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Linker Fernerkogel mit Gletschern

WWF/Vincent Sufiyan

Was ist der Preis für das „größte Gletscherschigebiet der Welt“?

Die Ötztaler und Pitztaler Gletscherbahnen wollen das „größte Gletscherschigebiet der Welt“ errichten und dafür zum ersten Mal seit Jahrzehnten unverbaute Gletscher erschließen. Liliana Dagostin vom Österreichischen Alpenverein erklärt im Interview aus ihrer Sicht, warum die Projektbetreiber damit das Augenmaß verloren haben.

Von Simon Welebil

Wenn es um die Erweiterung oder Neuerschließung von Schigebieten geht, gehen in Tirol regelmäßig die Wogen hoch, weil hier zwei konkrete Interessen der Tiroler Bevölkerung direkt aufeinandertreffen: Tourismus und Naturschutz. Laut einer Studie gehen 23,9% der Tiroler Bruttowertschöpfung direkt, indirekt und induziert auf den Tourismus zurück. Dessen Grundlage ist die beeindruckende und intakte Naturlandschaft.

  • Die umstrittenen Ausbauprojekte von Schigebieten in Tirol im Überblick (Stand: vor den Landtagswahlen 2018)

Ein Projekt bietet seit Jahrzehnten besonderen Stoff für Diskussionen, die von den Betreibern, den Ötztaler und Pitztaler Gletscherbahnen, als „Gletscherehe“ gepriesen wird und mit der sie ihre beiden Schigebiete zusammenschließen wollen. Der Haken dabei: Dieser Zusammenschluss soll drei neue, bisher unberührte Gletscher, den Mittelbergferner, Hangender Ferner und Karlesferner rund um den Linken Fernerkogel in den Ötztaler Alpen zu Schipisten machen. Naturschützer*innen sehen darin einen unumkehrbaren Eingriff in nahezu ursprüngliche Naturlandschaft.

Das politische Hin- und Her mit dem Gletscherschutz

Die aktuellen Gletscherschigebiete in Österreich sind in den 1970er und 1980er Jahren errichtet worden. Nach dieser ersten Erschließung sind die unverbauten Gletscher in den 1990ern unter absoluten Schutz gestellt worden. 2006 hat die damals schwarz-rote Tiroler Landesregierung ein Raumordnungsprogramm erlassen, das diesen Schutz aufweicht und für bestehende Gletscherschigebiete Erweiterungsmöglichkeiten vorsieht. Ironischerweise trägt dieses Raumordnungsprogramm den Titel „Gletscherschutzprogramm“.

2006 wurde in Tirol der Gletscherschutz aufgeweicht, unter anderem für die Verbindung zwischen den Ötztaler und Pitztaler Gletscherschigebieten. 120 Millionen Euro wollen die Projektbetreiber investieren, um rund um den Linken Fernerkogel in den Ötztaler Alpen drei Seilbahnen zu errichten, eine multifunktionale Berg- und Talstation mit Restaurant, einen riesigen Speicherteich, einen 614 Meter langen Tunnel für Skifahrer*innen und schließlich 64 Hektar neue Pisten auf Gletschereis. Das ergäbe gut doppelt so viel Pistenfläche als im gesamten (eher kleinen) Schigebiet Semmering - in etwa die Fläche von 90 Fußballfeldern.

Pläne für das Liftprojekt

Allianz für die Seele der Alpen

Investieren in die touristische Zukunft

Die Projektbetreiber versprechen sich von diesem Zusammenschluss langfristig eine Umsatzsteigerung von 15% und erhoffen sich vor allem für das Pitztal touristische Impulse. Die stagnierende Region soll gestützt werden. Damit wird allerdings auch weiterhin auf den ressourcenintensiven Schi-Massentourismus gesetzt, was von vielen Seiten kritisiert wird.

An einem Projekt dieser Größenordnung kommt die Politik natürlich nicht vorbei. Die ÖVP unter dem Tiroler Landeshauptmann Günther Platter steht hinter dem Projekt, wie auch die FPÖ und die SPÖ. Die Grünen, die Teil der Regierung sind, sind skeptisch, im Koalitionsvertrag 2018 haben sie das Projekt außer Streit stellen müssen, d.h. sie werden sich der Entscheidung im Umweltverträglichkeitsverfahren beugen. Voll dagegen ist nur die Liste Fritz.

Etwa 8.000 Seiten Projektunterlagen sind in den letzten drei Jahren für die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) eingereicht worden, jetzt ist das Verfahren zugelassen und die Behörden beginnen nun mit Gutachten von Sachverständigen. Danach kommt es zu einer mündlichen Verhandlung. Egal wie die Prüfung ausfällt, sie wird wohl auf jeden Fall beeinsprucht werden.

Interview mit Liliana Dagostin

Das Projekt Seele der Alpen, ein Zusammenschluss der beiden alpinen Verbände Österreichischer Alpenverein und Naturfreunde mit dem WWF, der sich für den Erhalt unverbauter Naturflächen einsetzt, hat bereits angekündigt, sich wortstark in die Verhandlungen zur UVP einzubringen. Liliana Dagostin ist die Leiterin der Abteilung Raumplanung und Naturschutz beim Österreichischen Alpenverein und befasst sich seit Jahren kritisch mit der Zusammenfassung der Pitztaler und Ötztaler Gletscherschigebiete.

Liliana Dagostin

Simon Welebil / Radio FM4

Simon Welebil: Warum ist das Projekt „Seele der Alpen“ gegen diese Verbindung?

Liliana Dagostin: Als Österreichischer Alpenverein versuchen wir gemeinsam mit dem Deutschen Alpenverein (DAV) schon seit fast hundert Jahren, diese Entwicklungen zu mehr intensiver Nutzung von alpinen Räumen zu hinterfragen. Wir haben den Naturschutz seit 1927 in unserer Satzung und seither versuchen wir zu kritisieren, wenn es zu einem MEHR in den Bergen kommt. Dabei geht es um anlagenbezogenen Tourismus: Schigebiete, Bergstationen, Pisten, Speicherseen.

Überschaubar sind diese Maßnahmen nur aus der Vogelperspektive.

Dieser Zusammenschluss ist für uns der Inbegriff dafür, dass man das Augenmaß verliert. Das sagen nicht nur wir von der „Allianz für die Seele der Alpen“, das sagt vor allem der DAV, unser Partnerverein, der dort oben das Arbeitsgebiet unterhält. Uns geht es einerseits um den Erhalt von majestätischen Bergwelten für den extensiven Tourismus, auf der anderen Seite geht es um den Erhalt von Gletscherflächen. Dem müssen wir uns alle stellen, in Zeiten des Klimawandels. Ist das Errichten von großen Anlagen, die Nutzung von 64 Hektar Gletscherflächen für Pisten – ist das die richtige Antwort, die richtige Anpassungsstrategie an den Klimawandel? Wir gehen davon aus, dass das eine falsche Anpassungsstrategie ist und deshalb sind wir auch gegen diesen Zusammenschluss.<<

Was sind eure Befürchtungen, die mit dem Projekt einhergehen können?

Aus einer alpintouristischen Sicht ist es natürlich die Abwertung des Landschaftsraumes. Es sind Flächen, die bisher vom Menschen kaum genutzt werden. Die Landschaft wird danach eine vom Menschen geprägte sein. Es wird ein Grat abgetragen, der wird danach 40 Höhenmeter tiefer sein, weil er einer Mittelstation weichen wird. Es werden Straßen in dieses alpine Urgelände gesprengt, es werden Tunnelröhren durchgebrochen. Es wird sich die gesamte Landschaft eigentlich verändern. Die zweite Befürchtung, die wir haben, die wir aber in erster Linie an die Einheimischen weitergeben müssen, wird der Verkehr sein. In den Unterlagen zu diesem Projekt findet sich ein Verkehrszuwachs in den nächsten zehn Jahren von annähernd 30%. Ein Teil davon wird tatsächlich auf diese Schigebietserweiterung zurückzuführen sein. Wir fragen uns, ob das in einem verkehrsgeplagten Raum, wie es das Ötztal ist, tatsächlich die richtige Antwort ist auf eine touristische Entwicklung, die wir vermutlich brauchen, aber in dem Raum nicht so intensiv, wie sie jetzt geplant ist.

Die Projektbetreiber betonen die Notwendigkeit einer touristischen Weiterentwicklung und sprechen von überschaubaren Dimensionen des Projekts. Können Sie dem nichts abgewinnen?

Überschaubar sind diese Maßnahmen nur aus der Vogelperspektive, weil man da einen Blick auf dieses Gelände bekommt. Wenn man auf der Braunschweiger Hütte (mitten im geplanten Erweiterungsgebiet, Anm. d. Red.) steht, dann sieht man, dass man hier das Augenmaß definitiv verloren hat. Es geht hier definitiv nicht mehr um überschaubare Inanspruchnahmen, es geht um 64 Hektar reine Pistenflächen. Dazu kommen noch etliche Hektar an Geländeveränderungen. Also von überschaubar ist hier keine Rede. Eine touristische Weiterentwicklung soll’s natürlich geben. Wir sehen in diesem Bereich, dass der Sommertourismus boomt. Wir sind in dem Gebiet, das zumindest zwei Etappen des Weitwanderweges von Oberstdorf nach Meran abdeckt, einem jener Weitwanderwege, die wirklich boomen. Das ist ein touristisches Potenzial, das wir erkennen, vor allem für das Pitztal, das ja noch sehr naturbelassen ist. Das wird tatsächlich leichtfertig aufs Spiel gesetzt und das finden wir nicht so klass.

Wenn wir von Investitionen in die Zukunft sprechen, muss man auch über das Schmelzen der Gletscher sprechen.

Das ist tatsächlich auch eine spannende Frage, die sich uns stellt. Was passiert mit einem Gletscherschigebiet, wenn es uns nicht gelingt, die Klimaziele zu erreichen – wenn die Gletscher tatsächlich, wie es prognostiziert wird, abschmelzen. Dann ist das Gletscherschigebiet ein Schigebiet, das ohne Gletscher auskommt.

Die Projektbetreiber argumentieren auch, dass der aktuelle Trend beim Schifahren in Richtung mehr Pistenkilometer geht und die Seilbahnen deshalb da mitmachen müssten. Können sie diese Notwendigkeit nicht nachvollziehen?

Die Betreiber dieser beiden Schigebiete picken sich recht häufig aus den Statistiken das heraus, was ihnen gelegen kommt, um dieses Projekt zu rechtfertigen. Wir wissen, dass es verschiedene Nutzer*innengruppen gibt, verschiedene Bedürfnisse von schifahrenden Menschen – deren Anzahl im Übrigen stagniert. Es gibt die Pistenkilometerfresser und diejenigen, die es eher gemütlicher angehen. Beide Schigebiete laufen gut.

Das ist eigentlich nur ein Wettbewerb um Superlative: höher, schneller weiter.

Wer kann das größte Superlativ auf die Waagschale bringen? Eigentlich geht es nur darum. Es geht um einen Marketingsprech und genau den wollen wir kritisch hinterfragen: Ist es tatsächlich die „Gletscherehe“, das „größte Gletscherschigebiet der Welt“, oder ist es einfach eine Landschaftszerstörung in einem Ausmaß, das die Welt noch nie gesehen hat?

Jetzt haben die Projektbetreiber die Unterlagen zur UVP eingereicht, was sind die nächsten Schritte in diesem Verfahren?

Mit der öffentlichen Auflage der Unterlagen kommen jetzt endlich auch wir als beteiligte Öffentlichkeit zu Wort. Wir haben uns sehr früh zu einem Statement gegen dieses Projekt durchgerungen. Wir wollten das Verfahren nicht abwarten. Denn es gibt natürlich das Recht und es gibt auch den Anstand. Und hier hat man den Anstand eigentlich aus den Augen verloren, wie man das Augenmaß aus den Augen verloren hat. Wir wollen uns in die anstehende mündliche Verhandlung wortgewaltig einbringen. Wir werden den Bescheid – sofern er positiv sein sollte – bekämpfen und wir werden auch bis zum Bundesverwaltungsgericht unsere Bedenken gegen eine Gletscherverbauung ganz lautstark formulieren.

Gibt es schon Prognosen, wie diese Umweltverträglichkeitsprüfung ausgehen könnte?

Die Projektbetreiber gehen natürlich davon aus, dass ihr Projekt umweltverträglich ist und eigentlich nur ein kleiner Punkt in einer unversehrten Landschaft. Wir sehen das etwas anders. Wie das Verfahren ausgehen wird, das vermag ich nicht vorauszusehen. Was wir allerdings sagen können, ist, dass 97% aller Verfahren im ersten Instanzenweg bewilligt werden.

Das Verfahren zur UVP läuft, gleichzeitig setzen Sie auf politische Aktionen. Ist die politische Meinungsbildung zum Projekt denn noch nicht abgeschlossen?

Die politische Meinungsbildung ist aus meiner Sicht abgeschlossen. Leider nicht zugunsten dieses Landschaftsraums. Ich gehe aber davon aus, dass sich das noch ändern lässt – und darauf hoffen wir.

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