auf dem Boot bin. Ich bin überrascht. Ich dachte, das wäre ein Tagesprogramm, das wir gemeinsam als Freunde unternehmen. Er meint, er hätte die Tour schon so oft gemacht. Nandi bietet seine Hilfe an, um einen guten Preis für mich auszuhandeln. 8.000 Rupiah verlangt die Frau am Eingang. Nandi sagt 6.000 und sie willigt sofort ein. Ich wundere mich, da Preisverhandlungen normalerweise ein passionierteres Hin und Her mit sich bringen. Ich finde es immer noch zu teuer und schlage 3.000 vor. Nandi beschwichtigt mich - 6.000 sei ein sehr guter Preis und ich solle sie nicht verärgern. Weiteres Verhandeln wäre respektlos. Als ich die Tour schließlich für 5.000 Rupiah antrete, kann ich die überall aus dem Wasser ragenden Wurzeln und die märchenhaften Blätterdächer über dem Wasser nicht voll genießen. Irgendwas schmeckt hier komisch.

Kaum komme ich zurück, will mich Nandi zu den Schildkröten schleppen. Aber ich bin pleite. Vor meiner Unterkunft steige ich aus dem Tuk-Tuk, zahle meinen „Anteil“ und möchte noch ein Erinnerungsselfie mit Nandi machen. Er ist unwirsch und linst dauernd auf die Uhr. „Schnell, schnell“, zischt er, „ich muss zum Zug!“

Valerie und Nandi

Valerie Kattenfeld

Als ich die Haustür aufsperre, spricht mich ein anderer Tuk-Tuk-Fahrer an. Fragt mich, ob ich gerade den ganzen Tag Touristenprogramm für einen stolzen Preis gemacht hätte. „Ja“, antworte ich, woher er...?

Ich werde darüber aufgeklärt, dass ich Opfer eines ausgeklügelten Systems wurde. Nandi, sein Bruder (unser Tuk-Tuk-Fahrer) und eine Handvoll andere warten vier Mal pro Tag auf die Züge, die neue Touristen anspülen. Die ganz Klugen (wie Nandi) steigen schon ein paar Orte vorher in den Zug ein und klappern die weißen Passagiere ab. Am Bahnhof wird den Neu-Ankömmlingen ein Tour-Paket verkauft und sie werden sofort samt Rucksack ins Tuk-Tuk verfrachtet. Sie haben keine Zeit, sich nach dem gängigen Preis zu erkundigen, und zahlen wie ich das Dreifache. Die Bootstour kostet normalerweise 2.000 Rupiah. Alles darüber hinaus war Nandis Provision.

Ich fühle mich richtig mies. Getäuscht, ausgenommen und dumm. Ich hatte eine Ahnung, aber ich habe sie ignoriert. Das verschleuderte Geld ist weniger tragisch als die bittere Erkenntnis, jemandem vertraut zu haben, der einen von Anfang an nur ausnehmen wollte.

Ich bin eine Zeit lang grantig, aber lasse dann wieder los. Sri Lanka ist ein superschönes Land und es wäre schade, sich wegen einer Geschichte die gute Laune verderben zu lassen. Hat sich meine Einstellung zu anderen Menschen verändert? Bin ich misstrauischer geworden?

Die Stadt Wellawaya stellt mich auf den Prüfstand. Ich will dort eigentlich nur umsteigen, um zu dem fantastischen Bergdorf Ella zu fahren. Leider verpasse ich den Bus. Ich frage den Busbahnhofsvorsteher nach dem nächsten und bekomme zusätzlich zur Uhrzeit eine überraschende Alternative zum Warten vorgeschlagen: Ganz in der Nähe gebe es einen kleinen Wasserfall und wir könnten jetzt gleich mit seinem Auto dort hinfahren...

Na klar.

Na klar ist „Sicher nicht!“ meine erste Reaktion.

Andererseits... Ich habe acht Stunden Busfahrt hinter mir. Mir ist heiß, meine Hose klebt am Hintern. NICHTS wäre jetzt besser als in einem Waldteich zu plantschen und wieder mal von einem Felsen zu springen. Ich schaue dem Typen, Bundi heißt er, prüfend in die Augen. „Can I trust you?“ „Yes, you can trust me. Everybody knows me here.“ Was er denn als Gegenleistung erwarten würde? „You can buy us two beers. You drink beer?“ Er bemerkt meine Skepsis und bietet mir an, ein Foto von ihm mit seinem Nummernschild zu machen und es an einen Freund zu senden. Okay. Das heißt wohl, das wird nicht der letzte Tag meiner Weltreise gewesen sein. „Let’s go“, höre ich mich sagen.

Badende

Valerie Kattenfeld

Eine halbe Stunde und viele Schritte über einen komplizierten Steinweg später bin ich da. Und es ist genauso paradiesisch, wie ich es mir vorgestellt habe. Nein, eigentlich noch besser. Wir sind mitten im Wald an zwei großen Wasserbecken, von denen das eine in das andere fließt. Die Abendsonne malt tausend kleine Sprenkel an die Stämme der dicken Bäume. Wir rasten auf warmen Steinen und halten die Füße ins Wasser, in dem winzige Fische uns alte Hautreste von den Fersen nagen. Das angenehme Kribbeln kenne ich aus Mexico, nur dass ich damals dafür bezahlt habe. Eine Gruppe Schuljungs tollt herum. Sie lassen ihre kleinen Körper unermüdlich ins Wasser platschen. Lauthals lachend im Tropfenhagel tauchen sie in einer Tour auf und ab. Der Ort, an dem ich nur umsteigen wollte, lädt zum Bleiben ein und begeistert mich sogar noch am nächsten Tag mit einer surreal schönen Landschaft. Gut, dass ich das nicht verpasst habe.

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