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Ein Foto von einer Sowjet-Statue in Sofia

APA/AFP/Dimitar DILKOFF

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Der Soldat in der Sonne

Seit den 1990er Jahren wird in Sofia über ein sowjetisches Denkmal gestritten. Schützen, abmontieren oder einfach ignorieren?

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Ich betrachte den Sonnenaufgang mit einer Gruppe von Menschen, die ich erst gestern Abend kennengelernt habe. Wir sitzen ganz romantisch am Sockel des Denkmals der sowjetischen Armee in Sofia.

Ähnlich wie andere solche stalinistische Denkmäler ist auch dieser überwältigend groß. Ein Riesensoldat hält ein Maschinengewehr in die Höhe und ist bereit jeden Feind zu erschießen. In den letzten 30 Jahren wird immer wieder darüber gestritten, ob im Zentrum der bulgarischen Hauptstadt ein Denkmal der sowjetischen Armee stehen soll. Denn die sowjetische Armee brachte mit ihrer Befreiung auch Diktatur und Represionen. Anfang der 1990er Jahre wurde von der Stadtverwaltung entschieden, dass das Denkmal entfernt werden soll. Dagegen protestierte die russische Regierung, die meinte, dass das Denkmal ein Zeichen der Befreiung Bulgariens vom Faschismus sei.

Heute ist das Denkmal immer noch da und es gibt immer wieder neue Ideen, was man damit machen soll: ein riesiger Brunnen vor ihm bauen, damit man den Soldaten nicht sieht (so wie beim ähnlichen Denkmal in Wien), das Denkmal unter einem riesigen künstlichen Hügel verstecken und jeder, der ihn sehen will muss reingehen, das Denkmal gänzlich entfernen und ein Museum des Totalitarismus aufstellen. Seit Jahrzehnten wird darüber diskutiert.

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In der Zwischenzeit wurde das Denkmal von Straßenkünstlern entdeckt. Vor einigen Jahren wurden die Soldaten auf der einen Seite des Denkmals als Superhelden von amerikanischen Comicbüchern übermalt. “Mit der Zeit gehen” stand darunter. Als in Russland die Mitglieder der Band “Pussy riot” verurteilt wurden, erwachten die Soldaten am Denkmal mit bunten Kapuzen am Kopf. Letztes Jahr als der Jahrestag des Prager Frühlings gefeiert wurde, schrieb jemand am Denkmal, dass er sich bei den Tschechen entschuldige. Die Soldaten wurden auch schon mit der ukrainischen Flagge bemalt. Jedes Mal reagierte die russische Botschaft empört über den Vandalismus.

Genau auf diesem Denkmal warten wir auf den Sonnenaufgang. Zehn Minuten später kommt die Polizei. Sie durchsucht uns sorgfältig nach Spraydosen und Werkzeug, mit dem wir das Denkmal beschädigen könnten. Sie finden nichts. Wir müssen Erklärungen schreiben, was wir da machen. Ich schreibe „Ich sah mir den Sonnenaufgang an“. Ich frage mich, ob ich dazuschreiben soll „Soll jeder der am Denkmal der sowjetischen Armee sitzt auch in einem Straflager nach Sibirien geschickt werden?“, mache es aber nicht. Der Soldat hält sein Maschinengewehr in die Höhe und schaut mich an. Sein Gesicht ist rot von der Sonne.

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